Doha/Wunstorf (dpa) — Mehre­re Militär­ma­schi­nen aus Deutsch­land sind auf dem Weg in Richtung Afgha­ni­stan. Es ist die bislang wohl größte Missi­on dieser Art der Bundes­wehr — und eine beson­ders brisante.

Nach der Übernah­me Kabuls durch die militant-islamis­ti­schen Taliban hat die Evaku­ie­rung deutscher Staats­bür­ger aus der afgha­ni­schen Haupt­stadt begonnen.

In der Nacht zu Montag lande­ten nach Infor­ma­tio­nen der Deutschen Presse-Agentur 40 Mitar­bei­ter der deutschen Botschaft mit einem US-Flugzeug in Doha im Golfemi­rat Katar. Wenige Stunden später starte­ten am Morgen die ersten drei Militär­ma­schi­nen der Bundes­wehr mit Fallschirm­jä­gern an Bord Richtung Kabul. Sie sollen die Evaku­ie­rung absichern.

Es ist die bislang wohl größte Missi­on dieser Art der Bundes­wehr — und eine beson­ders brisan­te. «Fest steht: Es ist ein gefähr­li­cher Einsatz für unsere Solda­tin­nen und Solda­ten», schrieb das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um am Montag auf Twitter. Die Bundes­wehr war erst Ende Juni nach einem 20-jähri­gen Einsatz aus Afgha­ni­stan abgezogen.

Die Taliban hatten in den vergan­ge­nen Tagen in einem rasan­ten Tempo eine Stadt nach der anderen teilwei­se kampf­los einge­nom­men, waren am Sonntag auch in die Haupt­stadt Kabul einge­drun­gen und haben bereits den Präsi­den­ten­pa­last in ihrer Kontrol­le. Die Bundes­re­gie­rung hatte angesichts der drama­ti­schen Lage am Freitag entschie­den, das Botschafts­per­so­nal auf ein Minimum zu reduzie­ren. Am Sonntag wurden bereits alle Mitar­bei­ter zum Flugha­fen gebracht, der von mehre­ren tausend US-Solda­ten abgesi­chert wird.

Umfang der Evaku­ie­rungs­ak­ti­on noch unklar

Der erste Evaku­ie­rungs­flug wurde mit einer US-Maschi­ne absol­viert. Fortge­setzt werden soll die Aktion mit den Bundes­wehr­ma­schi­nen vom Typ A400M. Sie sollen in den nächs­ten Tagen zentra­ler Bestand­teil einer «Luftbrü­cke» sein, über die neben den Botschafts­mit­ar­bei­tern auch andere deutsche Staats­bür­ger sowie Ortskräf­te, die für die Bundes­wehr oder Bundes­mi­nis­te­ri­en in Afgha­ni­stan gearbei­tet haben oder noch arbei­ten, nach Deutsch­land bringen.

Die Maschi­nen, die Platz für 114 Passa­gie­re bieten und über beson­de­ren Schutz gegen Angrif­fe beispiels­wei­se mit Raketen verfü­gen, fliegen die Betrof­fe­nen zunächst nach Tasch­kent im Nachbar­land Usbeki­stan aus. Von dort geht es mit zivilen Maschi­nen weiter nach Deutschland.

Die Gesamt­zahl deutscher Staats­bür­ger, die bis Sonntag noch in Kabul waren, wurde auf mehr als 100 geschätzt. Um wievie­le Ortskräf­te es geht, war bis zuletzt unklar. Es ist auf jeden Fall eine Zahl im vierstel­li­gen Bereich. Allei­ne in der staat­li­chen Entwick­lungs­hil­fe waren zuletzt noch 1100 Afgha­nen in deutschem Auftrag tätig. Hinzu kommen tausen­de ehema­li­ge Ortskräf­te der Bundes­wehr oder der Bundesministerien.

«Opera­ti­ves Kernteam» soll in Kabul bleiben

Außen­mi­nis­ter Heiko Maas (SPD) sagte bereits am Sonntag, dass die Sicher­heit der deutschen Staats­an­ge­hö­ri­gen und der afgha­ni­schen Mitar­bei­ter der vergan­ge­nen Jahre «obers­te Priori­tät haben. Nach seinen Angaben wird ein «opera­ti­ves Kernteam» der Botschaft in Kabul am militä­risch gesicher­ten Teil des Flugha­fens bleiben, um die Arbeits­fä­hig­keit der Botschaft zu erhal­ten und um die weite­ren Evaku­ie­rungs­maß­nah­men mit beglei­ten zu können. Das eigent­li­che Botschafts­ge­bäu­de wurde geschlossen.

