BERLIN (dpa) — Seit vielen Monaten sind sie angekün­digt: Covid-19-Impfstof­fe, die auch der Omikron-Varian­te Rechnung tragen. Erste derar­ti­ge Präpa­ra­te stehen vor der Zulas­sung. Was man darüber wissen muss.

Beim Grippe­schutz ist es Routi­ne: Jedes Jahr werden Impfstof­fe angepasst, weil sich das Virus ständig verän­dert. Mehr als zweiein­halb Jahre nach Pande­mie­be­ginn ist es auch bei Covid-19 soweit.

Erste Impfstof­fe, die nicht mehr nur auf den sogenann­ten Wildtyp von Sars-CoV‑2 abzie­len, dürften in Kürze auf den Markt kommen. Voraus­set­zung ist, dass ein Ausschuss der europäi­schen Arznei­mit­tel­agen­tur EMA grünes Licht für die Zulas­sung gibt. Das könnte am Donners­tag der Fall sein. Dazu Fragen und Antworten.

Um welche Impfstof­fe geht es jetzt?

Der Ausschuss für Human­arz­nei­mit­tel beschäf­tigt sich mit der Bewer­tung von zwei sogenann­ten bivalen­ten mRNA-Impfstof­fen der Unter­neh­men Biontech/Pfizer und Moder­na. Bivalent bedeu­tet, dass zwei Kompo­nen­ten berück­sich­tigt sind: Die Präpa­ra­te sollen Schutz bieten sowohl vor dem ursprüng­li­chen Sars-CoV‑2 als auch vor der Omikron-Subli­nie BA.1. Konkret prüft der Ausschuss laut EMA, ob Anfor­de­run­gen an Quali­tät, Sicher­heit und Wirksam­keit erfüllt sind und ob ein positi­ves Nutzen-Risiko-Verhält­nis besteht.

Wird die Zulas­sung kommen?

Die EU-weite Zulas­sung des BA.1‑Boosters ist nach Einschät­zung des General­se­kre­tärs der Deutschen Gesell­schaft für Immuno­lo­gie, Carsten Watzl, Formsa­che: Es lägen klini­sche Daten vor, das Präpa­rat sei an mehre­ren Hundert Proban­den getes­tet worden. Die Antikör­per­re­ak­tio­nen seien mit einer Kontroll­grup­pe vergli­chen worden, die ein viertes Mal den bishe­ri­gen Impfstoff bekom­men hatte. «Gesehen hat man bei den Menschen mit dem angepass­ten Impfstoff deutlich mehr Antikör­per gegen die Omikron-Varian­te — und zwar bei Jungen wie Alten wie bei Genese­nen», sagte Watzl. Hinzu kämen Sicher­heits­da­ten generell zu den mRNA-Impfstoffen.

Wie effek­tiv sind die neuen Impfstoffe?

Prozent­an­ga­ben, wie es sie für die ersten Covid-19-Vakzi­ne gegeben hatte, wurden nun nicht erhoben. Daten zum Schutz vor sympto­ma­ti­scher Infek­ti­on, schwe­rer Erkran­kung und Tod sind erst aus der Anwen­dung zu erwar­ten. Angestrebt wird ein besse­rer Schutz vor Omikron — und hierbei vor allem vor der Erkran­kung, denn ein Schutz vor der Infek­ti­on werde nach der Impfung wieder nur vorüber­ge­hend bestehen, sagte Watzl. Er warnte die Politik davor, mit den angepass­ten Impfstof­fen falsche Hoffnun­gen zu wecken — auch damit könne man Corona nicht wegimp­fen. «Wenn man damit jetzt großflä­chig hausie­ren geht und jeden unbedingt zu der Impfung aufruft, wieder­holt man die Fehler vom vorigen Jahr.»

Welche Gruppen brauchen den angepass­ten Booster?

Diese Antwort müsste von der zustän­di­gen Ständi­gen Impfkommission(Stiko) kommen — eine Empfeh­lung zu den neuen Präpa­ra­ten gibt es bisher aber noch nicht. Bei Hausärz­ten und Fachleu­ten, die nun viele Anfra­gen bekom­men, sorgt das für Kritik. Nach Plan soll es in Deutsch­land schließ­lich zügig mit dem Impfen losge­hen. Vorbe­halt­lich der Zulas­sung sollen in den beiden Wochen ab 5. Septem­ber rund 14 Millio­nen Dosen der BA.1‑Präparats von Biontech/Pfizer und Moder­na kommen, ging aus einem Schrei­ben von Gesund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) hervor, das zu Wochen­be­ginn bekannt wurde.

