BERLIN (dpa) — Nach Gesprä­chen mit Putin glaubt Ex-Kanzler Schrö­der an die Möglich­keit eines Waffen­still­stands. Er empfiehlt die Inbetrieb­nah­me von Nord Stream 2 und sieht keinen Grund sich von Putin zu distanzieren.

Der frühe­re Bundes­kanz­ler Gerhard Schrö­der hat sich nach Gesprä­chen in Moskau zuver­sicht­lich gezeigt, dass Russland im Krieg gegen die Ukrai­ne eine «Verhand­lungs­lö­sung» anstrebt.

Das jüngst erziel­te Abkom­men der Kriegs­par­tei­en zu den Getrei­de-Expor­ten aus der Ukrai­ne sei ein «erster Erfolg», den man vielleicht «langsam zu einem Waffen­still­stand ausbau­en» könne, sagte das SPD-Mitglied in einem Inter­view mit dem Magazin «Stern» und dem Sender «RTL/ntv».

Er habe sich vorige Woche in Moskau mit dem russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin getrof­fen. «Die gute Nachricht heißt: Der Kreml will eine Verhand­lungs­lö­sung», meinte Schröder.

Schrö­der: Krim für Kiew verloren

Es sei «ein großer Fehler, mögli­che Zugeständ­nis­se der Ukrai­ne als russi­schen «Diktat­frie­den» vorab zu verun­glimp­fen», sagte Schrö­der. Er meinte, die wirklich relevan­ten Proble­me seien lösbar, darun­ter ein Kompro­miss für die ostukrai­ni­sche Region Donbass sowie die Frage einer mögli­chen «bewaff­ne­ten Neutra­li­tät» für die Ukrai­ne als Alter­na­ti­ve zu einer Nato-Mitgliedschaft.

Schrö­der beton­te in dem Inter­view, die Schwarz­meer-Halbin­sel Krim — die Russland bereits 2014 annek­tiert hatte — sei aus seiner Sicht für Kiew verlo­ren. «Die Vorstel­lung, dass der ukrai­ni­sche Präsi­dent [Wolodym­yr] Selen­skyj die Krim militä­risch wieder zurück­er­obert, ist doch abwegig», sagte er. «Wer glaubt denn ernst­haft, dass ein russi­scher Präsi­dent die Krim je wieder aufge­ben könnte?»

Ausdrück­lich lobte Schrö­der die Vermitt­lungs­be­mü­hun­gen des türki­schen Präsi­den­ten Recep Tayyip Erdogan in dem Konflikt. «Aber ohne ein Ja aus Washing­ton wird es nicht gehen», schränk­te Schrö­der mit Blick auf die Haltung der US-Regie­rung ein.

«Wenn es wirklich eng wird, gibt es diese Pipeline»

Angesichts der Gaskri­se empfiehlt Schrö­der außer­dem die Inbetrieb­nah­me der Pipeline Nord Stream 2. «Sie ist fertig. Wenn es wirklich eng wird, gibt es diese Pipeline, und mit beiden Nord-Stream-Pipelines gäbe es kein Versor­gungs­pro­blem für die deutsche Indus­trie und die deutschen Haushal­te.» Schrö­der bezeich­ne­te die Inbetrieb­nah­me von Nord Stream 2 mit Blick auf mögli­che Gaseng­päs­se als die «einfachs­te Lösung».

Schrö­der ist Präsi­dent des Verwal­tungs­rats bei Nord Stream 2. Die Bundes­re­gie­rung hatte nach dem Beginn des russi­schen Angriffs­kriegs in der Ukrai­ne die Inbetrieb­nah­me von Nord Stream 2 ausge­schlos­sen. Jüngst hatten sich sieben Bürger­meis­ter der Ostsee­insel Rügen für eine Nutzung der Pipeline ausgesprochen.

«Wenn man Nord Stream 2 nicht benut­zen will, muss man die Folgen tragen. Und die werden auch in Deutsch­land riesig sein», sagte Schrö­der. Jeder, der mit Gas heize, bekom­me das schon jetzt zu spüren. «Für uns, die wir hier sitzen, ist das unange­nehm, aber es ist zu schaf­fen. Aber für ganz viele Leute, die mit jedem Cent rechnen müssen, wird das richtig hart. Und dann wird man in Deutsch­land fragen: Warum verzich­ten wir eigent­lich auf das Gas aus der Pipeline Nord Stream 2? Warum?»

Schrö­der will sich nicht von Putin distanzieren

Schrö­der sieht trotz des russi­schen Krieges gegen die Ukrai­ne keinen Anlass, sich von Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin zu distan­zie­ren. «Ich habe mehrfach den Krieg verur­teilt, das wissen Sie. Aber würde eine persön­li­che Distan­zie­rung von Wladi­mir Putin wirklich irgend­je­man­dem etwas bringen?», fragt Schrö­der in einem Inter­view mit dem Magazin «Stern» und dem Sender «RTL/ntv» (Mittwoch). «Muss ich denn über jedes Stöck­chen sprin­gen, das mir hinge­hal­ten wird? So bin ich nicht. Ich habe da Entschei­dun­gen getrof­fen, und dazu stehe ich, und ich habe klarge­macht: Vielleicht kann ich noch mal nützlich sein. Warum soll ich mich also entschul­di­gen», fügte Schrö­der hinzu.

Der Altkanz­ler steht seit langem wegen seiner Nähe zu Putin und zur russi­schen Öl- und Gaswirt­schaft in der Kritik. Auf den Hinweis im Inter­view, dass man bei einer Distan­zie­rung immer­hin wüsste, wo er moralisch stehe, antwor­te­te der 78-Jähri­ge: «Ach, das ist schon verrückt. Sehen Sie mal, ich bin hier Mitglied in einem Golfklub bei Hanno­ver. Da hat ein anderes Mitglied sich beschwert, weil er mich da ab und zu sehen müsse. Aber ich kriege auch viele Briefe aus Deutsch­land, in denen steht: Gut, dass es noch jeman­den gibt, der Gesprächs­ka­nä­le mit Russland im aktuel­len Konflikt offenhält.»

Entschei­dung über Schrö­ders Zukunft in der SPD naht

Der Altkanz­ler steht seit langem wegen seiner Nähe zu Putin und zur russi­schen Öl- und Gaswirt­schaft in der Kritik. Schrö­der bezeich­ne­te den Krieg nun erneut als «Fehler der russi­schen Regie­rung», vertei­dig­te aber gleich­zei­tig seine Kontak­te nach Moskau. «Aber warum sollte ich mit Gesprä­chen, die recht­lich möglich sind und mich und meine Familie nicht in Schwie­rig­kei­ten bringen, aufhö­ren?» fragte er in dem Interview.

In den kommen­den Tagen will die Schieds­kom­mis­si­on des SPD-Unter­be­zirks Region Hanno­ver über einen mögli­chen Partei­aus­schluss entschei­den. Die recht­li­chen Hürden für eine Partei­stra­fe oder gar einen Ausschluss sind aller­dings sehr hoch.