SEATTLE (dpa) — Wenn Bakte­ri­en gegen Antibio­ti­ka Resis­ten­zen entwi­ckeln, können an sich harmlo­se Infek­tio­nen tödlich enden. Eine inter­na­tio­na­le Exper­ten­grup­pe versucht das Ausmaß des Problems zu beziffern.

Mehr als 1,2 Millio­nen Menschen auf der Welt starben 2019 einer Schät­zung zufol­ge unmit­tel­bar an einer Infek­ti­on mit einem Antibio­ti­ka-resis­ten­ten Erreger.

Bei fast fünf Millio­nen Todes­fäl­len war eine solche Infek­ti­on demnach mindes­tens mitver­ant­wort­lich für den Tod, berich­tet eine inter­na­tio­na­le Exper­ten-Gruppe im Fachma­ga­zin «The Lancet». Antibio­ti­ka-Resis­ten­zen gehör­ten so gesehen zu den häufigs­ten Todes­ur­sa­chen weltweit.

Die Forscher hatten für das Jahr 2019 Daten aus der Fachli­te­ra­tur, aus Kranken­haus-Daten­ban­ken, Überwa­chungs­sys­te­men und anderen Quellen zusam­men­ge­tra­gen und diese analy­siert. Über statis­ti­sche Model­lie­run­gen prognos­ti­zier­ten die Wissen­schaft­ler die Krank­heits­last für verschie­de­ne Regio­nen, auch für solche, aus denen keine Daten vorla­gen. Es habe bereits zuvor Studi­en zu einzel­nen Regio­nen, bestimm­ten Erregern oder einzel­nen Antibio­ti­ka gegeben. Die nun vorlie­gen­de Analy­se sei die bisher umfas­sends­te. Insge­samt betrach­te­ten die Forschen­den 204 Länder und Regio­nen, 23 krank­ma­chen­de Bakte­ri­en und 88 Kombi­na­tio­nen von Bakte­ri­en und Antibiotika.

Todes­fäl­le ohne Resis­ten­zen vermeidbar

Von Antibio­ti­ka­re­sis­tenz sprechen Ärzte in der Regel, wenn Patien­ten auf ein Antibio­ti­kum nicht reagie­ren, das heißt, wenn die krank­ma­chen­den Bakte­ri­en durch das Antibio­ti­kum — anders als erhofft — nicht vernich­tet werden.

4,95 Millio­nen Todes­fäl­le standen der Studie zufol­ge in Verbin­dung mit einer Antibio­ti­ka-resis­ten­ten bakte­ri­el­len Infek­ti­on, auch wenn die direk­te Todes­ur­sa­che womög­lich eine andere war. 1,27 Millio­nen Menschen starben unmit­tel­bar an einer Infek­ti­on mit einem resis­ten­ten Bakte­ri­um — ohne Resis­ten­zen seien diese Todes­fäl­le also vermeid­bar gewesen. Zum Vergleich: An HIV/Aids starben 2020 geschätzt 680.000 Menschen, an Malaria 627.000.

Zu Proble­men mit Resis­ten­zen kam es demnach beson­ders häufig bei Infek­tio­nen der unteren Atemwe­ge, also etwa einer Lungen­ent­zün­dung. Diese allein verur­sach­ten 400.000 Todes­fäl­le. Beson­ders viele Menschen starben auch infol­ge von Blutver­gif­tun­gen und Blind­darm­ent­zün­dun­gen, weil die Infek­ti­on aufgrund resis­ten­ter Erreger mit Antibio­ti­ka nicht beherrsch­bar war.

Gefürch­te­ter Kranken­haus­keim MRSA

Zu den Keimen, die am häufigs­ten Proble­me mit Resis­ten­zen verur­sach­ten, gehör­ten Esche­ri­chia coli, Staphy­lo­coc­cus aureus, Klebsi­el­la pneumo­niae und Strep­to­coc­cus pneumo­niae. Allein der gefürch­te­te Kranken­haus­keim MRSA — Methi­cil­lin-resis­ten­ter Staphy­lo­coc­cus aureus — verur­sach­te demnach 100.000 Todesfälle.

Am stärks­ten betrof­fen waren der Studie zufol­ge Länder im westli­chen Afrika südlich der Sahara. Dort habe es auf 100.000 Menschen fast 24 Todes­fäl­le gegeben, die sich unmit­tel­bar auf eine Infek­ti­on mit einem resis­ten­ten Erreger zurück­füh­ren ließen. In reichen Ländern lag die Rate bei 13 Todes­fäl­len auf 100.000 Einwoh­ner. Kinder unter fünf Jahren seien am stärks­ten gefährdet.

«Diese neuen Daten legen das wahre Ausmaß des Problems antimi­kro­biel­ler Resis­ten­zen weltweit offen und sind ein klares Signal, dass wir jetzt handeln müssen», sagte Mitau­tor Chris Murray von der Univer­si­ty of Washing­ton laut einer Mittei­lung des Fachma­ga­zins. «Wir müssen diese Daten nutzen, um den Kurs zu korri­gie­ren und Innova­tio­nen voran­zu­trei­ben, wenn wir im Wettlauf gegen die Antibio­ti­ka-Resis­tenz die Nase vorn haben wollen.»

Ziel: Infek­tio­nen vermeiden

Ziel müsse sein, Infek­tio­nen weitge­hend zu vermei­den durch verbes­ser­te Hygie­ne oder durch Impfun­gen. Außer­dem müsse der unange­mes­se­ne Einsatz von Antibio­ti­ka — etwa bei viralen Infek­tio­nen, die grund­sätz­lich nicht auf Antibio­ti­ka anspre­chen — reduziert werden. Neue Antibio­ti­ka müssten entwi­ckelt und auf den Markt gebracht werden.

Als Schwä­chen ihrer Studie nennen die Forscher die begrenz­te Daten­ver­füg­bar­keit in einigen Teilen der Welt und die unter­schied­li­chen Quellen für die Daten, die zu Verzer­run­gen führen können.

Als «überse­he­ne Pande­mie» beschreibt Raman­an Laxmi­nara­yan vom Center for Disea­se Dynamics das Problem antibak­te­ri­el­ler Resis­ten­zen in einem Kommen­tar zu der Studie. Obwohl viel mehr Menschen an solchen Infek­tio­nen sterben würden als etwa an HIV, flössen weit mehr Spenden­gel­der in die Bekämp­fung von HIV und Aids. Das müsse sich ändern. «Von einem unerkann­ten und versteck­ten Problem zeich­net sich nun endlich ein klare­res Bild der Belas­tung durch antimi­kro­biel­le Resis­ten­zen ab.»