Richtig feiern kann der Friedens­no­bel­preis­trä­ger Michail Gorbat­schow seinen 90. Geburts­tag wegen Corona nicht. Aber aus aller Welt errei­chen ihn in Moskau Würdigungen.

MOSKAU/BERLIN (dpa) — Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel hat dem frühe­ren Kreml­chef Michail Gorbat­schow zum 90. Geburts­tag gratu­liert und ihm für seine politi­schen Errun­gen­schaf­ten gedankt.

«Ihren Ehren­tag nehme ich gerne zum Anlass, Ihnen einmal mehr für Ihren persön­li­chen Einsatz für die fried­li­che Überwin­dung des Kalten Krieges sowie die Vollendung der Deutschen Einheit zu danken», heißt es in Merkels Glück­wunsch­schrei­ben an Gorbat­schow vom Dienstag. 

Der gesund­heit­lich angeschla­ge­ne Friedens­no­bel­preis­trä­ger beging das Jubilä­um wegen der Corona-Pande­mie weitge­hend isoliert von der Außen­welt. Auch Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin und sein US-Kolle­ge Joe Biden gratu­lier­ten dem frühe­ren sowje­ti­schen Staats­chef, der in den 1980er Jahren wegwei­sen­de nuklea­re Abrüs­tungs­in­itia­ti­ven zwischen Moskau und Washing­ton auf den Weg gebracht hatte. Biden meinte in einem von Gorbat­schows Überset­zer veröf­fent­lich­ten Glück­wunsch­schrei­ben, dass Gorbat­schow «die Welt zu einem siche­re­ren Ort gemacht habe».

Gorbat­schow könne mit Stolz auf sein Lebens­werk blicken, schrieb Kanzle­rin Merkel. «Ihr wichti­ger Beitrag für eine Wieder­ver­ei­ni­gung in Freiheit bleibt in Deutsch­land ebenso unver­ges­sen wie Ihr bestän­di­ges persön­li­ches Engage­ment für freund­schaft­li­che Bezie­hun­gen zwischen unseren beiden Ländern.» Als einer der Väter der Deutschen Einheit sicher­te sich «Gorbi», wie ihn die Deutschen achtungs­voll nennen, seinen Platz in der Geschich­te schon vor rund 30 Jahren. Die Bedin­gun­gen für die Wieder­ver­ei­ni­gung hatte er damals mit Kanzler Helmut Kohl (1930–2017) ausgehandelt.

Der frühe­re General­se­kre­tär des Zentral­ko­mi­tees der Kommu­nis­ti­schen Partei der Sowjet­uni­on gilt als einer der größten Refor­mer des 20. Jahrhun­derts. Der Jubilar, der mit engen Freun­den eine Video­kon­fe­renz organi­sie­ren lassen wollte, sagte in einem Inter­view der Staats­agen­tur Tass zu seinem Geburts­tag, dass er zwar in seiner Heimat viel geschol­ten sei. Doch sehe er heute seine in den 1980er Jahren einge­führ­te Politik von Glasnost (Offen­heit) und Perestroi­ka (Umgestal­tung) als die wichtigs­te Errun­gen­schaft seines Lebens.

«Ohne Glasnost hätte sich überhaupt nichts im Land geändert», sagte Gorbat­schow, der auch ein neues Buch mit Briefen an ihn unter anderem von Bürgern ankün­dig­te. Mit der Politik von Glasnost und Perestroi­ka entließ er Millio­nen Menschen in Osteu­ro­pa aus der kommu­nis­ti­schen Gewalt­herr­schaft in die Freiheit.

Kreml­chef Putin würdig­te den ersten und letzten Sowjet­prä­si­den­ten als Persön­lich­keit von Weltrang. «Sie gehören mit Recht zu jenen schil­lern­den, ungewöhn­li­chen Menschen; heraus­ra­gen­den staat­li­chen Funktio­nä­ren der Gegen­wart, die einen bedeu­ten­den Einfluss auf den Gang der natio­na­len und der Weltge­schich­te ausge­übt haben.»

Gorbat­schows «große profes­sio­nel­le Lebens­er­fah­rung, Energie und schöp­fe­ri­sche Kraft» würden ihm noch heute dabei helfen, «sich aktiv in eine erfor­der­li­che gesell­schaft­li­che, aufklä­re­ri­sche Arbeit einzu­brin­gen», schrieb Putin. Gorbat­schow kümme­re sich noch immer um die Umset­zung inter­na­tio­na­ler humani­tä­rer Projek­te, hieß es in dem vom Kreml veröf­fent­lich­ten Glückwunschtelegramm.

Viele Russen geben Gorbat­schow die Schuld am Zerfall der Sowjet­uni­on und am Ende des mächti­gen kommu­nis­ti­schen Imperi­ums vor 30 Jahren. Das staat­li­che russi­sche Meinungs­for­schungs­in­sti­tut WZIOM veröf­fent­lich­te am Ehren­tag eine Umfra­ge, nach der 72 Prozent der Befrag­ten der Ansicht sind, dass sich das Land unter Gorbat­schow in die falsche Richtung bewegt habe. 51 Prozent meinten, dass seine Politik damals mehr Schaden als Nutzen gebracht habe.

Für den demokra­tisch gesinn­ten Teil der russi­schen Gesell­schaft hinge­gen ist Gorbat­schow bis heute ein Freiheits­sym­bol. Mit seiner politi­schen Stiftung und als Mitei­gen­tü­mer der kreml­kri­ti­schen Zeitung «Nowaja Gaseta» gilt er weiter als eine wichti­ge Stimme in Russland. Immer wieder kriti­sier­te der Politi­ker, der sich heute als Sozial­de­mo­krat sieht, zuneh­men­de Repres­sio­nen unter Putin — und warnte vor einem Rückfall in die Diktatur.