TURIN/RAVENSBURG (dpa) — Die Mafia-Banden der ‘Ndran­ghe­ta drängen in die legale Wirtschaft. Auch hierzu­lan­de haben die Clans längst Fuß gefasst, wie Großraz­zi­en in Deutsch­land und Itali­en zeigen: Restau­rants im ganzen Land sind betroffen.

Rund 800 Polizis­ten und Steuer­fahn­der aus Deutsch­land und Itali­en im Anti-Mafia-Einsatz, 33 Haftbe­feh­le und Dutzen­de Durch­su­chun­gen: Das ist die Bilanz eines spekta­ku­lä­ren Schlags gegen den inter­na­tio­na­len Kokain-Handel durch die kalabre­si­sche Mafia-Organi­sa­ti­on ‘Ndran­ghe­ta. Zugleich deckten die Ermitt­ler am Mittwoch in Deutsch­land ein Netzwerk auf, bei dem italie­ni­sche Lokale und Lebens­mit­tel­lä­den genutzt wurden, um — so der Vorwurf — Steuer­be­trug in großem Stil zu betreiben.

«Mit dieser Opera­ti­on haben wir viel über ein Verbre­chen gelernt, von dem viele nicht glauben, dass es in Deutsch­land existiert», sagte der Leiten­de Oberstaats­an­walt Johan­nes-Georg Roth aus Konstanz bei einer gemein­sa­men Presse­kon­fe­renz mit seinen italie­ni­schen Kolle­gen in Turin. «Heute ist ein schöner Tag für die Straf­ver­fol­gung und ein schlech­ter Tag für die dunkle Seite der Macht.»

Die Ermitt­lun­gen waren unter anderem von der Staats­an­walt­schaft in der Haupt­stadt der Region Piemont im Norden Itali­ens gesteu­ert worden. In Spani­en und Rumänen sei man ebenfalls aktiv gewesen. Bei den Razzi­en unter dem Namen «Opera­ti­on Plati­num» gab es nach deutschen Angaben 46 Durch­su­chun­gen etwa in Baden-Württem­berg, Bayern, Nordrhein-Westfa­len und Hessen. Ein Schwer­punkt der Ermitt­lun­gen lag in der Boden­see­re­gi­on. In Deutsch­land hätten die Krimi­nel­len auch Touris­ten­lo­ka­le in ihre Geschäf­te einbe­zo­gen, berich­te­ten die Fahnder in Turin.

In Itali­en durch­such­ten Ermitt­ler mehr als 40 Objek­te etwa in den Regio­nen Piemont, Kalabri­en und auf Sardi­ni­en. Insge­samt sprachen die Behör­den von rund 90 Verdäch­ti­gen. Die Vorwür­fe reichen von Zugehö­rig­keit zu einer Mafia-Verei­ni­gung über Kokain-Handel mit mehre­ren Hundert Kilo bis hin zu Geldwä­sche, Erpres­sung und Umsatzsteuerbetrug.

Die Behör­den beider Länder lobten die Zusam­men­ar­beit im Kampf gegen die ‘Ndran­ghe­ta als «beispiel­haft». Die Opera­ti­on habe vor mehre­ren Jahren begon­nen, berich­te­te die Turiner Staats­an­wäl­tin Anna Maria Loreto. Auch die europäi­schen Behör­den Europol und Eurojust waren beteiligt.

Die italie­ni­schen Mafia-Jäger beton­ten, dass das Einsi­ckern der ‘Ndran­ghe­ta in die regulä­re Wirtschaft eine Gefahr darstel­le. Itali­ens Innen­mi­nis­te­rin Lucia­na Lamor­ge­se lobte die Aktion als ein Signal, um das Unter­wan­dern der legalen Wirtschaft zu stoppen. Aus Itali­en ist bekannt, dass organi­sier­te Krimi­nel­le in der Corona-Krise die Geldnot von Bars und Pizze­ri­en ausnutz­ten. Sie übernah­men zum Teil auch verschul­de­te Läden in die eigene Regie.

In dem jetzt aufge­deck­ten Netzwerk machten die Ermitt­ler zwei «Geschäfts­zwei­ge» aus: Zum einen soll Kokain aus den Nieder­lan­den nach Itali­en trans­por­tiert und dort verkauft worden sein. Die Polizei geht dabei von Kontak­ten zu kolum­bia­ni­schen Drogen­händ­lern in den Nieder­lan­den und Spani­en aus.

Der deutsche ‘Ndran­ghe­ta-Zweig habe zudem Schwer­punk­te bei Umsatz­steu­er­be­trug und Geldwä­sche gehabt — etwa im Handel mit Lebens­mit­teln und Autos, hieß es. Die Banden hätten zum Beispiel Essen aus Itali­en einge­führt. Die Ware wurde den Angaben zufol­ge an italie­ni­sche Restau­rants und Händler in ganz Deutsch­land gelie­fert. Dabei sollen Umsatz­steu­ern unter­schla­gen worden und illega­le Gewin­ne nach Itali­en zurück­ge­schafft worden sein.

Außer­dem hätten die Verkäu­fer auf die Läden Druck gemacht, die Produk­te zu bestimm­ten Kondi­tio­nen zu kaufen. Auf deutscher Seite waren unter anderem das Polizei­prä­si­di­um Ravens­burg und die Steuer­fahn­der aus Ulm einge­bun­den. Beschlag­nahmt wurden außer Drogen auch Daten­trä­ger, Handys und Bargeld. «Wir haben ‘Ndran­ghe­ta, Cosa Nostra und Konsor­ten fest im Blick», lobte der baden-württem­ber­gi­sche Innen­mi­nis­ter Thomas Strobl (CDU).

In Deutsch­land wurden den Ermitt­lern zufol­ge drei Haftbe­feh­le erlas­sen, aber nur einer dieser Verdäch­ti­gen konnte gefasst werden. In Itali­en gab es 30 Haftbefehle.

Die ‘Ndran­ghe­ta gehört zu den mächtigs­ten Mafia-Organi­sa­tio­nen der Welt. Behei­ma­tet ist sie in der Region Kalabri­en, der Spitze des italie­ni­schen «Stiefels». Die Clans besit­zen längst auch starke Stand­bei­ne in Deutsch­land. So waren Mitglie­der der Organi­sa­ti­on etwa für die Mafia-Morde von Duisburg verant­wort­lich, bei denen 2007 sechs Menschen vor einer Pizze­ria erschos­sen wurden.

Die ‘Ndran­ghe­ta dominiert den inter­na­tio­na­len Drogen­han­del, verdient ihr Geld aber auch mit Waffen­ge­schäf­ten, Geldwä­sche, im Bausek­tor und in anderen Wirtschafts­zwei­gen. In Itali­en gehen die Behör­den fast jede Woche mehrmals in größe­ren Aktio­nen gegen Mafia-Banden vor. Seit Januar läuft zudem in der südita­lie­ni­schen Stadt Lamezia Terme ein Groß-Prozess gegen mehr als 300 mutmaß­li­che ‘Ndran­ghe­ta-Mitglie­der und ihre Helfer.

Von Petra Kamin­sky und Frede­rick Mersi, dpa