BRASILIA (dpa) — Szenen wie beim Sturm auf das US-Kapitol: Eine Woche nach dem Amtsan­tritt von Links­po­li­ti­ker Lula dringen Tausen­de Anhän­ger des rechten Ex-Präsi­den­ten Bolso­n­a­ro in Kongress und Regie­rungs­sitz ein.

Radika­le Anhän­ger von Ex-Präsi­dent Jair Bolso­n­a­ro haben das Regie­rungs­vier­tel in der brasi­lia­ni­schen Haupt­stadt Brasí­lia gestürmt und kurzzei­tig die Schalt­zen­tra­len der wichtigs­ten Staats­ge­wal­ten des Landes unter ihre Kontrol­le gebracht. Sie drangen gestern in den Natio­nal­kon­gress, den Obers­ten Gerichts­hof und den Regie­rungs­sitz Palácio do Planal­to ein und randa­lier­ten in Sitzungs­sä­len und Büros.

«Was sie heute getan haben, ist beispiel­los in der Geschich­te des Landes», sagte Staats­chef Luiz Inácio Lula da Silva, der zum Zeitpunkt der Attacke nicht in der Haupt­stadt war. «Das war Barba­rei Das waren Faschis­ten. Sie müssen gefun­den und bestraft werden.» Der Links­po­li­ti­ker hatte Brasi­li­en bereits zwischen 2003 und 2010 regiert und erst vor einer Woche als erster demokra­tisch gewähl­ter Präsi­dent des südame­ri­ka­ni­schen Landes eine dritte Amtszeit angetreten.

Hass auf die neue Regierung

Tausen­de Bolso­n­a­ro-Fans hatten zuvor das Regie­rungs­vier­tel gestürmt. Die Polizei wirkte völlig überrum­pelt. Schnell rissen die Demons­tran­ten die Straßen­sper­ren ein und dräng­ten die Beamten zurück. Bald standen sie auf dem Dach des Kongres­ses und schwenk­ten brasi­lia­ni­sche Natio­nal­flag­gen. Kurz darauf drangen sie auch in den Obers­ten Gerichts­hof und den Regie­rungs­sitz ein.

Im Inneren der Gebäu­de ließen die Randa­lie­rer ihrem Hass auf die neue Links­re­gie­rung freien Lauf. Sie stießen Stühle und Schreib­ti­sche um, warfen Fenster­schei­ben ein, beschä­dig­ten Kunst­wer­ke und schmier­ten Parolen an die Wände. Ein Angrei­fer nahm sogar die Bürotür des bei Boloso­n­a­ro-Anhän­gern beson­ders verhass­ten Bundes­rich­ters Alexand­re de Moraes als Trophäe mit.

Erst nach Stunden brach­ten die Sicher­heits­kräf­te die Lage wieder unter Kontrol­le. Die Militär­po­li­zei rückte mit Reiter­staf­feln und gepan­zer­ten Fahrzeu­gen auf den Platz der drei Staats­ge­wal­ten im Zentrum der Haupt­stadt vor. Spezi­al­kräf­te setzen Tränen­gas ein, Hubschrau­ber kreis­ten über dem Regie­rungs­vier­tel. Rund 230 Verdäch­ti­ge wurden festge­nom­men, wie Justiz­mi­nis­ter Flavio Dino mitteilte.

Polizis­ten machen Selfies mit Demonstranten

Gerade zu Beginn der Krawal­le gab die Polizei keine gute Figur ab. Schon seit Tagen kampier­ten zahlreich­rei­che Bolso­n­a­ro-Anhän­ger vor dem Haupt­quar­tier der Streit­kräf­te. Als am Samstag und Sonntag rund 4000 weite­re Unter­stüt­zer des Ex-Präsi­den­ten in Bussen in der Haupt­stadt eintra­fen und zum Regie­rungs­vier­tel zogen, wurden sie sogar von Beamten eskor­tiert. Polizis­ten machten Selfies mit den Demons­tran­ten und drehten Handy-Videos, wie im Fernse­hen zu sehen war.

Der Sicher­heits­chef von Brasí­lia, Ander­son Torres, war unter Bolso­n­a­ro Justiz­mi­nis­ter und gilt als Gefolgs­mann des Ex-Präsi­den­ten. Er wurde noch am Sonntag entlas­sen. Lula stell­te die öffent­li­che Sicher­heit in der Haupt­stadt per Dekret unter Bundes­auf­sicht. Auch in der Polizei hat der frühe­re Staats­chef Bolso­n­a­ro offen­bar noch immer viele Sympa­thi­san­ten. Als der Mob das Regie­rungs­vier­tel stürm­te, stell­ten sich ihm jeden­falls nur wenige Beamte entgegen.

