FLORENZ (dpa) — Hinter glamou­rö­ser Fassa­de spiel­ten sich bei Gucci Famili­en­feh­den ab, an denen die Modefir­ma fast zerbrach. Dass die Marke heute wieder glänzend dasteht, verdankt das begehr­te Label Rettern von außen.

Mitten auf dem Holly­wood Boule­vard in Los Angeles hat Kreativ­di­rek­tor Alessan­dro Miche­le kürzlich unter dem Titel «Love Parade» seine neues­te Gucci-Kollek­ti­on insze­niert. Passen­der hätte der Ort kaum gewählt sein können, denn die 100-jähri­ge Firmen­his­to­rie liest sich wie ein oscar-reifes Drehbuch.

Ihr düsters­tes Kapitel wurde jetzt von Ridley Scott verfilmt. «House of Gucci» mit Lady Gaga und Adam Driver kommt am 2. Dezem­ber in die deutschen Kinos.

Anfangs war es die klassi­sche Aufstei­ger­ge­schich­te: Ende des 19. Jahrhun­derts brach ein junger Mann namens Guccio Gucci von Florenz nach London auf, um dort sein Glück zu versu­chen. Er fand eine Anstel­lung im berühm­ten Hotel Savoy und war faszi­niert von den edlen Gepäck­stü­cken der Gäste. Zurück in der Heimat, stieg er selbst ins Geschäft mit Leder­wa­ren ein. 1921 eröff­ne­te er seinen ersten kleinen Laden in Florenz.

Grün-rote Strei­fen

Und die Familie folgte seiner Passi­on. Seine drei Söhne traten in das Unter­neh­men ein. Vor allem Aldo Gucci, der Ältes­te, trieb die Entwick­lung voran. So führte er ein bis heute gülti­ges Gucci-Symbol ein: die grün-roten Strei­fen, die auf Sattel­gur­te zurückgehen.

1947 kam eine Tasche mit Bambus­griff auf den Markt, die zu einem weite­ren Marken­zei­chen werden sollte. Bis schließ­lich Ende der 60er Jahre ein Schuh Gucci endgül­tig zum Status­sym­bol machte: ein Loafer mit einer Pferde­tren­sen-Spange über dem Spann. Da war schon die dritte Famili­en­ge­ne­ra­ti­on mit im Unter­neh­men aktiv.

Ab da wurde es unschön. Man stritt, intri­gier­te, prozes­sier­te, enterb­te. Und das fortwäh­rend und vor den Augen der Öffent­lich­keit. Wie giftig diese Famili­en­feh­de war, zeich­net Sara Gay Forden in ihrer 2001 erschie­ne­nen Biogra­fie «Gucci — Mode, Mord und Business» detail­reich nach.

Anfang der 80er Jahre schick­te sich Mauri­zio Gucci, ein Enkel des Firmen­grün­ders, an, aus dem Zwist als neuer starker Mann hervor­zu­ge­hen. Die Aura des Labels war inzwi­schen verblasst. Eine eigene, billi­ger produ­zier­te Taschen­li­nie hatte den Massen­markt geflu­tet und das Luxus-Image war angekratzt. Zudem waren neue Namen wie Giorgio Armani und Gianni Versace emporgestiegen.

Coole Sexyness

Mauri­zio Gucci ging all diese Proble­me an, holte erstmals in der Firmen­ge­schich­te Führungs­per­so­nal und Anteils­eig­ner von außen. Doch wandten sich Letzte­re bald gegen ihn. Er, der zuvor alle Famili­en­mit­glie­der hinaus­ge­drängt hatte, musste 1993 nun selbst seine Antei­le an die Invest­ment­fir­ma Invest­corp verkau­fen. Gucci existier­te fortan ohne einen einzi­gen Gucci.

Tom Ford, ein smarter Texaner, stieg dafür vom Design-Direk­tor zum Kreativ­chef auf und legte schnell den Grund­stein für einen Look, der die Modewelt in Eksta­se versetz­te. Eine coole Sexyness, mit Hüftho­sen, lasziv geöff­ne­ten Seiden­blu­sen und Samtmänteln.

Ihm zur Seite stand Domeni­co De Sole, ein Jurist, der Guccis Famili­en­strei­tig­kei­ten schon seit Jahren anwalt­lich beglei­tet hatte und nun Vorstands­chef war.

Mauri­zio Gucci erleb­te diesen Hype nicht mehr. Als er am Morgen des 27. März 1995 sein Mailän­der Büro betre­ten wollte, trafen ihn vier Pisto­len­ku­geln. Ein Mord, in Auftrag gegeben von seiner Ex-Frau Patri­zia Reggia­ni, die dafür zu 29 Jahren Haft verur­teilt wurde. Diese Geschich­te steht im Zentrum des Spiel­films «House of Gucci», der nun im Kino anläuft.

Feind­li­che Übernahme

Derweil blieb das Unter­neh­men seinem Ruf treu, auch in golde­nen Zeiten Stoff für einen Thril­ler zu bieten. Im Jahr 1999 schick­te sich der franzö­si­sche Luxus­gi­gant LVMH an, das Label in einer feind­li­chen Übernah­me in sein Portfo­lio zu integrieren.

Domeni­co De Sole starte­te darauf einen Abwehr­kampf, der die Mode- und Finanz­welt in den Bann zog. Als er und Tom Ford fünf Jahre später in Unstim­mig­kei­ten mit ihrem damali­gen «Retter», dem franzö­si­schen Konzern PPR (heute: Kering) das Unter­neh­men verlie­ßen, schien wieder einmal Guccis Ende nahe.

Die eher gefäl­li­gen als genia­len Kollek­tio­nen der folgen­den zehn Jahre schie­nen das zu bestä­ti­gen. Und niemand hätte am 19. Januar 2015 vermu­tet, dass diese Show wieder einer dieser markan­ten Wende­punk­te sein sollte.

Von jenem Alessan­dro Miche­le wusste man seiner­zeit nur, dass er bereits seit mehr als zehn Jahren für Gucci arbei­te­te. In fünf Tagen, so versi­cher­te der neue Kreativ­chef, habe er seine erste Kollek­ti­on entwor­fen: Männer, die Schlup­pen­hem­den, Spitze und Persia­ner­män­tel trugen. Es waren die Vorbo­ten einer neuer Ära.

Männlich und weiblich, Hoch- und Popkul­tur, in solchen binären Bahnen denkt Miche­le (48) nicht mehr. Seine eklek­ti­schen, gender­flui­den Looks begeis­tern vor allem junge Leute. Gucci bekam wieder eine klare Identi­tät. Und vor allem: Frieden hinter den Kulissen.

Von Axel Botur, dpa