LONDON (dpa) — Der Versuch der inner­par­tei­li­chen Gegner Boris Johnsons, den Premier zu stürzen, misslingt. Doch das Ergeb­nis der Misstrau­ens­ab­stim­mung ist dennoch verhee­rend für den briti­schen Regierungschef.

Ist es der Anfang vom Ende der Ära Boris Johnson? Der briti­sche Premier­mi­nis­ter hat ein Misstrau­ens­vo­tum in seiner konser­va­ti­ven Frakti­on überstanden.

Doch das Ergeb­nis war weit knapper als erwar­tet. Nur 211 Tory-Abgeord­ne­te sprachen Johnson in London ihr Vertrau­en aus, wie der Vorsit­zen­de des zustän­di­gen Partei­gre­mi­ums, Graham Brady, in London mitteil­te. 148 seiner Frakti­ons­kol­le­gen votier­ten hinge­gen für eine Abwahl Johnsons als Partei­chef und damit auch als Premier­mi­nis­ter. Der Regie­rungs­chef gilt damit als schwer beschädigt.

Johnson bemüh­te sich, das Ergeb­nis als großen Erfolg darzu­stel­len. «Ich glaube, das ist ein extrem gutes, positi­ves, abschlie­ßen­des und deutli­ches Ergeb­nis», sagte der konser­va­ti­ve Partei­chef nach der Abstim­mung in einem Fernseh­in­ter­view. Er fügte hinzu: «Was das bedeu­tet ist, dass wir als Regie­rung nun voran­schrei­ten können und uns auf Dinge konzen­trie­ren können, die den Menschen meiner Meinung nach wirklich wichtig sind.»

«Partygate»-Affäre

Johnson war unter Druck geraten, nachdem Details über teilwei­se exzes­si­ve Partys in seinem Amtssitz in der Londo­ner Downing Street während der Corona-Lockdowns ans Licht gekom­men waren. Der konser­va­ti­ve Politi­ker hatte die Feiern gedul­det und war teilwei­se sogar dabei gewesen. Ein Unter­su­chungs­be­richt warf den Verant­wort­li­chen in der Downing Street Führungs­ver­sa­gen vor. Johnson musste wegen der Teilnah­me an einer illega­len Lockdown-Party eine Geldstra­fe zahlen und gilt damit als erster amtie­ren­der Premier­mi­nis­ter Großbri­tan­ni­ens, der erwie­se­ner­ma­ßen das Gesetz gebro­chen hat.

Johnson stell­te die Kritik an sich als reinen Medien­rum­mel dar. Er freue sich, nun ausschließ­lich über die Priori­tä­ten seiner Regie­rung zu sprechen und nicht mehr über «das ganze Zeug, das von obses­si­vem und zwang­haf­tem Inter­es­se» der Journa­lis­ten sei, sagte der Premier.

Johnson-Vertrau­te wollen «nach vorne» schauen

Ein weite­res Misstrau­ens­vo­tum ist nach den gelten­den Regeln der briti­schen Konser­va­ti­ven nun für einen Zeitraum von zwölf Monaten ausge­schlos­sen. Johnson-Vertrau­te forder­ten daher, nun müsse ein Schluss­strich unter die Kritik an der Führungs­rol­le des Premiers gezogen werden. Doch das ist kaum zu erwarten.

«Ich denke, es ist nun wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir nur in der Lage sind zu liefern, wenn wir vereint sind», sagte Bildungs­mi­nis­ter Nadhim Zahawi dem Sender Sky News nach der Abstim­mung. Es sei nun Zeit, nach vorne zu schau­en und sich Themen wie etwa der Wirtschaft und der stark steigen­den Infla­ti­on widmen zu können.

Opposi­ti­ons­füh­rer Keir Starmer warf den Konser­va­ti­ven jedoch vor, gar keinen Plan zu haben, wie sie diese Proble­me angehen wollen. Es zeige sich nun klarer als jemals zuvor, wie gespal­ten die Tory-Partei sei. Die briti­sche Öffent­lich­keit habe genug von einem Premier­mi­nis­ter, der viel verspre­che, aber niemals diese Verspre­chen halte, sagte der Labour-Chef.

Sogar Partei­kol­le­gen werfen ihm Planlo­sig­keit vor

Es war nicht nur die laxe Haltung gegen­über den eigenen Regeln, die Johnsons Gegner in der eigenen Partei auf die Barri­ka­den gebracht hat. Der Tory-Abgeord­ne­te und langjäh­ri­ge Johnson-Wegge­fähr­te Jesse Norman warf dem Premier unter anderem vor, die Einheit des Landes zu gefähr­den. Den Konfron­ta­ti­ons­kurs mit Brüssel in der Nordir­land-Frage bezeich­ne­te er als «wirtschaft­lich sehr schäd­lich, politisch töricht und beina­he sicher illegal». Johnsons Plan, Flücht­lin­ge nach Ruanda abzuschie­ben, beschrieb er als «hässlich, wahrschein­lich kontra­pro­duk­tiv und von zweifel­haf­ter Rechtmäßigkeit».

Eine langfris­ti­ge politi­sche Agenda habe Johnson hinge­gen nicht. «Statt­des­sen versuchst du einfach nur Wahlkampf zu betrei­ben, indem du ständig das Thema wechselst und politi­sche und kultu­rel­le Gräben haupt­säch­lich zu deinem eigenen Vorteil schaffst», so Norman weiter.

Kritik in der Partei breit gestreut

Ebenfalls zu denken geben sollte Johnson, dass die Rebel­li­on nicht nur von einem Flügel der Partei zu kommen schien. Beispiels­wei­se finden sich unter seinen Kriti­kern sowohl beinhar­te Brexit-Anhän­ger wie der Abgeord­ne­te Steve Baker und Ex-Brexit-Minis­ter David Davis als auch Remai­ner wie Tobias Ellwood, der kürzlich eine Rückkehr in den EU-Binnen­markt forderte.

Seit Monaten hatten immer wieder Partei­kol­le­gen Johnson öffent­lich zum Rücktritt aufge­for­dert. Der Versuch, ihn aus dem Amt zu jagen, ist nun vorerst geschei­tert. Johnson hat zwar noch die Mehrheit der Frakti­on hinter sich, doch die Fronten inner­halb der eigenen Partei schei­nen so verhär­tet, dass ihm das Regie­ren zuneh­mend schwer fallen dürfte.

Die nächs­te Krise für Johnson droht, wenn am 23. Juni in zwei engli­schen Wahlkrei­sen Nachwah­len statt­fin­den. In mindes­tens einem davon müssen sich die Tories auf eine schwe­re Nieder­la­ge einstellen.

Von Chris­toph Meyer und Laris­sa Schwe­des, dpa