BIBERACH — Eine Ära, die am 1. Juli 1990 begon­nen hat, ist vor wenigen Wochen zu Ende gegan­gen: 34 Jahre lang war Frank Raumel Leiter der Biber­acher Stadt­bü­che­rei, Anfang August verab­schie­de­te sich der 66-Jähri­ge aus dieser Funkti­on. Dass er fast sein ganzes Berufs­le­ben in Biber­ach verbrin­gen würde, hätte Raumel vor mehr als drei Jahrzehn­ten selbst nicht gedacht. 

Drei Jahre lang war Frank Raumel stell­ver­tre­ten­der Leiter der Kreis­er­gän­zungs­bü­che­rei in Villin­gen-Schwen­nin­gen gewesen, ehe der gebür­ti­ge Trossin­ger 1990 nach Biber­ach wechsel­te. Genau­er gesagt in die Untere Schran­ne am Markt­platz, wo die Stadt­bü­che­rei seiner­zeit unter­ge­bracht war. Fünf Jahre, so berich­tet er heute über seine damali­gen Gedan­ken­spie­le, habe er in Biber­ach bleiben wollen. Dass es anders kam, lag am Stand­ort­wech­sel der Büche­rei, den er entschei­dend mitge­stal­ten durfte. 

Die Einrich­tung sollte aufgrund der anste­hen­den Sanie­rung aus der Unteren Schran­ne auszie­hen, Frank Raumel sollte sich deshalb den Neuen Bau am Viehmarkt­platz als mögli­chen künfti­gen Stand­ort für die Büche­rei anschau­en. „Alles, was ich sah, war ein ziemlich desola­ter Fachwerk­bau“, erinnert sich der Biblio­the­kar. Doch dank des Wiener Archi­tek­ten Boris Podrec­ca sei aus dem mehr als 500 Jahre alten Speicher­ge­bäu­de eine moder­ne Büche­rei gewor­den, die 1996 am Viehmarkt­platz eröff­net wurde. 

Fortan konnten die Medien auf 1.050 Quadrat­me­ter Publi­kums­flä­che, verteilt über drei Stock­wer­ke, präsen­tiert werden. „Ich durfte selbst an der Planung mitwir­ken“, erzählt Raumel, „das Gebäu­de wurde so einge­rich­tet, wie ich mir das vorge­stellt hatte“. Histo­ri­sche Fachwerk­kon­struk­ti­on und Ziegel­mau­er­werk wurden erhal­ten, Stahl, Glas und Sicht­be­ton neu verbaut. Was der Büche­rei-Leiter außer­dem zu schät­zen wusste: Podrec­ca habe Weiter­ent­wick­lun­gen zugelas­sen. „Wir haben einiges verän­dert.“ Beispiel­haft nennt Raumel die Service­the­ke, die in den Anfangs­zei­ten zwölf Meter lang gewesen sei. Seine Pläne, Biber­ach nach ein paar Jahren wieder zu verlas­sen, hatte Raumel nach dem Umzug an den Viehmarkt­platz schnell verwor­fen. „Ich habe mich hier immer wohlge­fühlt, es ist ein tolles Haus.“
Ein Aspekt, den auch Verena Fürgut, Leite­rin des Dezer­nats Bildung und Kultur, bei der Verab­schie­dung des langjäh­ri­gen Büche­rei­lei­ters betont hatte: „In all den Jahren ist Ihnen Ihre Büche­rei immer mehr ans Herz gewach­sen.“ Raumel habe die Büche­rei von der kleinen Einrich­tung im Oberge­schoss der Schran­ne zum heuti­gen MIZ – Medien- und Infor­ma­ti­ons­zen­trum Stadt­bü­che­rei Biber­ach – entwi­ckelt. „Bei Ihrer Arbeit war Ihnen eine dauer­haf­te Weiter­ent­wick­lung und ständi­ge Moder­ni­sie­rung ein großes Anliegen.“ 

70.000 Öffnungs­stun­den
Frank Raumel schätzt, dass die Büche­rei in seiner Amtszeit rund 70.000 Stunden geöff­net war und von 240.000 Nutzern aufge­sucht wurde, die wieder­um 16 Millio­nen Medien ausge­lie­hen haben. Hinzu kommen mehr als 8.000 Veran­stal­tun­gen. Dieses „vielschich­ti­ge Angebot“ habe die Biber­acher Stadt­bü­che­rei zu einem „Leucht­turm“ in der Branche gemacht. Beleg dafür ist die mehrma­li­ge Auszeich­nung als „Biblio­thek des Jahres“ in Städten mit 30.000 bis 50.000 Einwoh­ner. Der natio­na­le Preis „Biblio­thek des Jahres 2009“ war mit 30.000 Euro dotiert und ging ebenfalls nach Biber­ach. Frank Raumel setzte dieses Preis­geld zum Ausbau von Büche­rei- und Leseak­ti­vi­tä­ten von Kinder­gär­ten und Schulen ein. „Damit die Kinder dort unkom­pli­ziert und kosten­frei an Bücher kommen.“ Ein Bereich, der für ihn eine Herzens­an­ge­le­gen­heit war. 