Ist abseh­bar, wer vom neuen Booster profitiert?

Der Immuno­lo­ge Watzl hält eine Empfeh­lung für einen zweiten Booster mit den neuen Präpa­ra­ten nur für bestimm­te Gruppen für wahrschein­lich — etwa Menschen ab 60 Jahren, mit unter­drück­tem Immun­sys­tem oder mit Vorer­kran­kun­gen. «Ich wäre sehr überrascht, wenn die Stiko sagen würde, dass sich alle Erwach­se­nen noch mal impfen lassen sollen.» Er wolle der Stiko nicht vorgrei­fen — aber allen voran profi­tier­ten Risiko­pa­ti­en­ten. «Eine schwe­re Erkran­kung ist damit weniger wahrschein­lich.» Wer also über 60 sei und bisher mit der vierten Impfung gewar­tet habe, für den sei jetzt die Gelegenheit.

Was ist beim Impfzeit­punkt zu beachten?

Das Timing ist laut Fachleu­ten sehr wichtig. Watzl sagte, wer der bestehen­den Stiko-Empfeh­lung zu einer Viert­imp­fung bereits gefolgt sei oder sich in den vergan­ge­nen Monaten mit Corona angesteckt habe, solle ab dem Zeitpunkt mindes­tens sechs Monate bis zur nächs­ten Impfung verstrei­chen lassen. «Das heißt, wer sich jetzt erst vor zwei Monaten geimpft hat, der sollte auch ganz klar noch mal vier Monate warten.» Ein weite­rer Booster nach zu kurzer Zeit bringe keinen Zusatz­nut­zen. Bei manchen Risiko­pa­ti­en­ten könnte es Watzl zufol­ge aber ausnahms­wei­se Sinn machen, früher den angepass­ten Impfstoff zu sprit­zen — dies müsse indivi­du­ell mit dem Arzt bespro­chen werden.

Was ist mit gesun­den Menschen unter 60?

Für sie gelte, dass der zusätz­li­che Booster in der Regel nicht gebraucht werde, sagte Watzl. Er sprach sich dennoch dafür aus, Jünge­ren den BA.1‑Booster nicht generell zu verweh­ren: Da die Impfstof­fe, wenn auch nur vorüber­ge­hend, wieder mehr Schutz vor der Infek­ti­on schaff­ten, könne eine Impfung sinnvoll sein wenn sich jemand etwa wegen Risiko­pa­ti­en­ten in der Familie mehr Fremd­schutz wünscht.

BA.1 — was ist das?

Nach den Corona-Varian­ten Alpha und Delta kam Ende 2021 mit Omikron eine Mutan­te mit stark verän­der­tem Erbgut auf. Sie kann die erste Abwehr­li­nie von Geimpf­ten und Genese­nen somit besser umgehen. Die Omikron-Wellen wurden von unter­schied­li­chen Omikron-Subli­ni­en verur­sacht: zunächst von BA.1, später von BA.2, in den Sommer­mo­na­ten vor allem von BA.5. Nach Daten des Robert Koch-Insti­tuts (RKI) kommt BA.1 seit länge­rer Zeit in Stich­pro­ben hierzu­lan­de nicht mehr vor.

Lohnt es sich, auf einen aktuel­le­ren Impfstoff zu warten?

Es ist zwar ein Vakzin in Aussicht, das an die derzeit zirku­lie­ren­den Subli­ni­en BA.4/BA.5 angepasst ist. Bei der US-Arznei­mit­tel­be­hör­de FDA haben Biontech/Pfizer dafür eine Notfall­zu­las­sung beantragt. Auch die EMA prüft hierzu im sogenann­ten Rolling-Review-Verfah­ren einen Antrag, wie es auf Anfra­ge hieß — noch warte man auf weite­re Daten.

Immuno­lo­ge Watzl rät Impfwil­li­gen klar vom Warten ab. «Es gibt zu diesem Impfstoff­kan­di­da­ten bisher keine klini­schen Daten.» Man könne nur über den Nutzen speku­lie­ren — auch angesichts der nicht vorher­seh­ba­ren Entwick­lung der vorherr­schen­den Varian­ten in den kommen­den Monaten. Auch Modali­tä­ten der Zulas­sung in der EU und deren Zeitpunkt seien offen. Exper­ten geben auch zu beden­ken, dass der große Sprung in der Virus­ent­wick­lung zwischen dem Wildtyp und BA.1 lag, zwischen BA.1 und BA.4/BA.5 lägen viel weniger Mutationen.

Von Gisela Gross, dpa