BERLIN/KIEW (dpa) — Kiew will eine «Inter­na­tio­na­le Legion» — 20.000 sollen sich bereits gemel­det haben. Auch Deutsche wollen an der Seite der Ukrai­ne kämpfen. Russland droht auslän­di­schen Freiwilligen.

Der Krieg holte Siegfried einen Tag vor seiner geplan­ten Abrei­se aus der Ukrai­ne ein. Detona­tio­nen hätten ihn geweckt, sagt er — jetzt, zwei Wochen später — telefo­nisch aus Kiew. «Da war klar, der Krieg hat begonnen.»

Der Deutsche blieb und schloss sich dem ukrai­ni­schen Freiwil­lig­heer an, der sogenann­ten terri­to­ria­len Vertei­di­gung. «Die Motiv­la­ge? Ich fand das zu feige und zu doof, vor diesem Kampf zu fliehen», sagt er.

Nun ist er mit Anfang 40 Zugfüh­rer, wie er sagt. Ihm unter­ste­hen demnach etwa 30 Menschen in einer Truppe, die sich auf die Vertei­di­gung der ukrai­ni­schen Haupt­stadt als Verstär­kung der Streit­kräf­te vorbe­rei­tet. Sie hätten einfa­che Waffen, wie das Sturm­ge­wehr Kalasch­ni­kow. Nötig wären mehr Schutz­wes­ten, Fahrzeu­ge und Nacht­sicht­ge­rä­te — und überhaupt mehr Waffen.

Wie viele Deutsche in die Ukrai­ne gereist sind

Als junger Mann habe er Wehrdienst bei der Fallschirm­jä­ger­trup­pe der Bundes­wehr geleis­tet, sei gelern­ter Anlagen­tech­ni­ker und habe als Trucker in Kanada gearbei­tet, sagt Siegfried. Von 2015 an — nach der Annexi­on der Krim und wegen des Kriegs im Donbass — habe er sich mehre­re Jahre ukrai­ni­schen Streit­kräf­ten angeschlos­sen. Nun sagt er: «Die einzi­ge Antwort, die die russi­sche Armee von weite­ren Angrif­fen abhält, ist eine militä­ri­sche Niederlage.»

Nach Angaben aus ukrai­ni­schen Regie­rungs­krei­sen sollen insge­samt mehre­re Hundert deutsche Staats­bür­ger in die Ukrai­ne gereist sein, um dort gegen die russi­schen Angrei­fer zu kämpfen. Ukrai­ni­sche Medien überschla­gen sich mit Zahlen, wie viele Auslän­der sich insge­samt für eine geplan­te «Inter­na­tio­na­len Legion» gemel­det haben sollen. Zahlen von mehr als 20.000 Freiwil­li­gen aus 52 Ländern kursieren.

Der stell­ver­tre­ten­de Innen­mi­nis­ter Jewhe­nij Jenin wollte im ukrai­ni­schen Fernse­hen keine konkre­ten Angaben machen: «Ich möchte hervor­he­ben, dass ihre Zahl steigt.» Es gebe Verant­wort­li­che bei Grenz­schutz und Migra­ti­ons­dienst, welche die Einrei­se in die Ukrai­ne organi­sie­ren. Danach würden die Freiwil­li­gen vom Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um betreut. «Sie erhal­ten einen entspre­chen­den Vertrag, erhal­ten einen Militär­aus­weis, der die Aufent­halts­ge­neh­mi­gung ersetzt», erläu­ter­te Jenin.

«Das sind Freiwil­li­ge, es gibt keinen Sold»

Zukünf­tig stünde ihnen der Erwerb der ukrai­ni­schen Staats­bür­ger­schaft offen. Die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te legen Wert darauf, dass es sich nicht um Söldner hande­le. «Das sind Freiwil­li­ge, es gibt keinen Sold», heißt es in den Regie­rungs­krei­sen. «Ihnen soll nicht vorge­wor­fen werden, dass sie für Geld kämpfen.