„Ich sehe Biblio­the­ken nach wie vor als wichti­gen Partner von Bildungs­ein­rich­tun­gen.“ Dabei dürfe man nicht immer warten, bis Eltern, Kinder, Lehrer oder Erzie­her von sich aus kämen. „Wir müssen dort hin, wo sich die Kinder die meiste Zeit über aufhal­ten.“ Also in die Kinder­gär­ten und Schulen, ergänzt durch Besuche am „Lernort Stadt­bü­che­rei“. Durch die Digita­li­sie­rung und Automa­ti­sie­rung seien Perso­nal­ka­pa­zi­tä­ten freige­wor­den. Dadurch habe man Mitar­bei­ter im biblio­theks­päd­ago­gi­schen Bereich quali­fi­ziert, damit sie Schulen und Kinder­gär­ten unter­stüt­zen sowie Angebo­te entwi­ckeln können, die sich an den Bildungs- und Entwick­lungs­plä­nen orientieren. 

Raumel verweist auf die neues­te IGLU-Studie, der zufol­ge ein Viertel der Viert­kläss­ler nicht die Mindest­stan­dards bei der Lesekom­pe­tenz erfüllt. Bereits vor 20 Jahren habe die Stadt­bü­che­rei als Antwort auf die PISA-Studie das „Netzwerk Lesen“ ins Leben gerufen. Inzwi­schen sei daraus ein Verbund von 59 Bildungs­part­nern aus dem Raum Biber­ach gewor­den. „Sie alle verfol­gen ein gemein­sa­mes Ziel: Die Lese‑, Medien- und Infor­ma­ti­ons­kom­pe­tenz unserer Kinder zu fördern und zu stärken.“ Dazu bietet die Stadt­bü­che­rei mehr als 60 spezi­el­le Medien­an­ge­bo­te und biblio­theks­päd­ago­gi­sche Baustei­ne an. An 14 Grund­schu­len gibt es mittler­wei­le eine Schul­bü­che­rei, auch acht Kinder­gär­ten haben eine Büche­rei. Kinder­gar­ten Nummer neun soll bald folgen. Meilen­stei­ne bei dieser Entwick­lung waren die Medio­thek der städti­schen Gymna­si­en (2008) und die Schul­bü­che­rei im Heinz H. Engler-Forum (2014), die beide durch die Biber­acher Stadt­bü­che­rei betrie­ben und von deren Perso­nal betreut werden. 

„Digita­les Lesen ist anders“ 
In diesem Zusam­men­hang lässt Raumel nicht unerwähnt, dass er die Digita­li­sie­rung mit Blick auf das Lesen im Kindes­al­ter durch­aus kritisch sieht. „Digita­les Lesen ist anders, es ist flüch­ti­ger und komple­xer als Lesen auf Papier.“ Bis zur dritten oder vierten Klasse sollten seiner Ansicht nach deshalb gedruck­te Bücher gelesen werden. Die Digita­li­sie­rung hat sich in den vergan­ge­nen Jahren selbst­re­dend auch auf das Nutzer­ver­hal­ten und das Angebot ausge­wirkt – 75.000 Medien hat die Büche­rei mittler­wei­le in ihrem Bestand. Mehre­re Online­an­ge­bo­te wurden etabliert, eine „Biblio­thek der Dinge“ ermög­licht das Auslei­hen von Beamer, Action­ka­me­ra und mehr. Stand die Büche­rei früher mit dem klassi­schen Buchhan­del in Konkur­renz, müsse man sich heute mehr mit den „Global Playern“ im Bereich Film und Musik ausein­an­der­set­zen, so Raumel. Auch deshalb betont er: „Die Zukunft liegt in den biblio­theks­päd­ago­gi­schen Angebo­ten.“ Kinder und Jugend­li­che seien die Haupt­nut­zer der Büche­rei, auch die Anzahl älterer Besucher nehme weiter zu. Unter­re­prä­sen­tiert seien hinge­gen die 25- bis 50-Jährigen. 

1999 hatte die Stadt­bü­che­rei ihre erste Nutzer­be­fra­gung gemacht, fragte nach Wünschen und Verbes­se­rungs­vor­schlä­gen. Basie­rend darauf wurden beispiels­wei­se immer wieder neue Sitzplät­ze zur Verfü­gung gestellt – Raumel schätzt, dass es mittler­wei­le viermal so viel sind wie zu Beginn. „Viele Nutzer verbrin­gen den ganzen Tag hier. Wir haben eine sehr angeneh­me Aufent­halts­qua­li­tät geschaf­fen.“ Genau so funktio­nie­re eine Biblio­thek in der heuti­gen Zeit. 

Eine Biblio­thek, von deren Leitung sich Raumel nun verab­schie­det. Weiter­hin verfol­gen wird er seinen Ansatz, die Lesekom­pe­tenz von Kindern zu fördern und zu stärken. Als freischaf­fen­der Biblio­theks­päd­ago­ge möchte er unter anderem Schulen in der Region unter­stüt­zen. „Hier sehe ich noch viel Arbeit, da bleibe ich dran.“