STOCKHOLM (dpa) — Die Ampel­par­tei­en haben sich eine Offen­si­ve bei der Abrüs­tungs­po­li­tik vorge­nom­men. Inter­na­tio­nal wollen sie eine Führungs­rol­le spielen. Außen­mi­nis­te­rin Baerbock will nun erste Signa­le setzen.

Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock reist an diesem Diens­tag zu einer Abrüs­tungs­kon­fe­renz nach Stockholm.

In der schwe­di­schen Haupt­stadt will die Grünen-Politi­ke­rin an Beratun­gen der sogenann­ten Stock­holm Initia­ti­ve auf Minis­ter­ebe­ne teilneh­men, in der sich seit 2019 insge­samt 16 Länder für atoma­re Abrüs­tung einset­zen. Die Staaten besit­zen keine Atomwaf­fen. Neben Deutsch­land, Spani­en und Schwe­den haben sich unter anderen Japan, Kanada und Argen­ti­ni­en der Staaten­grup­pe angeschlossen.

Baerbock trifft Amtskollegin

Baerbock will in Stock­holm auch ihre schwe­di­sche Amtskol­le­gin Ann Linde treffen — beide leiten das Treffen der Stock­holm Initia­ti­ve. Bei dem Gespräch der beiden Außen­mi­nis­te­rin­nen dürfte es auch um den Ukrai­ne-Konflikt und die angespann­te Lage an der russisch-ukrai­ni­schen Grenze gehen. Schwe­den hat den Vorsitz in der Organi­sa­ti­on für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Europa (OSZE). Die OSZE gilt als einer der mögli­chen Platt­for­men, auf denen über eine Entschär­fung des Ukrai­ne-Konflikts disku­tiert werden könnte.

Linde erklär­te vor dem Abrüs­tungs­tref­fen, das Risiko des Einsat­zes von Atomwaf­fen sei so groß wie seit langem nicht mehr. «Die nuklea­re Abrüs­tung ist eine Voraus­set­zung für den Schutz der Mensch­heit und unserer gemein­sa­men Sicher­heit», schrieb sie in einer Mitteilung.

Koali­ti­ons­ver­trag zu Abrüstung

Im Koali­ti­ons­ver­trag von SPD, Grünen und FDP heißt es zu «Abrüs­tung, Rüstungs­kon­trol­le, Rüstungs­expor­te»: «Wir brauchen eine abrüs­tungs­po­li­ti­sche Offen­si­ve und wollen eine führen­de Rolle bei der Stärkung inter­na­tio­na­ler Abrüs­tungs­in­itia­ti­ven und Nicht­ver­brei­tungs­re­gimes einneh­men, u.a. bei der Stock­holm-Initia­ti­ve für Nuklea­re Abrüs­tung.» Man werde sich dafür einset­zen, dass von der Überprü­fungs­kon­fe­renz des Nicht­ver­brei­tungs­ver­tra­ges (NVV) im Jahr 2022 ein wirkli­cher Impuls für die nuklea­re Abrüs­tung ausge­he. «Unser Ziel bleibt eine atomwaf­fen­freie Welt (Global Zero) und damit einher­ge­hend ein Deutsch­land frei von Atomwaffen.»

Die Ampel setze sich mit Nachdruck für ein Nachfol­ge­ab­kom­men zu NewSTART ein, das neben neuen strate­gi­schen Nukle­ar­waf­fen­sys­te­men auch solche kurzer und mittle­rer Reich­wei­te umfasst, heißt in dem Vertrag weiter. Man setze sich für Verhand­lun­gen zwischen den USA und Russland zur vollstän­di­gen Abrüs­tung im substra­te­gi­schen Bereich ein. Nukle­ar­waf­fen­staa­ten wie China sollten stärker in nuklea­re Abrüs­tung und Rüstungs­kon­trol­le einge­bun­den werden.

Beobach­ter bei Vertrags­staa­ten­kon­fe­renz zum Atomwaffenverbotsvertrag

Im Koali­ti­ons­ver­trag ist festge­legt, dass Deutsch­land als Beobach­ter an der Vertrags­staa­ten­kon­fe­renz des Atomwaf­fen­ver­bots­ver­trags teilnimmt. Die Nato setzt hinge­gen auf atoma­re Abschre­ckung. Die sogenann­te nuklea­re Teilha­be sieht vor, dass in Europa statio­nier­te Atomwaf­fen der USA im Ernst­fall auch von Flugzeu­gen von Partner­staa­ten abgewor­fen werden. Deutsch­land ist daran beteiligt.

Der Atomwaf­fen­ver­bots­ver­trag war im Januar in Kraft getre­ten. Dem Abkom­men hatten 2017 insge­samt 122 der 193 UN-Mitglie­der zugestimmt. Darun­ter war aber keine der mutmaß­lich neun Atommäch­te und auch kein Nato-Staat. Die Nato hält die bestehen­den Verträ­ge für eine wirksa­me­re Grund­la­ge für konkre­te Abrüs­tungs­schrit­te. Der im Koali­ti­ons­ver­trag vorge­se­he­ne Beobach­ter­sta­tus signa­li­siert ein Ende der grund­sätz­li­chen Ableh­nung des Vertrags durch Berlin.

Wie viele Atomspreng­köp­fe lagern wo?

Die USA hatte im Oktober erstmals seit Jahren die Zahl ihrer Atomspreng­köp­fe veröf­fent­licht. Laut US-Außen­mi­nis­te­ri­um gab es am 30. Septem­ber 2020 einen Bestand von 3750 Atomspreng­köp­fen. Das waren 55 weniger als im Jahr zuvor. Seit 1994 hätten die USA 11 683 Atomspreng­köp­fe abgebaut. Seit dem Höchst­stand im Jahr 1967 sei die Zahl der Spreng­köp­fe im US-Arsenal um 88 Prozent gesun­ken. Zum Höhepunkt des Kalten Krieges verfüg­ten die USA über einen Bestand von 31.255 Sprengköpfen.

Nach einer Statis­tik des Stock­hol­mer Friedens­for­schungs­in­sti­tuts Sipri besitzt nur Russland mehr Atomspreng­köp­fe als die USA. Sipri schätz­te die Gesamt­zahl der Atomspreng­köp­fe der USA (inklu­si­ve der ausge­mus­ter­ten) in einer Mittei­lung vom Juni auf 5550, die Russlands auf 6255. Mit weitem Abstand folgten in der Sipri-Liste die Atommäch­te China (350), Frank­reich (290), Großbri­tan­ni­en (225), Pakistan (165), Indien (156) und Israel (90). Israel hat den Besitz von Atomwaf­fen bislang nicht offizi­ell einge­räumt. Im Fall von Nordko­rea schätzt Sipri auf Basis des produ­zier­ten spalt­ba­ren Materi­als, dass das Land 40 bis 50 Atomspreng­köp­fe bauen oder gebaut haben könnte.

Von Jörg Blank und Steffen Trumpf, dpa