YANQING (dpa) — Nach zwei bitte­ren Wochen holen die deutschen Skirenn­fah­rer doch noch die ersehn­te Olympia-Medail­le. Die Erleich­te­rung über Silber im Teame­vent ist enorm.

Der Wind pfiff ihnen gnaden­los um die Ohren, doch nirgend­wo sonst hätten die deutschen Skirenn­fah­rer in diesem Moment lieber gestan­den als im zugigen Zielraum von Yanqing. Strah­lend hängten sie sich gegen­sei­tig die Silber­me­dail­len um.

Der zweite Rang im Mixed-Teame­vent war für die Alpin-Riege des Deutschen Skiver­ban­des (DSV) nach zwei schwie­ri­gen Wochen bei den Olympi­schen Winter­spie­len in China eine regel­rech­te Erlösung. Dank eines famosen Schluss­ak­tes gingen diese anders als vor vier Jahren in Pyeongchang also doch nicht ohne Medail­le zu Ende. Fast hätte es sogar noch Gold gegeben.

«Es ist purer Genuss», sagte Lena Dürr. «Eine riesen Genug­tu­ung» verspür­te ihr Teamkol­le­ge Alexan­der Schmid. «Sehr, sehr bitter» seien die Spiele bis dahin gewesen. «Jeder hat so mitge­lit­ten», beton­te der 27-Jähri­ge. Die vierten Plätze von Dürr im Slalom und Kira Weidle in der Abfahrt waren zuvor die besten deutschen Alpin-Ergeb­nis­se am Xiaohai­tuo Mountain gewesen. Nach 2018 drohte die zweite olympi­sche Nullnum­mer in Serie. Doch dann, nachdem der Mannschafts­wett­be­werb wegen starken Windes auch noch um einen Tag verscho­ben wurde, haute das DSV-Team noch einen raus — und polier­te die insge­samt dennoch überschau­ba­re Bilanz etwas auf. Zwar wehten auch am Sonntag hefti­ge Böen über den Hang, doch die Deutschen ließen sich nicht beirren.

Mit Sieg über die USA ins Finale

Siegen gegen Schwe­den und Titel­ver­tei­di­ger Schweiz folgte ein weite­rer im Halbfi­na­le gegen die USA um Ausnah­me­ath­le­tin Mikae­la Shiffrin, die die Spiele nach einer Reihe von Enttäu­schun­gen ohne eine einzi­ge Medail­le beende­te. Im Finale gab beim Stand von 2:2 dann nur die Additi­on der Einzel­zei­ten den Ausschlag zuguns­ten der Öster­rei­cher. Linus Straßer, der sich auf dem Kurs zuvor schwer­ge­tan hatte, ließ dabei dann Julian Rauch­fuss den Vortritt. «Das war sehr spezi­ell für mich», sagte der 27-Jähri­ge. Auch, wenn er seinen eigenen Lauf nicht gewin­nen konnte, sei er Straßer «sehr dankbar».

Es war eine Geste, die viel aussagt über den Zusam­men­halt im deutschen Team, dem beim Silber-Coup neben Straßer, Rauch­fuss, Schmid und Dürr auch noch die 18-jähri­ge Emma Aicher angehör­te. Die als Ersatz­fah­re­rin vorge­se­he­ne Weidle war nach der Verle­gung des Rennens auf den Schluss­tag schon abgereist. Die WM-Zweite in der Abfahrt wäre wohl sowie­so nicht zum Einsatz gekom­men. Die Medail­le hätte die Starn­ber­ge­rin aber «genau­so verdient gehabt», beton­te Rauchfuß.

Den Charak­ter seiner Schütz­lin­ge hatte der deutsche Alpin-Direk­tor Wolfgang Maier schon vor dem Abschluss der Spiele gelobt. Trotz aller Trauer und Verzweif­lung hätten sie immer die Köpfe hochge­nom­men und zu ihren Leistun­gen gestan­den. «Das darf man nicht wegigno­rie­ren. Beson­ders nicht in unserer Zeit, in der der Werte­ver­lust grandi­os ist», sagte der 61-Jähri­ge. Dass sein Team nach Bronze bei der WM vor einem Jahr nun Silber bei Olympia holte, erleich­ter­te ihn natür­lich und löste bei ihm «eine gewis­se Form der Erlösung» aus.

Mehr Killer­instinkt gefordert

Dass es seinen Athle­tin­nen und Athle­ten mitun­ter an der aller­letz­ten Risiko­be­reit­schaft mangelt, um auch in den Einzel­ren­nen wieder ganz vorne reinzu­ste­chen, ist Maier aber auch nicht entgan­gen. «Es ist kein Killer mehr drin», sagte er. «Das sind die, die aus den letzten Hunderts­teln das Spiel noch so brutal drehen, dass sie auf dem Podium stehen. Das ist auch eine Sache der Persön­lich­keit. Wir haben gerade diesen Charak­ter nicht drin, der so ganz gnaden­los durch­zieht.» Eine Analy­se, die vor allem auf die enttäu­schen­den Speed-Herren um die Vizewelt­meis­ter Romed Baumann und Andre­as Sander abzie­len dürfte.

Wollen die deutschen Alpin-Asse wieder häufi­ger jubeln und nicht nur zum erwei­ter­ten, sondern zum engsten Favori­ten­kreis gehören, müssen sie entwe­der «technisch noch besser werden, also in der Art wie wir Ski fahren», so Maier. «Oder wir müssen – in Anfüh­rungs­zei­chen — das Schwein im Rennfah­rer noch besser ausprä­gen.» Oft waren die Deutschen bei den Spielen in China an der Weltspit­ze dran, aber nicht drin. Am Sonntag war das anders. Und die Erleich­te­rung entspre­chend riesig.

Von Chris­toph Lother, dpa