Die Zahlen­an­ga­ben lassen sich vorerst nicht unabhän­gig überprü­fen. Im Falle der Deutschen schei­tert es schon daran, dass es bei der Ausrei­se aus der Bundes­re­pu­blik auf dem Landweg keine Grenz­kon­trol­len gibt. So haben deutsche Sicher­heits­be­hör­den ausschließ­lich die Bewegun­gen erkann­ter Rechts­extre­mis­ten auf dem Schirm. Nach Infor­ma­tio­nen der Deutschen Presse-Agentur wurden zuletzt drei solcher Ausrei­sen in das Kriegs­ge­biet verzeichnet.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj hatte Auslän­der vor gut einer Woche aufge­for­dert, der Inter­na­tio­na­len Legion zum Kampf gegen Russland in der Ukrai­ne beizu­tre­ten. Er nannte eine Zahl von 16.000 Kämpfern als Ziel. Die ersten Freiwil­li­gen aus dem Ausland seien bereits einge­trof­fen. Selen­skyj: «Sie kommen, um die Freiheit, das Leben zu vertei­di­gen. Für uns, für uns alle.»

Im Inter­net und in sozia­len Medien wird mit teils martia­li­schen Filmen, die sich an «alle Helden der freien Welt» richten, um Hilfe gewor­ben. «Schließt euch dem Kampf für Freiheit, die Menschen­rech­te, die freie Welt an.»

Russland droht auslän­di­schen Kämpfern

Russland drohte auslän­di­schen Kämpfern. «Ich möchte offizi­ell betonen, dass alle vom Westen entsand­ten Söldner, die dem natio­na­lis­ti­schen Kiewer Regime helfen, (…) kein Recht auf den Status eines Kriegs­ge­fan­ge­nen haben», sagte der Sprecher des Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums, Igor Konaschen­kow, der Nachrich­ten­agen­tur Inter­fax zufol­ge. Sie sollten «sieben­mal nachden­ken, bevor sie abrei­sen». Russland werde sie «straf­recht­lich zur Verant­wor­tung ziehen, sollten sie aufge­grif­fen werden».

Aus deutscher Sicht können in Deutsch­land leben­de ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge ohne Sanktio­nen in ihre Heimat reisen, um sich dort an der Vertei­di­gung zu betei­li­gen. Das gilt auch bei deutsch-ukrai­ni­schen Doppel­staat­lern. «Das ist nach deutschem Recht nicht zu unter­sa­gen. Das ist sozusa­gen möglich», sagte ein Sprecher des Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­ums in der vergan­ge­nen Woche.

Grund­sätz­lich gilt bei Doppel­staat­lern, dass sie ihre deutsche Staats­an­ge­hö­rig­keit verlie­ren können, wenn sie freiwil­lig in die Streit­kräf­te ihres anderen Heimat­lan­des eintre­ten, jedoch nicht im Pflichtwehrdienst.

So ist die Rechts­la­ge für deutsche Kämpfer

Wieder anders ist der Fall gelagert, wenn Freiwil­li­ge ausschließ­lich die deutsche Staats­an­ge­hö­rig­keit haben. Wenn sich jemand aus dieser Gruppe an Kampf­hand­lun­gen betei­ligt, kommt es für eine mögli­che Straf­bar­keit maßgeb­lich auf das humani­tä­re Völker­recht an, wie eine Spreche­rin des Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums erklär­te. «Wenn eine Tötungs- oder Verlet­zungs­hand­lung nach dem Völker­recht erlaubt ist, dann ist sie auch nach dem deutschen Straf­recht nicht straf­bar», sagte sie.

Es ist also nicht etwa grund­sätz­lich verbo­ten, sich der Vertei­di­gung anzuschließen.

Auf ukrai­ni­scher Seite in Berlin will sich aber trotz­dem niemand zu den deutschen Freiwil­li­gen äußern. Der Grund dafür steht im deutschen Straf­ge­setz­buch, Paragraf 109h, und mag viele überra­schen. «Wer zuguns­ten einer auslän­di­schen Macht einen Deutschen zum Wehrdienst in einer militä­ri­schen oder militär­ähn­li­chen Einrich­tung anwirbt oder ihren Werbern oder dem Wehrdienst einer solchen Einrich­tung zuführt, wird mit Freiheits­stra­fe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft», heißt es da. Schon der Versuch sei strafbar.

Von Carsten Hoffmann, Andre­as Stein und Micha­el Fischer, dpa