RAVENSBURG (dpa/lsw) — Er soll eine 85-Jähri­ge einen Abhang hinun­ter­ge­sto­ßen, verge­wal­tigt und lebens­ge­fähr­lich verletzt zurück­ge­las­sen haben. Vor dem Urteil gegen einen 31-Jähri­gen stell­te sich vor allem die Frage: Welche Rolle spiel­te seine psychi­sche Erkran­kung bei der Tat?

Die 85-Jähri­ge war nach ihrer morgend­li­chen Spazier­run­de schon fast wieder zu Hause, als der junge Mann sie unver­mu­tet angriff. Durch ein dichtes Gebüsch stieß er die Senio­rin im oberschwä­bi­schen Weingar­ten an einem Samstag im August 2021 einen Abhang hinab, schlug sie bewusst­los, verge­wal­tig­te sie und ließ sie dann mit lebens­ge­fähr­li­chen Verlet­zun­gen liegen. Nur weil eine Passan­tin später ihre Hilfe­ru­fe hörte, überleb­te die 85-Jährige.

Ein 31-Jähri­ger ist deshalb am Freitag am Landge­richt Ravens­burg zu zehn Jahren und sechs Monaten Haft verur­teilt worden — wegen eines beson­ders schwe­ren Falls von Verge­wal­ti­gung, versuch­ten Mordes sowie sexuel­ler Beläs­ti­gung zweier weite­rer Frauen, 75 und 64 Jahre alt. Das Gericht ordne­te zudem an, den Mann in einer Psych­ia­trie unter­zu­brin­gen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Dem Angeklag­ten sei es am Tag der Tat darum gegan­gen, «Sex zu haben, egal zu welchem Preis und mit wem», sagte der Vorsit­zen­de Richter Veiko Böhm. Das zeigten Online-Nachrich­ten des Mannes aus der voran­ge­gan­ge­nen Nacht und Zeugen­aus­sa­gen. Letzt­lich habe er deshalb «eine x‑beliebige, wildfrem­de Rentne­rin» brutal vergewaltigt.

Zur Frage, welche Rolle die Schizo­phre­nie des Mannes bei der Tat spiel­te, hatte es vor Gericht unter­schied­li­che Auffas­sun­gen gegeben. Der Anwalt der 85-jähri­gen Neben­klä­ge­rin hatte lebens­lan­ge Haft im Gefäng­nis gefor­dert, weil die von einem Gutach­ter beschei­nig­te Erkran­kung nicht die Ursache für die Verge­wal­ti­gung gewesen sei.

«Ihr Primär­be­dürf­nis war nicht, sich einen Verfol­ger vom Hals zu halten», sagte der Anwalt. «Sie wollten um jeden Preis Sex haben.» Der Angeklag­te hatte die Taten zum Prozess­auf­takt Mitte März gestan­den, aber kein Motiv genannt. Der Mann mit deutscher und brasi­lia­ni­scher Staats­bür­ger­schaft hatte nach Auffas­sung des Gerichts seit 2016 keinen festen Wohnsitz mehr und konsu­mier­te regel­mä­ßig größe­re Mengen Amphet­ami­ne, Marihua­na und Alkohol.

Seit diesem Zeitpunkt habe der Mann zudem unter einer andau­ern­den Schizo­phre­nie-Erkran­kung gelit­ten, sagte Richter Böhm. Zwar habe der Angeklag­te bei der Verge­wal­ti­gung «genau gewusst, was er tat». Durch seine Erkran­kung sei er aber «extrem enthemmt» gewesen.

Dass die Krank­heit vor Gericht nur vorge­spielt gewesen sein könnte, sei schwer vorstell­bar, beton­te Böhm. In der Befra­gung habe man dem Angeklag­ten vielmehr «aus der Nase ziehen» müssen, dass er zeitwei­se Essen und Trinken verwei­ger­te, weil er fürch­te­te, dass «was damit nicht stimmt». Zudem hatte sich der 31-Jähri­ge selbst verletzt, weil er Angst hatte, einen Chip einge­pflanzt bekom­men zu haben.

Angesichts der Bruta­li­tät der Tat verste­he er die Forde­rung nach einer lebens­läng­li­chen Haftstra­fe, sagte Böhm. «Wir müssen den Angeklag­ten aber trotz­dem so behan­deln wie alle anderen Angeklag­ten.» Es gehe auch darum, ein Urteil zu fällen, das einer Prüfung durch den Bundes­ge­richts­hof in Karls­ru­he stand­hal­ten würde.

Zudem biete die Unter­brin­gung einer geschlos­se­nen Psych­ia­trie den bestmög­li­chen Schutz für die Menschen in der Region, beton­te der Richter. «Gerade ältere Frauen in Weingar­ten und Ravens­burg müssen sich keine Sorgen machen, weil der Angeklag­te erst wieder rauskommt, wenn er nach ärztli­cher und gericht­li­cher Überzeu­gung keine Gefahr mehr für die Allge­mein­heit darstellt.»

Von Frede­rick Mersi, dpa