WARSCHAU (dpa) — Heikler Besuch für die Bundes­au­ßen­mi­nis­te­rin: Beim Treffen mit Amtskol­le­ge Zbigniew Rau dürfte es neben der Ukrai­ne-Hilfe auch um die Repara­ti­ons­for­de­run­gen Polens gehen. Streit ist vorprogrammiert.

Hilfe für die Ukrai­ne und Streit um Repara­ti­ons­for­de­run­gen in Billio­nen­hö­he: Beim heuti­gen Treffen von Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock mit ihrem polni­schen Kolle­gen Zbigniew Rau stehen kontro­ver­se Themen an. Am Vorabend würdig­te die Grünen-Politi­ke­rin in Warschau die polni­schen Verdiens­te um die deutsche Wieder­ver­ei­ni­gung. Zugleich sicher­te sie Polen und ganz Mittel- und Osteu­ro­pa Beistand zu angesichts des russi­schen Angriffs­krie­ges gegen die Ukraine.

Die Minis­te­rin will ihren polni­schen Amtskol­le­gen Zbigniew Rau am Vormit­tag treffen. Anschlie­ßend plant sie eine Teilnah­me am Warschau­er Sicher­heits­fo­rum, an einer Diskus­si­on zur Lage im Angriffs­krieg Russlands auf die Ukrai­ne und dessen Folgen.

Baerbock an Polen: Wir werden für euch da sein

Baerbock sagte am Montag­abend bei einer Feier der deutschen Botschaft in der polni­schen Haupt­stadt zum Tag der Deutschen Einheit: «Wir werden für euch da sein, so wie ihr für uns da wart, als wir euch am dringends­ten brauch­ten.» Die Sicher­heit Osteu­ro­pas sei Deutsch­lands Sicher­heit. «Darauf können Sie sich verlas­sen», rief sie.

Der 3. Oktober erinnert an die deutsche Verei­ni­gung 1990, knapp ein Jahr nach der fried­li­chen Revolu­ti­on in der DDR im Herbst 1989. Die Polen hatten in den 80er Jahren mit Protes­ten das kommu­nis­ti­sche Regime überwun­den und damit die Wende in Osteu­ro­pa eingeleitet.

«Wir werden in unserer Unter­stüt­zung für die Ukrai­ne nicht nachlas­sen» — gemein­sam mit den Partnern in EU und Nato, versi­cher­te Baerbock. «Denn wir Deutsche werden nie verges­sen, dass wir unser Leben in Freiheit, in einem wieder­ver­ei­nig­ten Land im Herzen Europas, auch und gerade unseren Verbün­de­ten und Nachbarn zu verdan­ken haben.»

Baerbock: Handlungs­fä­hi­ge EU gemein­sa­me Lebensversicherung

Seit sieben Monaten erlebe man in Europa «einen Krieg, der mit bruta­ler Feder ein neues Kapitel unserer Geschich­te schreibt», sagte Baerbock. Die Ukrai­ner kämpf­ten nicht nur um das Überle­ben ihres Landes, sondern für ein freies Europa. «Gerade jetzt erleben wir, wie eine handlungs­fä­hi­ge Europäi­sche Union eben kein Selbst­zweck ist, sondern unsere gemein­sa­me Lebensversicherung.»

Deutsch­land und Polen seien auf ewig mitein­an­der verbun­den, sagte Baerbock. «Was wir haben, ist eine Herzens­freund­schaft zwischen Millio­nen von Menschen, eine Freund­schaft und Partner­schaft, die stärker ist als politi­sche Meinungs­ver­schie­den­hei­ten.» An dieser Freund­schaft müsse immer wieder neu gearbei­tet werden, «so heraus­for­dernd das auch manch­mal sein mag».

Appell an Polens PiS-Regie­rung: Partner­schaft bewahren

Schon vor ihrem Abflug hatte Baerbock nach den Repara­ti­ons­for­de­run­gen und schar­fen Tönen der natio­nal­kon­ser­va­ti­ven Regie­rung an Polen appel­liert, die partner­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit zu bewah­ren. «Als Partner in einem gemein­sa­men Europa haben wir die Chance, unsere Zukunft zum Wohl unserer Kinder zu gestal­ten», erklär­te sie. «Wir haben aber auch die Verant­wor­tung, das Vertrau­en, das wir über die letzten dreißig Jahre gemein­sam aufge­baut haben, zu bewah­ren.» Aufar­bei­tung und Erinne­rung an «das unermess­li­che Leid, das Deutsch­land über die Menschen in Polen gebracht hat» würden wichti­ge Aufga­ben bleiben. «Hier kann und wird es keinen Schluss­strich geben.»

Repara­ti­ons­for­de­run­gen von 1,3 Billio­nen Euro

Polens PiS-Regie­rung hatte ihren Repara­ti­ons­for­de­run­gen an Deutsch­land kurz vor Baerbocks Besuch Nachdruck verlie­hen: Außen­mi­nis­ter Rau unter­zeich­ne­te eine entspre­chen­de diplo­ma­ti­sche Note, die Berlin überge­ben werden soll. PiS-Chef Jaros­law Kaczyn­ski hielt der Bundes­re­gie­rung zudem am Sonntag vor, sie strebe eine «deutsche Vorherr­schaft» in der EU

Baerbock erwähn­te die von Rau unter­zeich­ne­te diplo­ma­ti­sche Note über die Repara­ti­ons­for­de­run­gen am Montag nicht. Rau hatte erklärt, die Note «bringt die Überzeu­gung des polni­schen Außen­mi­nis­ters zum Ausdruck, dass die Partei­en unver­züg­lich Schrit­te zu einer dauer­haf­ten, umfas­sen­den und endgül­ti­gen recht­li­chen und materi­el­len Regelung der Folgen der deutschen Aggres­si­on und Besat­zung von 1939 bis 1945 einlei­ten sollten».

Zum 83. Jahres­tag des Beginns des Zweiten Weltkriegs am 1. Septem­ber hatte eine Parla­ments­kom­mis­si­on in Warschau ein Gutach­ten vorge­legt, in dem die Weltkriegs-Schäden in Polen auf mehr als 1,3 Billio­nen Euro bezif­fert werden.

Rau nannte nun keine konkre­te Summe. Er machte aber deutlich, dass nach Vorstel­lung Warschaus eine Regelung unter anderem «die Zahlung von Entschä­di­gun­gen durch Deutsch­land für die materi­el­len und immate­ri­el­len Schäden, die dem polni­schen Staat durch diese Aggres­si­on und Beset­zung entstan­den sind» umfas­sen muss. Auch Opfer der deutschen Besat­zer und ihre Famili­en­an­ge­hö­ri­gen müssten entschä­digt werden. Ebenso müsse eine Regelung für die geraub­ten Kultur­gü­ter und Archi­ve gefun­den werden.

Die Bundes­re­gie­rung lehnt die Forde­rung nach Repara­tio­nen ab. Sie beruft sich dabei auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 über die außen­po­li­ti­schen Folgen der deutschen Einheit.

Von Jörg Blank und Doris Heimann, dpa