ALLENSBACH (dpa) — Laute Gruppen im Netz werden zahlen­mä­ßig oft überschätzt, findet Meinungs­for­sche­rin Renate Köcher. Doch nicht nur deshalb sollte ihrer Ansicht nach die Politik öfter auf Umfra­ge-Ergeb­nis­se schauen.

Nach Ansicht von Meinungs­for­sche­rin Renate Köcher haben viele Menschen in Deutsch­land das Gefühl für Mehrhei­ten verlo­ren. «Einfach weil bestimm­te Gruppen in der Gesell­schaft sehr aktiv sind und dann auch in den Medien weit überpro­por­tio­nal Beach­tung finden», sagte die Geschäfts­füh­re­rin des Insti­tuts für Demosko­pie in Allens­bach der Deutschen Presse-Agentur. Unter anderem wegen Filter­bla­sen in sozia­len Netzwer­ken gehe sie davon aus, dass es mehr «stille Mehrhei­ten» und «laute Minder­hei­ten» gebe als früher.

«Leute, die sich weit rechts einord­nen, sind beispiels­wei­se oft im Netz sehr aktiv», sagte Köcher. «Und mir ist immer wieder unter­ge­kom­men, dass die quanti­ta­ti­ve Bedeu­tung dieser Gruppie­run­gen deswe­gen überschätzt wurde.»

Dabei gebe es schon lange einen Anteil von etwa zehn Prozent der Deutschen, die «völlig unzufrie­den» seien — und sich in letzter Zeit eben bei der AfD sammel­ten. «Das ist nichts Ungewöhn­li­ches», sagte Köcher. «Da ich hier täglich mit Bevöl­ke­rungs­um­fra­gen arbei­te, bin ich eigent­lich wesent­lich entspann­ter, als wenn ich jetzt nur Medien nutzen würde, um mir diese Gesell­schaft zu erschließen.»

Sie wünsche sich zudem, dass Politi­ker bei der Umset­zung ihrer Agenda die Meinungs­for­schung stärker einbe­zie­hen — um die Situa­ti­on und Inter­es­sen der Bevöl­ke­rung besser zu verste­hen, beton­te Köcher. So werde das Programm der Ampel-Regie­rung Umfra­gen zufol­ge vor allem von der Oberschicht goutiert. In unteren sozia­len Schich­ten herrsche dagegen Sorge vor, finan­zi­ell überfor­dert zu werden. «Die Mehrheit geht davon aus, dass diese Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se die sozia­len Unter­schie­de vergrö­ßern werden», sagte Köcher.

Umfra­gen könnten in diesem Fall zeigen, «wo sind rote Linien und was kann man tun, um die Bevöl­ke­rung, soweit es nur irgend­wie geht, mitzu­neh­men», sagte Köcher. Die Meinungs­for­sche­rin warnte in diesem Zusam­men­hang vor «einer Ameri­ka­ni­sie­rung der Gesell­schaft, wo sozia­le Unter­schie­de ein beunru­hi­gen­des Ausmaß haben, die aber einfach hinge­nom­men werden».

Das Insti­tut für Demosko­pie in Allens­bach am Boden­see wurde am 8. Mai 1947 von der Meinungs­for­sche­rin Elisa­beth Noelle-Neumann gegrün­det und führt seit 1950 auch im Auftrag der Bundes­re­gie­rung Umfra­gen durch. Bekannt wurde das Insti­tut durch seine seit 1957 erarbei­te­ten Wahlpro­gno­sen, die vor jeder Bundes­tags­wahl veröf­fent­licht werden.