BERLIN (dpa) — Die Bahn steht heute in weiten Teilen Deutsch­lands still. Nach Stunden wird klar: Ein Sabota­ge-Akt hat die Infra­struk­tur des Unter­neh­mens empfind­lich getrof­fen. Wie verwund­bar ist der Schienenverkehr?

Unter der Überschrift «Aktuel­le Verkehrs­mel­dun­gen» infor­miert die Deutsche Bahn stets über Verspä­tun­gen und Zugaus­fäl­le. Was dort aller­dings am Samstag­mor­gen auf der Inter­net­sei­te steht, kommt für viele Reisen­de einer Hiobs­bot­schaft gleich: Fast der gesam­te Bahnver­kehr im Norden des Landes steht still.

Schuld, das wird im Laufe des Tages klar, sind nicht etwa ein techni­scher Defekt oder ein hefti­ger Sturm. Nein, der Grund ist Sabota­ge. Die Bahn wurde Opfer eines geziel­ten Angriffs. Das machten erst das Unter­neh­men selbst und wenig später auch Bundes­ver­kehrs­mi­nis­ter Volker Wissing öffent­lich. «Es wurden Kabel mutwil­lig und vorsätz­lich durch­trennt, die für den Zugver­kehr unver­zicht­bar sind», so der FDP-Politi­ker. Ohne sie ging nichts mehr.

Da stellen sich vor allem zwei zentra­le Fragen: Wer war das? Und wie verwund­bar ist die kriti­sche Infra­struk­tur hierzu­lan­de? Zu dieser zählen nach einer Defini­ti­on der Bundes­re­gie­rung alle «Organi­sa­tio­nen oder Einrich­tun­gen mit wichti­ger Bedeu­tung für das staat­li­che Gemein­we­sen, bei deren Ausfall oder Beein­träch­ti­gung nachhal­tig wirken­de Versor­gungs­eng­päs­se, erheb­li­che Störun­gen der öffent­li­chen Sicher­heit oder andere drama­ti­sche Folgen eintre­ten würden» — neben Energie­ver­sor­gern und Gesund­heits­we­sen eben auch die Bahn.

Beim Schutz dieser Syste­me gebe es «erheb­li­che Proble­me», auf die seit langem hinge­wie­sen werde, sagt der Grünen-Politi­ker Konstan­tin von Notz, der Vorsit­zen­de des Parla­men­ta­ri­sche Kontroll­gre­mi­ums für die Geheim­diens­te im Bundes­tag. «Zum Teil liegt das daran, dass Zustän­dig­kei­ten unklar sind.» Seine Partei wolle das mit einem neuen Dachge­setz besser regeln.

Grünen-Chef will Gesetz­ent­wurf zum Schutz von Infrastruktur

Omid Nouri­pour fordert nun rasche Verbes­se­run­gen beim Schutz der kriti­schen Infra­struk­tur. «Der heuti­ge Anschlag auf die Kabel­ver­bin­dun­gen der Bahn hat Chaos auf den Bahnhö­fen, Verzö­ge­run­gen in den Liefer­ket­ten und massi­ve Verun­si­che­rung in der Bevöl­ke­rung ausge­löst», sagte Nouri­pour am Samstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die kriti­schen Infra­struk­tu­ren und damit wir alle seien angreif­bar und verletzlich.

«Der Vorfall zeigt deutlich, dass wir drei Dinge tun müssen», sagte Nouri­pour. Erstens müsse erheb­lich in den Schutz kriti­scher Infra­struk­tur inves­tiert werden, zu der unter anderem Energie­ver­sor­gung, Telekom­mu­ni­ka­ti­on oder Verkehr gehör­ten. Er verwies auf die Verein­ba­rung im Koali­ti­ons­ver­trag von SPD, Grünen und FDP für ein «Dachge­setz», das den Schutz dieser Struk­tu­ren regeln soll.

