HANNOVER (dpa) — Zwischen Kunst und Kritik ist das Verhält­nis mitun­ter gespannt. Nicht jedem Künst­ler gefällt, was über ihn geschrie­ben wird. An der Staats­oper Hanno­ver ist daraus ein tätli­cher Angriff geworden.

Der Ballett­chef der Staats­oper Hanno­ver, Marco Goecke, hat bei einer Premie­re die Kriti­ke­rin der «Frank­fur­ter Allge­mei­nen Zeitung», Wiebke Hüster, mit Hunde­kot beschmiert. Das sagte die Betrof­fe­ne am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Sie habe Anzei­ge erstat­tet. Das Staats­thea­ter bestä­tig­te in einer Mittei­lung den Vorfall bei der Premie­re des Ballett­abends «Glaube — Liebe — Hoffnung» am Samstag und entschul­dig­te sich. Arbeits­recht­li­che Schrit­te gegen Goecke würden geprüft, hieß es.

Eine Spreche­rin des Theaters bestä­tig­te auch, dass es sich bei der Substanz um Hunde­kot gehan­delt habe. Die Journa­lis­tin sagte, vor der Attacke habe Goecke ihr vorge­wor­fen, Kriti­ken mit persön­li­chen Angrif­fen zu schrei­ben. Frank Rieger, Landes­vor­sit­zen­der des Deutschen Journa­lis­ten-Verbands (DJV) in Nieder­sach­sen, sprach von einer Attacke auf die Pressefreiheit.

«Wer auf Kritik mit Gewalt reagiert, der ist nicht tragbar»

Inten­dan­tin Laura Berman erklär­te: «Wir haben unmit­tel­bar nach dem Vorfall den Kontakt zu der Journa­lis­tin gesucht und uns persön­lich bei ihr und auch öffent­lich entschul­digt.» Die Staats­oper Hanno­ver sei ein offener Ort des respekt­vol­len Mitein­an­ders und Austau­sches. «Wir werden die arbeits­recht­li­chen Schrit­te gegen­über Ballett­di­rek­tor Marco Goecke prüfen, gemein­sam beraten und dann in dieser inter­nen Perso­nal­sa­che agieren.»

Nach Hüsters Vermu­tung könnte sich Goeckes Ärger auf ihre Rezen­si­on seines jüngs­ten Tanzstücks für das Neder­lands Dans Theater bezogen haben. Als sie zu dem Ballett­abend in Hanno­ver kam, sah sie den Choreo­gra­phen im Foyer im Gespräch mit Besuchern — er hatte seinen Hund dabei. In der ersten Pause habe sich Goecke im Foyer dann vor sie gestellt und ihr vorge­wor­fen, dass sie immer so schlim­me persön­li­che Kriti­ken schreibe.

Plötz­lich habe er eine Plastik­tü­te mit Hunde­kot aus der Tasche gezogen und ihr mit der offenen Seite ins Gesicht gerie­ben, sagte Hüster. «Als ich gespürt habe, was er gemacht hat, habe ich geschrien.» Sie habe unter Schock gestan­den und geweint. Die Presse­spre­che­rin des Theaters habe ihr gehol­fen, sich im Wasch­raum der Inten­danz zu säubern. Dann sei sie zur Polizei­sta­ti­on Hanno­ver-Mitte gefah­ren und habe Anzei­ge erstat­tet. Hüster behaup­te­te, dass die Attacke geplant gewesen sei: «Das war Vorsatz.»

Goecke äußer­te sich zunächst nicht zu dem Vorfall. Sein Manage­ment und das Theater stell­ten in Aussicht, dass er dies in den kommen­den Tagen tun werde. Der vielfach prämier­te 50-jähri­ge Choreo­graph ist seit der Spiel­zeit 2019/20 Direk­tor des Staats­bal­letts in Hannover.

«Ein Künst­ler muss — ebenso wie wir Journa­lis­ten — Kritik ertra­gen, auch wenn sie überzo­gen erschei­nen mag», sagte DJV-Landes­chef Rieger. «Wer auf Kritik mit Gewalt reagiert, der ist nicht tragbar.» 2006 hatte ein erbos­ter Schau­spie­ler dem FAZ-Theater­kri­ti­ker Gerhard Stadel­mai­er den Notiz­block wegge­ris­sen und war entlas­sen worden.