CLEVELAND (dpa) — Zerfal­len Krebs­zel­len, gelan­gen tumor­ty­pi­sche Prote­ine oder Erbgut-Bruch­stü­cke ins Blut. Spezi­el­le Tests können das nachwei­sen — und bei der Früherken­nung helfen. Wie gut funktio­niert das schon?

Der Kampf gegen Krebs bedeu­tet einen Wettlauf gegen die Zeit. Je früher die Erkran­kung erkannt wird, umso größer sind die Überle­bens­chan­cen. Bereits seit gerau­mer Zeit wird an Bluttests geforscht, die eine schnel­le Früherken­nung versprechen.

Einer dieser Tests soll nun mithil­fe einer einzi­gen Probe in der Lage sein, mehr als 50 verschie­de­ne Krebs­ar­ten zu erken­nen — und das mit einer Genau­ig­keit, die eine Markt­ein­füh­rung erlau­be. Deutsche Exper­ten sehen aller­dings noch offene Fragen.

Was bedeu­tet «Liquid Biopsy»?

Schon länger arbei­ten Wissen­schaft­ler daran, Hinwei­se auf Tumore im Blut zu finden. Derar­ti­ge Verfah­ren werden auch als «Liquid Biopsy» bezeich­net. Damit können Blutpro­ben auf sogenann­te zirku­lie­ren­de freie DNA (cfDNA) analy­siert werden: Zerfal­len Krebs­zel­len, gelan­gen oft tumor­ty­pi­sche Prote­ine oder Erbgut-Bruch­stü­cke ins Blut. Im Rahmen der Flüssig­bi­op­sie wird Genom­se­quen­zie­rung genutzt, um krebs­ty­pi­sche Methy­lie­rungs­si­gna­tu­ren — das sind Anlage­rungs­mus­ter an dieser DNA — aufzuspüren.

Auch der kürzlich im Fachblatt «Annals of Oncolo­gy» vorge­stell­te «Galleri»-Test basiert auf diesem Verfah­ren. Dabei sind die US-Wissen­schaft­ler laut einer unabhän­gi­gen Einschät­zung von Sonja Loges, Direk­to­rin der Abtei­lung Perso­na­li­sier­te Onkolo­gie des Univer­si­täts­kli­ni­kums Mannheim, äußerst syste­ma­tisch vorge­gan­gen: «Sie haben zunächst drei verschie­de­ne Sequen­zie­rungs­me­tho­den vergli­chen und dann dieje­ni­ge identi­fi­ziert, die deutlich empfind­li­cher war als die anderen.»

Test erkennt mehr als 50 verschie­de­ne Krebsarten

Im zweiten Schritt seien alle Gene sequen­ziert und jene zusam­men­ge­stellt worden, die eine hohe Assozia­ti­on mit Krebs­er­kran­kun­gen hätten. «Daraus entwi­ckel­ten die Autoren dann im dritten Schritt ein sogenann­tes Panel, das sie mit einer größe­ren Gruppe von Patien­ten sowie einer Vergleichs­ko­hor­te getes­tet haben», erklärt Loges, die auch Leite­rin der Abtei­lung Perso­na­li­sier­te Medizi­ni­sche Onkolo­gie am Deutschen Krebs­for­schungs­zen­trum ist.

Insge­samt umfass­te die Studie 2823 Menschen, bei denen bereits Krebs diagnos­ti­ziert wurde, sowie eine Kontroll­grup­pe von 1254 Menschen ohne Krebs aus mehr als 140 medizi­ni­schen Zentren in den USA. Dabei war der «Galleri»-Test in der Lage, Krebs­si­gna­le von mehr als 50 verschie­de­nen Krebs­ar­ten zu erfas­sen und in fast 90 Prozent der Fälle auch dem entspre­chen­den Gewebe zuzuord­nen. Die Treffer­quo­te variier­te aller­dings je nach Erkran­kungs­sta­di­um erheb­lich. So lag etwa die Sensi­ti­vi­tät auf alle Krebs­ar­ten gesehen bei 16,8 Prozent im frühen Stadi­um I, 40,4 Prozent im Stadi­um II, 77 Prozent im Stadi­um III und 90,1 Prozent im am weites­ten fortge­schrit­te­nen Stadi­um IV. Über alle vier Stadi­en hinweg erkann­te der Test in 51,5 Prozent der Fälle korrekt, wenn Krebs vorhan­den war.

