BERLIN (dpa) — Nach sechs­ein­halb Jahren hat Jörg Meuthen keine Lust mehr. Vielleicht spürt er auch, dass es für seinen eher gemäßig­ten Kurs in der AfD keine Mehrheit mehr gibt.

Der langjäh­ri­ge AfD-Chef Jörg Meuthen will nicht mehr um seinen Posten kämpfen.

Er habe sich nach inten­si­ven Überle­gun­gen und Gesprä­chen mit seiner Familie entschlos­sen, bei der turnus­mä­ßig anste­hen­den Neuwahl des Partei­vor­stan­des im Dezem­ber nicht mehr als Vorsit­zen­der zu kandi­die­ren, schreibt der 60-Jähri­ge am Montag in einem Rundschrei­ben an die AfD-Mitglieder.

Aus der AfD tritt Meuthen — zumin­dest vorerst — nicht aus. Er werde seine politi­sche Arbeit fortset­zen und wolle seine «Stimme hörbar einset­zen», teilt der Europa­ab­ge­ord­ne­te seinen Partei­freun­den mit. Dass er dies langfris­tig auch im Namen der AfD tun will, steht in seinem Mitglie­der­rund­brief aller­dings so expli­zit nicht. Vielleicht will er erst noch abwar­ten, wer neu in den Partei­vor­stand gewählt wird. Meuthen teilt sich den Partei­vor­sitz aktuell mit Tino Chrup­al­la, der gemein­sam mit Alice Weidel die Bundes­tags­frak­ti­on führt. Über Meuthens Rückzug von der Partei­spit­ze hatte zuerst das Portal «t‑online» berichtet.

«Das ist eine persön­li­che Entschei­dung von Jörg Meuthen», sagt Chrup­al­la. Das Verhält­nis zwischen den beiden Co-Vorsit­zen­den war zuletzt sehr angespannt.

Er wetter­te gegen «puber­tie­ren­de Schuljungen»

Meuthen hat in den vergan­ge­nen zwei Jahren für einen gemäßig­te­ren Kurs der AfD plädiert. Auf einem Bundes­par­tei­tag in Kalkar im Novem­ber 2020 kriti­sier­te er AfD-Mitglie­der, die «immer enthemm­ter auftre­ten». Er wetter­te gegen «puber­tie­ren­de Schul­jun­gen», «Polit­kas­per­le» und jene, «die nur allzu gerne rumkra­kee­len und rumprol­len». Der Vorsit­zen­de bezeich­net seine Rede später als «Ordnungs­ruf» in die Partei und macht deutlich, dass er nicht länger von denen in Haftung genom­men werden will, die ständig mit Provo­ka­tio­nen und verba­len Entglei­sun­gen auffallen.

Damit hat er sich Feinde gemacht, vor allem in der Rechts­au­ßen-Strömung der AfD. Der 2015 vom Thürin­ger AfD-Landes­chef Björn Höcke gegrün­de­te und inzwi­schen formal aufge­lös­te «Flügel» wird vom Verfas­sungs­schutz als rechts­extre­me Bestre­bung beobach­tet. Für einen groben Fehler hält Meuthen die von der Mehrheit der Delegier­ten getrof­fe­ne Entschei­dung, die Forde­rung nach einem Austritt Deutsch­lands aus der Europäi­schen Union ins Programm der AfD für die Bundes­tags­wahl aufzunehmen.

«Diese Dexit-Entschei­dung war ganz klar destruk­tiv» und habe den langsa­men Prozess der Distan­zie­rung Meuthens von den Scharf­ma­chern in der Partei voran­ge­trie­ben, sagt der Berli­ner Polito­lo­ge Hajo Funke. Meuthens Rückzug von der Partei­spit­ze komme nicht überraschend.

Die AfD will ihren neuen Partei­vor­stand auf einem zweitä­gi­gen Bundes­par­tei­tag in Wiesba­den wählen, der für den 11. Dezem­ber geplant ist. Er habe ja bereits angekün­digt, dass er dort erneut kandi­die­ren wolle, sagt Chrup­al­la. Wer — sollte es bei der Doppel­spit­ze bleiben — aus seiner Sicht als Co-Vorsit­zen­der infra­ge käme, will er nicht sagen.

Aus der AfD ist zu hören, man sollte neben Chrup­al­la, der aus der AfD-Hochburg Sachsen stammt, doch einen Co-Vorsit­zen­den aus dem Westen wählen. Genannt werden in diesem Zusam­men­hang unter anderem Weidel, der nordrhein-westfä­li­sche AfD-Landes­vor­sit­zen­de Rüdiger Lucas­sen und Peter Boehrin­ger, der Spitzen­kan­di­dat der Bayern-AfD für die Bundes­tags­wahl war.

Er vermu­te, dass es erneut auf eine Doppel­spit­ze hinaus­lau­fen werde, sagt Bundes­vor­stands­mit­glied Stephan Protsch­ka. Dass an der Spitze zwingend ein Ost-West-Team stehen muss, sieht er nicht. Mit Blick auf ein mögli­ches Duo Chrup­al­la-Weidel sagt er: «Warum sollten sie es nicht versuchen?»

«Diver­se Stürme überstanden»

Meuthen, der mit Weidel über Kreuz liegt, schreibt, er wünsche den Delegier­ten auf dem Bundes­par­tei­tag eine glück­li­che Hand bei der Wahl der neuen Partei­spit­ze. «Mögen sie eine beson­ne­ne Wahl treffen und vernünf­ti­ge Vorstands­mit­glie­der wählen, die unsere Partei als entschie­de­ne Rechts­staats­par­tei und als starke und einzi­ge entschlos­sen freiheit­lich-konser­va­ti­ve Kraft weiter voranbringen.»

«Jörg Meuthens Entschei­dung nehme ich mit Respekt zur Kennt­nis», sagt Weidel. «Viele Jahre hat er die AfD als Bundes­vor­sit­zen­der mitge­prägt und diver­se Stürme überstan­den.» Dass Meuthen nun mehr Zeit der Familie widmen wolle, könne sie verstehen.

Meuthen war im Sommer 2015 auf einem von Tumul­ten gepräg­ten Partei­tag in Essen erstmals zum Co-Vorsit­zen­de gewählt worden. Damals stand mit ihm Frauke Petry an der Spitze der Partei. Sie verließ die AfD nach der Bundes­tags­wahl 2017 und beklag­te einen Rechts­ruck der Partei.

Von Anne-Beatri­ce Clasmann, dpa