WASHINGTON (dpa) — Zwei Explo­sio­nen erschüt­tern die afgha­ni­sche Haupt­stadt Kabul — ein Alptraum-Szena­rio inmit­ten des Evaku­ie­rungs­ein­sat­zes. US-Präsi­dent Biden findet deutli­che Worte für die Drahtzieher.

Nach dem verhee­ren­den Anschlag in der Nähe des Flugha­fens von Kabul hat US-Präsi­dent Joe Biden den dafür verant­wort­li­chen Terro­ris­ten mit Vergel­tung gedroht.

«Wir werden Euch jagen und Euch dafür bezah­len lassen», sagte Biden im Weißen Haus. Er kündig­te Einsät­ze des US-Militärs gegen die für den Anschlag verant­wort­li­che Terror­mi­liz Islami­scher Staat (IS) an — und die Fortset­zung der Evaku­ie­run­gen aus Afgha­ni­stan. Die Terro­ris­ten könnten die USA nicht dazu bringen, ihre «Missi­on» zu stoppen, beton­te Biden mit Blick auf die verblie­be­nen Ameri­ka­ner im Land. «Wir werden sie finden, und wir werden sie da rausholen.»

Zahl der Opfer noch unklar

Bei dem Anschlag waren neben 13 US-Solda­ten auch viele Afgha­nen getötet worden. Unbestä­tig­te Medien­be­rich­te und Videos vom Tatort deuten auf Dutzen­de einhei­mi­sche Todes­op­fer hin, hinzu kommen zahllo­se Verletz­te. Das US-Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um erklär­te, es seien auch 18 Solda­ten verwun­det worden. Die Verletz­ten würden in spezi­ell ausge­rüs­te­ten Flugzeu­gen ausge­flo­gen, hieß es.

Ein Sprecher der Taliban sprach am Freitag gegen­über der dpa von 13 bis 20 getöte­ten Zivilis­ten. Das gehe aus Berich­ten von Kranken­häu­sern hervor. Die endgül­ti­gen Opfer­zah­len veröf­fent­li­che man zu gegebe­ner Zeit.

Für die US-Streit­kräf­te waren es die ersten Solda­ten seit Febru­ar vergan­ge­nen Jahres, die in Afgha­ni­stan gewalt­sam ums Leben kamen — und die schwers­ten Verlus­te dort seit einem Jahrzehnt. Biden ordne­te an, die US-Flaggen über dem Weißen Haus und an allen öffent­li­chen Gebäu­den bis Montag­abend auf halbmast zu setzen, um der Opfer zu gedenken.

IS bekennt sich zu Anschlag

Der in Afgha­ni­stan aktive Ableger der Terror­mi­liz IS rekla­mier­te den Anschlag für sich. Biden erklär­te mit Blick auf die Gruppe, die USA hätten Infor­ma­tio­nen dazu, wo sich die Draht­zie­her der Anschlä­ge aufhal­ten — und würden auch ohne große Militär­ein­sät­ze Möglich­kei­ten finden, diese zur Rechen­schaft zu ziehen, «wo auch immer sie sind». Seine eindring­li­chen Worte an die Terro­ris­ten: «Wir werden nicht verge­ben. Wir werden nicht vergessen.»

Nach US-Angaben hatten sich mindes­tens zwei Selbst­mord­at­ten­tä­ter in die Luft gesprengt. Eine der Detona­tio­nen ereig­ne­te sich demnach an einem Tor zum Flugha­fen­ge­län­de, an dem US-Solda­ten im Einsatz waren. Eine Reihe von Kämpfern der Terror­mi­liz IS habe anschlie­ßend das Feuer auf Zivilis­ten und Solda­ten eröff­net, sagte US-General Kenneth McKen­zie, der das US-Zentral­kom­man­do Centcom führt. Er warnte, es müsse mit weite­ren Anschlä­gen gerech­net werden. «Wir tun alles, was wir können, um auf diese Angrif­fe vorbe­rei­tet zu sein», sagte er. Es handle sich um eine «extrem aktive Bedrohungssituation».

