BERLIN (dpa) — Weiblich, männlich, divers — das deutsche Recht sieht drei mögli­che Geschlech­ter vor. Wer seinen Eintrag ändern lassen will muss bislang relativ hohe Hürden überwin­den. Das soll sich nun ändern.

Jeder Mensch in Deutsch­land soll sein Geschlecht und seinen Vorna­men künftig selbst festle­gen und in einem einfa­chen Verfah­ren beim Standes­amt ändern können. Das sieht ein in Berlin vorge­stell­tes Konzept der Bundes­mi­nis­te­ri­en für Justiz und Familie für ein neues Selbst­be­stim­mungs­ge­setz vor. Es soll das Trans­se­xu­el­len­ge­setz erset­zen, das von vielen Menschen inzwi­schen als unzeit­ge­mäß und diskri­mi­nie­rend empfun­den wird.

Wenn die Neure­ge­lung so wie geplant umgesetzt wird, ist bei der Frage des Geschlechts­ein­trags und der Vorna­men künftig unerheb­lich, ob es sich um einen trans­ge­schlecht­li­chen, nicht-binären oder inter­ge­schlecht­li­chen Menschen handelt. Gutach­ten zur sexuel­len Identi­tät oder ein ärztli­ches Attest sollen als Voraus­set­zung für eine solche Änderung dann nicht mehr verlangt werden.

Keine Gutach­ten oder ärztli­che Attests mehr

Inter-Menschen sind Menschen, deren körper­li­ches Geschlecht nicht der medizi­ni­schen Norm von männli­chen oder weibli­chen Körpern zugeord­net werden kann, sondern sich in einem Spektrum dazwi­schen bewegt. Als nicht-binär bezeich­net man Menschen, die weder eine männli­che noch eine weibli­che Geschlechts­iden­ti­tät haben. Trans­men­schen fühlen sich dem Geschlecht, das ihnen bei Geburt zugeschrie­ben wurde, nicht zugehörig.

Für Minder­jäh­ri­ge bis 14 Jahre sollen die Sorge­be­rech­tig­ten die Änderungs­er­klä­rung beim Standes­amt abgeben. Jugend­li­che ab 14 Jahren sollen die Erklä­rung selbst abgeben können, aller­dings mit Zustim­mung der Eltern. Zu mögli­chen strit­ti­gen Fällen für die Gruppe der Minder­jäh­ri­gen ab 14 Jahre heißt es in dem von den beiden Minis­te­ri­en formu­lier­ten Eckpunk­te-Papier: «Um die Persön­lich­keits­rech­te der jungen Menschen zu wahren, kann das Famili­en­ge­richt in den Fällen, in denen die Sorge­be­rech­tig­ten nicht zustim­men, orien­tiert am Kindes­wohl — wie auch in anderen Konstel­la­tio­nen im Famili­en­recht — die Entschei­dung der Eltern auf Antrag des Minder­jäh­ri­gen ersetzen.»

Einjäh­ri­ge Sperrfrist

Der Präsi­dent des Deutschen Kinder­hilfs­wer­kes, Thomas Krüger, begrüß­te die geplan­te Änderung. Er sagte, es «sollte unstrit­tig sein, dass auf nicht notwen­di­ge Zuord­nun­gen und medizi­nisch nicht erfor­der­li­che Eingrif­fe verzich­ten werden kann».

Um sicher­zu­stel­len, dass hinter der perso­nen­stands­recht­li­chen Änderung eine ernst­haf­te Entschei­dung steht, ist eine einjäh­ri­ge Sperr­frist vorge­se­hen. Das bedeu­tet, dass der neue Geschlechts­ein­trag und der Vorna­me grund­sätz­lich für mindes­tens ein Jahr lang gilt.

Bundes­jus­tiz­mi­nis­ter Marco Busch­mann (FDP) und Famili­en­mi­nis­te­rin Lisa Paus (Grüne) wiesen ausdrück­lich darauf hin, ihr geplan­tes Gesetz werde keine Festle­gung zu der Frage etwaiger körper­li­cher geschlechts­an­glei­chen­der Maßnah­men enthal­ten. Solche Maßnah­men würden weiter­hin auf Grund­la­ge fachme­di­zi­ni­scher Regelun­gen entschie­den. Auch auf die Entschei­dung, wer im sport­li­chen Wettbe­werb als Frau oder Mann antritt, soll die geplan­te Geset­zes­än­de­rung keine Auswir­kun­gen haben. Das entschie­den die Sport­ver­bän­de, sagte Paus.

Trans­se­xu­el­len­ge­setz stammt aus 1980

«Das Trans­se­xu­el­len­ge­setz stammt aus dem Jahr 1980 und ist für die Betrof­fe­nen entwür­di­gend», erklär­te sie. Auf die Frage, was mit Frauen sei, die sich in der Sauna oder in der Umklei­de beim Sport womög­lich unsicher fühlten, wenn Menschen, die bisher Männer waren, diese Räume betre­ten, antwor­te­te die Minis­te­rin: «Trans­frau­en sind Frauen, und deswe­gen sehe ich da jetzt keinen weite­ren Erörte­rungs­be­darf.» In Frauen­häu­sern werde auch in Zukunft darauf geach­tet, dass gewalt­tä­ti­ge Menschen — gleich welchen Geschlechts — dort keinen Zugang hätten.

Trans­men­schen und nicht-binäre Menschen können ihren Geschlechts­ein­trag und den Vorna­men aktuell nur per Gerichts­be­schluss ändern. Im Verfah­ren müssen zwei Sachver­stän­di­gen­gut­ach­ten einge­holt werden. Menschen mit Varian­ten der Geschlechts­ent­wick­lung können Änderun­gen zwar jetzt schon mit einer Erklä­rung beim Standes­amt vorneh­men. Aller­dings werden dabei entwe­der ein ärztli­ches Attest oder eine Versi­che­rung an Eides statt verlangt.

Frist bis Jahresende

Busch­mann sagte: «Das gelten­de Recht behan­delt die betref­fen­den Perso­nen wie Kranke. Dafür gibt es keine Recht­fer­ti­gung.» Das Kabinett soll nach dem Willen von Paus und Busch­mann bis zum Jahres­en­de über einen Entwurf zum Selbst­be­stim­mungs­ge­setz beschließen.

Viele Menschen, die ihren Geschlechts­ein­trag ändern, gehen damit offen um. Wer das nicht tun möchte, werde vor einem «Zwangs-Outing» geschützt, sagte Busch­mann. Das bedeu­tet, dass beispiels­wei­se ein Standes­be­am­ter nicht herumer­zäh­len darf, dass eine Lena früher ein Leo war. Falls diese sehr persön­li­che Infor­ma­ti­on von einem Behör­den­mit­ar­bei­ter «in die Öffent­lich­keit gezerrt» wird, soll laut Busch­mann ein Bußgeld fällig werden.

«Die vorge­stell­ten Eckpunk­te für ein Selbstbestimmungsgesetz
sind unzwei­fel­haft ein gesell­schaft­li­cher Meilen­stein», lobte der Parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­rer der Links­frak­ti­on, Jan Korte. Was jetzt noch fehle, sei der Ausbau von Hilfs- und Betreu­ungs­an­ge­bo­ten für Betrof­fe­ne und ihr Umfeld sowie eine breite Aufklä­rungs­kam­pa­gne, um gesell­schaft­li­che Ängste abzubauen.

Von Anne-Beatri­ce Clasmann, dpa