TÜBINGEN (dpa) — Deutschlands wohl umtriebigster Oberbürgermeister hat alles auf eine Karte gesetzt — und gewonnen. Gegen den Widerstand der eigenen Partei gewinnt Boris Palmer die OB-Wahl mit absoluter Mehrheit. Nun strotzt er vor Kraft — und hat nicht vor, seinen Stil zu ändern.
Palmer ist bereits seit 16 Jahren Stadtoberhaupt. Er hatte im Vorfeld erklärt, nicht mehr beim zweiten Wahlgang antreten zu wollen, sollte er in der ersten Runde nicht vorne liegen. Die Mitgliedschaft des 50-Jährigen bei den Grünen ruht bis Ende 2023 wegen Streitereien um Tabubrüche und Rassismusvorwürfe. Er ging am Marktplatz auch auf sein Verhältnis zu seiner Partei ein. Er habe am Wahltag Kontakt mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (beide Grüne) gehabt, sagte Palmer. Seine Absicht und sein Angebot sei es, für seine Partei mitzuwerben, miteinzutreten und die Werte, die ihm wichtig seien, hochzuhalten. Ökologie sei das einigende Band der Grünen, das werde er künftig stärker hervorheben.
Nach dem Wahlsieg machte er aber grundsätzlich deutlich, dass er nicht vorhabe, seinen Stil zu ändern. Es lohne sich zu streiten in einer Demokratie, sagte Palmer, man dürfe nicht mit asymmetrischer Demobilisierung alle zum Einschlafen bringen.
Tübingen sei sich einig, dass man bis 2030 klimaneutral werden wolle, mehr bezahlbaren Wohnraum brauche und für alle Kinder wieder ein optimales Betreuungsangebot, sagte Palmer unter Applaus. Er wolle die ökologische Transformation vorantreiben. Palmer dankte auch seiner Familie, die mit ihm am Rathaus war. Seine Frau habe viel mitgemacht. «Wenn da in der Zeitung solche Dinge stehen, das ist nicht ganz leicht, das alles abtropfen zu lassen, wenn da Gehässigkeiten und Morddrohungen ausgebreitet werden.» Auch seine 81-jährige Mutter war auf dem Marktplatz.
Am Ende ging er auf den Ukraine-Krieg ein. Russland und die Ukraine diskutierten derzeit, wer wohl als nächstes die erste «schmutzige Atombombe» werfe. «Mich macht das sehr betroffen», sagte Palmer. «Deshalb ist die Demokratie so kostbar. Lassen sie sie uns gegen alle Feinde der Demokratie verteidigen, wo immer sie sich erheben.»
Der Wahlsieger lud anschließend zur «Happy Hour» in ein Tübinger Lokal am Rathaus. Eine Stunde lang seien die Getränke für alle kostenfrei.