Evaku­ie­rungs­ein­satz

Die Evaku­ie­rungs­mis­si­on in Kabul wurde dennoch weiter­ge­führt. Die US-Luftwaf­fe und Flugzeu­ge Verbün­de­ter hätten am Donners­tag ab dem Vormit­tag bis kurz vor Mitter­nacht (Ortszeit Kabul) rund 7500 Menschen evaku­iert. Damit sei die Zahl der seit Mitte August ausge­flo­ge­nen Afgha­nen und westli­cher Staats­bür­ger auf 100.100 angestie­gen, erklär­te ein Vertre­ter des Weißen Hauses.

Die deutsche Luftwaf­fe flog am Donners­tag alle Bundes­wehr­sol­da­ten, Diplo­ma­ten und verblie­be­nen Polizis­ten aus dem Krisen­staat aus, wie Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Annegret Kramp-Karren­bau­er (CDU) sagte. Nach Angaben der Minis­te­rin wurden 5347 Menschen aus mindes­tens 45 Ländern evaku­iert, darun­ter rund 500 Deutsche und mehr als 4000 Afghanen.

Der Evaku­ie­rungs­ein­satz der gut 5000 US-Solda­ten in Kabul soll trotz der jüngs­ten Ereig­nis­se wie geplant am Diens­tag kommen­der Woche enden, wie Biden beton­te. Damit können auch die Verbün­de­ten ihre Staats­bür­ger und frühe­re örtli­che Mitar­bei­ter nicht mehr evaku­ie­ren. Die Bundes­re­gie­rung und die USA setzen aller­dings darauf, dass die Taliban auch nach dem 31. August weiter koope­rie­ren werden, um Ausrei­sen zu ermög­li­chen. Im Gegen­zug dürften sie auf gewis­se Hilfen der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft hoffen, so die Logik. Biden erklär­te: «Sie sind keine guten Kerle, die Taliban. Das meine ich überhaupt nicht. Aber sie haben ein klares Interesse.»

Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel erklär­te anläss­lich des Endes des deutschen Evaku­ie­rungs­ein­sat­zes: «Wir sind mit Hochdruck und Nachdruck dabei, eben Bedin­gun­gen auszu­han­deln mit den Taliban darüber, wie weite­re Ausrei­sen auch möglich sein werden.»

Die militant-islamis­ti­schen Taliban kontrol­lie­ren Kabul und damit auch das Gebiet um den Flugha­fen. Die Sicher­heits­la­ge hatte sich dort zuletzt noch einmal deutlich zugespitzt. Die Bundes­wehr hatte bereits am Diens­tag berich­tet, dass zuneh­mend poten­zi­el­le Selbst­mord­at­ten­tä­ter des IS in Kabul unter­wegs seien. Ähnlich hatte sich Biden geäußert. Die Terror­mi­liz sei auch ein «erklär­ter Feind» der Taliban, hatte er Anfang der Woche erklärt. Biden begrün­de­te unter anderem mit dieser Terror­ge­fahr auch sein Festhal­ten am Abzug der US-Truppen.

Tausen­de Menschen versu­chen weiter­hin vor der Gewalt ins Ausland zu fliehen. Seit mehr als einer Woche versam­meln sie sich rund um verschie­de­ne Eingän­ge des Flugha­fens, um auf einen Evaku­ie­rungs­flug zu kommen. Dabei herrsch­ten rund um den Flugha­fen drama­ti­sche Zustände.

Flücht­lin­ge wollen nach Pakistan

Unter­des­sen brechen immer mehr Afgha­nen über Land in Richtung Pakistan auf. Täglich überquer­ten mindes­tens 10.000 Afgha­nen die Grenze bei Spin Boldak/Chaman, sagte ein Grenz­be­am­ter. Zuvor seien es an norma­len Tagen etwa 4000 gewesen. Die meisten seien auf dem Weg zu Verwand­ten in Städten und Regio­nen unweit der Grenze.

Die Taliban hatten Mitte August die Macht in Afgha­ni­stan an sich geris­sen. Die meisten Einhei­ten der afgha­ni­schen Sicher­heits­kräf­te ergaben sich kampf­los, Präsi­dent Aschraf Ghani floh außer Landes.