Bolso­n­a­ro verur­teil­te den Angriff seiner radika­len Anhän­ger auf das Regie­rungs­vier­tel. «Fried­li­che Demons­tra­tio­nen sind Teil der Demokra­tie. Plünde­run­gen und Überfäl­le auf öffent­li­che Gebäu­de, wie sie heute statt­ge­fun­den haben, fallen jedoch nicht darun­ter», schrieb der rechte Ex-Staats­chef auf Twitter. «Während meiner gesam­ten Amtszeit habe ich mich stets an die Verfas­sung gehal­ten und die Geset­ze, die Demokra­tie, die Trans­pa­renz und unsere heili­ge Freiheit geach­tet und verteidigt.»

Lula warf Bolso­n­a­ro vor, seine Anhän­ger aufge­sta­chelt zu haben. «Sie nutzten die sonntäg­li­che Stille, als wir noch dabei waren, die Regie­rung zu bilden, um zu tun, was sie taten. Es gibt mehre­re Reden des ehema­li­gen Präsi­den­ten, in denen er dies befür­wor­tet. Dies liegt auch in seiner Verant­wor­tung und in der Verant­wor­tung der Partei­en, die ihn unter­stützt haben», sagte Lula.

Bolso­n­a­ro derzeit in den USA

Bolso­n­a­ro verbat sich die Anschul­di­gun­gen. «Ich weise die Vorwür­fe zurück, die der derzei­ti­ge Chef der brasi­lia­ni­schen Regie­rung ohne Bewei­se erhebt», schrieb er. Der Ex-Militär hatte mit seiner Familie Brasi­li­en bereits zwei Tage vor dem Ende seiner Amtszeit verlas­sen und war in die USA gereist.

Die Szenen in Brasí­lia erinner­ten an die Ausschrei­tun­gen am Sitz des US-Kongres­ses in Washing­ton am 6. Januar 2021. Damals hatten Anhän­ger von Donald Trump das Kapitol gestürmt, in dem die Wahlnie­der­la­ge des Republi­ka­ners gegen Joe Biden beglau­bigt werden sollte. Die Menge drang gewalt­sam in das Gebäu­de ein, fünf Menschen starben.

US-Präsi­dent Biden nannte die Vorfäl­le nach Angaben seiner Spreche­rin «ungeheu­er­lich». «Unsere Unter­stüt­zung für die demokra­ti­schen Insti­tu­tio­nen Brasi­li­ens ist unerschüt­ter­lich», erklär­te sein Natio­na­ler Sicher­heits­be­ra­ter Jake Sulli­van. Auch der EU-Außen­be­auf­trag­te Josep Borrell stärk­te der neuen Regie­rung von Lula den Rücken. «Die EU verur­teilt die antide­mo­kra­ti­schen Akte der Gewalt, die am Sonntag, den 8. Januar, im Herzen des Regie­rungs­vier­tels von Brasí­lia statt­ge­fun­den haben», teilte Borrell am Sonntag­abend mit. «Die brasi­lia­ni­sche Demokra­tie wird über Gewalt und Extre­mis­mus siegen», hieß es weiter.

EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen nannte die Randa­le einen «Angriff auf die Demokra­tie». Sie schrieb am Montag auf Twitter, ihre ganze Unter­stüt­zung gelte dem neuen Präsi­den­ten Luiz Inácio Lula da Silva, der frei und fair gewählt worden sei. Fast wortgleich äußer­te sich EU-Ratschef Charles Michel.

Der rechte Präsi­dent Bolso­n­a­ro war im vergan­ge­nen Oktober dem Links­po­li­ti­ker Lula in der Stich­wahl unter­le­gen und zum Jahres­wech­sel aus dem Amt geschie­den. Bereits vor der Wahl hatte er immer wieder Zweifel am Wahlsys­tem gestreut. Bewei­se dafür legte er aller­dings nie vor. Auch nach der Abstim­mung erkann­te er seine Nieder­la­ge nie ausdrück­lich an. Seine Anhän­ger blockier­ten immer wieder Landstra­ßen, kampier­ten vor Kaser­nen und forder­ten eine Militär­in­ter­ven­ti­on zuguns­ten des abgewähl­ten Staatschefs.

Von Denis Düttmann, dpa