BERLIN/NÜRNBERG (dpa) — Bald beginnt für viele junge Leute die Berufs­aus­bil­dung. Doch Zehntau­sen­de suchen noch nach einer Stelle. Gleich­zei­tig finden viele Betrie­be keinen Nachwuchs.

Die Lage am Ausbil­dungs­markt in Deutsch­land verschärft sich weiter. 385.000 junge Leuten haben sich nach Angaben der Bundes­agen­tur für Arbeit (BA) in Nürnberg bundes­weit bisher um Lehrstel­len bewor­ben, 32.000 weniger als vor einem Jahr. Demge­gen­über haben die Ausbil­dungs­be­trie­be 468.000 freie Lehrstel­len gemel­det. Trotz des deutli­chen Überhangs sind noch 158.000 junge Frauen und Männer nicht mit einer Ausbil­dungs­platz versorgt — obwohl es eigent­lich mehr als genug Lehrstel­len gibt. Firmen und poten­zi­el­le Azubis finden nur schwer zusam­men. Die Corona-Krise hat das verschärft.

Ausbil­dung als «Sorgen­kind»

Bundes­bil­dungs­mi­nis­te­rin Anja Karlic­zek (CDU) sprach von einem «Warnzei­chen». «Wir brauchen gut ausge­bil­de­te Fachkräf­te für den wirtschaft­li­chen Aufschwung nach der Corona-Pande­mie», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. BA-Vorstands­chef Detlef Schee­le sagte in Nürnberg, die Ausbil­dung «bleibt unser Sorgen­kind». «Da gibt es Licht und Schatten.»

Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren im Juli rund 148.000 Inter­es­sier­te bereits mit einer Lehrstel­le versorgt. Nun sind es gerade einmal 110.000. Die Gründe sind vielschichtig.

Weniger Erfolg dürften Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber haben, die sich für eine Ausbil­dung im Bereich Touris­mus, Gastro­no­mie oder Kosme­tik inter­es­sie­ren. Die Corona-Krise hat hier nach BA-Angaben deutli­che Spuren hinter­las­sen. Auch Steuer­be­ra­tungs­fir­men oder Banken suchen weniger Nachwuchs. Beson­ders gute Chancen gibt es dagegen im Bauhand­werk, im Gesund­heits­be­reich oder bei Verkehrs­un­ter­neh­men. Hier verzeich­net die Bundes­agen­tur einen Zuwachs an freien Lehrstellen.

Dringen­der Fachkräftebedarf

Arbeit­ge­ber­prä­si­dent Rainer Dulger sprach mit Blick auf das Handwerk von «dringen­dem Fachkräf­te­be­darf und sehr guten Karrie­re­chan­cen». Dort würde in den kommen­den fünf Jahren für bis zu 125.000 Betrie­be ein Nachfol­ger für die Übernah­me gesucht, sagte er der dpa. Insge­samt bezeich­net Dulger die Chance, einen Ausbil­dungs­platz zu bekom­men, als «sehr gut». «Auf vier Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber kommen rund fünf Ausbildungsplätze.»

Doch hier kommt das alte Problem ins Spiel: Nachwuchs und Firmen finden oft nicht zuein­an­der. Weil Prakti­ka und Berufs­mes­sen ausfie­len und Berufs­be­ra­ter nicht in die Schulen konnten, hat sich das in den vergan­ge­nen einein­halb Jahren noch weiter verschärft. Es gelte jetzt, der Berufs­ori­en­tie­rung neuen Rücken­wind zu geben, sagte Dulger.

Gewerk­schafts­ver­tre­ter sehen aber auch die Unter­neh­men selbst in der Pflicht, mehr auf der Angebots­sei­te zu tun. Nur knapp 20 Prozent der Betrie­be bilde­ten aus, aber 100 Prozent profi­tier­ten von den ausge­bil­de­ten Fachkräf­ten, sagte die stell­ver­tre­ten­de Vorsit­zen­de des Deutschen Gewerk­schafts­bun­des (DGB), Elke Hannack. «Ja, Ausbil­dung ist aufwen­dig – aber die Arbeit­ge­ber können nicht auf der einen Seite über fehlen­de Fachkräf­te klagen und dann selbst immer weniger ausbil­den.» Sie forder­te einen finan­zi­el­len Ausgleich über eine Ausbil­dungs­um­la­ge zwischen Betrie­ben, die ausbil­den, und denen, die das nicht tun.

Auch Corona spielt eine Rolle

Um die Auswir­kun­gen der Corona-Krise abzufe­dern, hatte die Bundes­re­gie­rung sogenann­te Azubi-Prämi­en für Betrie­be aufge­legt: Wer trotz wirtschaft­li­cher Proble­me weiter oder sogar noch mehr als bisher ausbil­det, bekommt pro Ausbil­dungs­ver­trag eine Prämie von bis zu 6000 Euro. Prämi­en gibt es auch für Unter­neh­men, die Azubis überneh­men von anderen Firmen, die in Schwie­rig­kei­ten geraten sind.

Bund, Länder, Wirtschafts­ver­bän­de und Gewerk­schaf­ten werben außer­dem gemein­sam mit einem Aktions­pro­gramm «Sommer der Berufs­aus­bil­dung» dafür, dass sich junge Leute für eine Ausbil­dung entschei­den. Auf Bundes‑, Landes- und regio­na­ler Ebene gibt es verschie­de­ne Infor­ma­ti­ons- und Beratungs­ver­an­stal­tun­gen zum Thema, etwa Online-Semina­re für Eltern, damit sie ihre Kinder noch besser bei der Suche unter­stüt­zen können.

Karrie­re­mög­lich­kei­ten nach der Ausbildung

Es gebe «hervor­ra­gen­de Aufstiegs­chan­cen nach einer Ausbil­dung», warb Karlic­zek für die Berufs­aus­bil­dung. «Der Wert einer beruf­li­chen Ausbil­dung und die Zukunfts­chan­cen einer Berufs­aus­bil­dung nehmen deutlich zu», ist sich auch Arbeit­ge­ber­prä­si­dent Dulger sicher.

Auch nach einer Berufs­aus­bil­dung gibt es viele Karrie­re­mög­lich­kei­ten. So sind Weiter­bil­dun­gen zum Meister oder zur Meiste­rin, zum Betriebs­wirt, zur Fachkau­frau oder zum Kaufmann und zu vielen anderen Abschlüs­sen möglich. Geför­dert wird das mit dem sogenann­ten Aufstiegs-Bafög. Wer eine Berufs­aus­bil­dung abgeschlos­sen und einige Jahre Berufs­er­fah­rung hat, kann später auch studie­ren. Die Regeln hierfür sind je nach Bundes­land unterschiedlich.

Von Micha­el Donhau­ser und Jörg Ratzsch, dpa