Größe­re Sensi­ti­vi­tät bei fortge­schrit­te­nem Stadium

Für Holger Sültmann, Leiter der Abtei­lung Krebs­ge­nom­for­schung am Deutschen Krebs­for­schungs­zen­trum, sind diese Unter­schie­de nicht überra­schend: «Kleine Tumore in frühen Krebs­sta­di­en geben in der Regel weniger DNA ins Blut ab und nur diese wird mit dem Test gemes­sen.» Je weiter fortge­schrit­ten das Stadi­um, umso mehr steige die Sensi­ti­vi­tät, also die Möglich­keit, den Krebs zu erkennen.

Eine weite­re Varianz zeigte sich bei den unter­schied­li­chen Krebs­ar­ten. So war der Test beson­ders zuver­läs­sig für einige Erkran­kun­gen, für die es bislang keine Scree­ning-Optio­nen gibt. Für solide Tumoren aus diesem Bereich, etwa Speiseröhren‑, Leber- und Bauch­spei­chel­drü­sen­krebs, lag die Gesamt­emp­find­lich­keit bei 65,6 Prozent. Die Sensi­ti­vi­tät bei Krebs­er­kran­kun­gen des Blutes ergab 55,1 Prozent. Im Vergleich dazu betrug diese bei soliden Tumoren infol­ge von Brust‑, Darm‑, Gebär­mut­ter­hals- und Prosta­ta­krebs nur 33,7 Prozent.

«Wahrschein­lich geben diese Tumore weniger DNA ins Blut ab», vermu­tet Medizi­ne­rin Loges. «Zudem gibt es für das Prosta­ta- oder Mamma­kar­zi­nom gut etablier­te Früherken­nungs­me­tho­den, so dass die entspre­chen­den Patien­ten in der Studi­en­grup­pe vielleicht ein frühes Tumor­sta­di­um hatten.» Sowohl Loges als auch Sültmann loben die Spezi­fi­tät des Tests. Sie beschreibt, ob gesun­de Menschen auch als gesund erkannt werden. «Die Autoren geben diese mit 99,5 Prozent an — wenn sich das in größe­ren Validie­rungs­stu­di­en bewahr­hei­tet, wäre das ein großar­ti­ger Befund», kommen­tiert Bioche­mi­ker Sültmann. Frühe­re Bluttests hätten in dieser Hinsicht wesent­lich schlech­ter abgeschnit­ten. Eine hohe Spezi­fi­tät sei wichtig, um eigent­lich Gesun­den unnöti­ge Folge­dia­gnos­ti­ken zu ersparen.

Einfluss von Begleit­erkran­kun­gen noch nicht untersucht

Hier merkt Sonja Loges an, dass in der Studie aller­dings eine große Zahl von Menschen aus der gesun­den Kontroll­grup­pe aufgrund von Begleit­erkran­kun­gen ausge­schlos­sen wurde. Bestimm­te andere Erkran­kun­gen könnten indes ebenfalls Verän­de­run­gen der Methy­lie­run­gen bewir­ken. «So bleibt ein Frage­zei­chen: Wäre der Test häufi­ger falsch positiv ausge­fal­len, hätte es mehr Menschen in der Gruppe ohne Krebs, aber mit Erkran­kun­gen der gleichen Organ­sys­te­me gegeben?» Um derar­ti­ge Fragen auszu­räu­men, halten Loges und Sültmann größe­re Popula­ti­ons­stu­di­en für nötig.

Tatsäch­lich kündi­gen die Autoren ein breit angeleg­tes Pilot­pro­jekt in Koope­ra­ti­on mit dem Staat­li­chen Gesund­heits­dienst von Großbri­tan­ni­en (NHS England) sowie drei weite­re US-Studi­en an. Unabhän­gig davon bietet das Unter­neh­men, welches den Test entwi­ckelt und die Studi­en finan­ziert hat, «Galle­ri» bereits auf seiner Website in den USA an — ein Schritt, den die beiden deutschen Exper­ten für verfrüht halten.

Holger Sültmann sieht beispiels­wei­se die Gefahr, eine falsche Sicher­heit zu sugge­rie­ren: «So gut und fortschritt­lich die Studie gemacht ist, bedeu­tet solch ein Test natür­lich immer nur eine Moment­auf­nah­me. Das berührt ein grund­sätz­li­ches Problem: Wann ist der beste Zeitpunkt für ein solches Scree­ning und wie oft muss es durch­ge­führt werden?» Wolle man ein solches Testver­fah­ren bevöl­ke­rungs­weit anbie­ten, stelle sich zudem die Kostenfrage.

Von Alice Lanzke, dpa