«Nancy Faeser und ihr Innen­mi­nis­te­ri­um müssen hier schnells­tens einen Gesetz­ent­wurf vorle­gen», verlang­te Nouri­pour von der SPD-Politi­ke­rin. «Zweitens müssen wir den Zivil- und Katastro­phen­schutz besser ausstat­ten, um gut auf Gefah­ren vorbe­rei­tet zu sein. Drittens müssen Polizei und Nachrich­ten­diens­te verstärkt den Schutz beson­ders gefähr­de­ter Anlagen in den Blick nehmen.» Es brauche dringend eine gemein­sa­me Kraft­an­stren­gung und massi­ve Inves­ti­tio­nen in die Sicherheit.

Apropos kriti­sche Infra­struk­tur: Nicht einmal zwei Wochen ist es her, dass insge­samt vier Unter­was­ser-Lecks an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee festge­stellt wurden. Große Mengen Gas traten aus, EU und Nato gehen von Sabota­ge aus, der Kreml erklär­te, dass er einen staat­li­chen Akteur dahin­ter vermute.

«Die Proble­ma­tik hat sich mit dem völker­rechts­wid­ri­gen Angriffs­krieg Russlands auf die Ukrai­ne verschärft», sagt von Notz, wenngleich er darauf verweist, dass die Hinter­grün­de der Bahn-Sabota­ge noch völlig unklar seien und schnellst­mög­lich aufge­klärt werden müssten. «Unabhän­gig von den Ergeb­nis­sen muss der Schutz der kriti­schen Infra­struk­tur auch vor Cyber­be­dro­hun­gen deutlich ausge­baut werden, was auch ausrei­chen­de finan­zi­el­le Mittel erfordert.»

Das Schie­ne­netz «dauer­haft flächen­de­ckend zu schüt­zen ist nicht möglich», hatte erst vor wenigen Tagen eine Spreche­rin der Bahn der Wochen­zei­tung «Die Zeit» gesagt. Anschlä­ge auf die Bahn gab es — in anderer Dimen­si­on — in der Vergan­gen­heit immer mal wieder. Häufig geriet dabei die links­extre­me Szene in Verdacht.

Draht­zie­her hinter Sabota­ge noch unbekannt

Zur Frage der Täter im aktuel­len Fall ist bislang jedoch kaum etwas bekannt. «Wir haben einen Tatort in Berlin-Hohen­schön­hau­sen», sagte ein Sprecher der Bundes­po­li­zei­di­rek­ti­on Berlin. «Ein weite­rer befin­det sich in Nordrhein-Westfa­len.» Aus Sicher­heits­krei­sen hieß es, es seien am Karower Kreuz in Berlin und in Herne in NRW vorsätz­lich so genann­te Licht­wel­len­lei­ter­ka­bel beschä­digt worden. Auch das Backup-System sei damit ausgefallen.

Die Ermitt­lun­gen würden mit Hochdruck in alle Richtun­gen geführt, erklär­te die Bundes­po­li­zei. «Aktuell ist von einer zielge­rich­te­ten Fremd­ein­wir­kung von außen auf Kabel der Deutschen Bahn auszu­ge­hen», sagte der Sprecher. Zu weite­ren Details könne er auch aus ermitt­lungs­tak­ti­schen Gründen keine Auskunft geben.

Für Aufse­hen hatte unter anderem ein Fall aus dem Jahr 2020 gesorgt. Ein Mann hatte damals an der ICE-Strecke Frank­furt-Köln über 250 Schrau­ben der Schie­nen­be­fes­ti­gung gelöst. Hätte dies niemand bemerkt, wäre ein Zug entgleist. Zu Schaden kam letzt­lich dank aufmerk­sa­mer ICE-Lokfüh­rer niemand; der Täter wurde im März 2021 vom Wiesba­de­ner Landge­richt unter anderem wegen versuch­ten Mordes zu einer Haftstra­fe von neun Jahren und zehn Monaten verurteilt.