«Wir setzen jetzt alles daran, unseren Staats­an­ge­hö­ri­gen und unseren ehema­li­gen Ortskräf­ten eine Ausrei­se in den kommen­den Tagen zu ermög­li­chen», sagte Maas. «Die Umstän­de, unter denen das statt­fin­den kann, sind aber derzeit schwer vorher­zu­se­hen.» Deshalb stehe die Bundes­re­gie­rung auch in einem engen Austausch mit den USA und anderen inter­na­tio­na­len Partnern.

In der Kabinetts­sit­zung an diesem Mittwoch soll das Mandat für den Bundes­wehr­ein­satz beschlos­sen werden. Darüber unter­rich­te­te Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel (CDU) am Sonntag­abend die Vorsit­zen­den der Bundes­tags­frak­tio­nen telefo­nisch, wie die dpa aus Teilneh­mer­krei­sen erfuhr.

In der darauf­fol­gen­den Woche soll dann der Bundes­tag darüber beraten und entschei­den. Am 25. August kommt das Parla­ment ohnehin zu einer Sonder­sit­zung zusam­men, um die Hilfen für die Hochwas­ser­ge­bie­te zu beschlie­ßen. Dann soll auch der Evaku­ie­rungs­ein­satz auf die Tages­ord­nung kommen. Bei Gefahr im Verzug können bewaff­ne­te Bundes­wehr­ein­sät­ze wie in diesem Fall auch nachträg­lich vom Parla­ment manda­tiert werden.

Laschet verlangt breit angeleg­te Luftbrücke

CDU-Chef Armin Laschet verlang­te eine breit angeleg­te Luftbrü­cke der Bundes­wehr, die neben Deutschen und Ortskräf­ten etwa auch Frauen­recht­le­rin­nen aus Afgha­ni­stan holt. Es sei wichtig, dass die Bundes­wehr ihre Luftbrü­cke so lange wie möglich aufrecht erhal­te, sagte der Unions-Kanzler­kan­di­dat am Montag beim Eintref­fen zu Beratun­gen der CDU-Spitzen­gre­mi­en in Berlin.

«Diese Luftbrü­cke darf sich nicht nur bezie­hen auf Ortskräf­te, nicht nur auf deutsche Staats­an­ge­hö­ri­ge, die noch in Afgha­ni­stan sind, sondern muss auch aktive Frauen‑, Menschen­recht­le­rin­nen, Aktivis­tin­nen, Bürger­meis­te­rin­nen und andere umfas­sen. Das muss im Mandat mit vermerkt sein», sagte Laschet. Opposi­ti­on kriti­siert späte Evakuierung

Am Tempo der Evaku­ie­rungs­ak­ti­on gibt es massi­ve Kritik aus der Opposi­ti­on. Der FDP-Außen­ex­per­te Alexan­der Graf Lambs­dorff sagte der «Welt» (Online Sonntag/Print Montag), Maas, Kramp-Karren­bau­er und Innen­mi­nis­ter Horst Seeho­fer (CSU) hätten «auf ganzer Linie versagt». Auch für Grünen-Frakti­ons­chef Anton Hofrei­ter ist die Aktion zu spät angelau­fen. «Man muss sich fragen, warum die Bundes­re­gie­rung so überrascht wirkt vom schnel­len Vorstoß der Taliban», sagte er der dpa. Die Bundes­re­gie­rung müsse jetzt ganz schnell handeln.

Der Frakti­ons­ge­schäfts­füh­rer der Linken im Bundes­tag, Jan Korte, nannte das Agieren vor allem von Maas «skanda­lös». Korte warf dem Außen­mi­nis­ter vor, damit Menschen­le­ben zu gefähr­den. AfD-Frakti­ons­chef Alexan­der Gauland kriti­sier­te in der «Welt», die Bundes­re­gie­rung habe den richti­gen Zeitpunkt für die Evaku­ie­rung «verschla­fen».

Der Frakti­ons­chef der SPD im Bundes­tag, Rolf Mützenich, hatte dagegen bereits am Sonntag Vorwür­fe gegen Maas zurück­ge­wie­sen. «Heiko Maas leitet nicht nur den Einsatz­stab zur Rettung der deutschen Staats­an­ge­hö­ri­gen und Botschafts­kräf­te, sondern hat sich in den letzten Wochen auch inten­siv um die Ausrei­se der afgha­ni­schen Ortskräf­te und weite­rer Menschen, die über die Unter­stüt­zung der Bundes­wehr hinaus vor Ort tätig sind, geküm­mert.» Zudem befin­de er sich im ständi­gen Austausch mit den inter­na­tio­na­len Partnern.