Deutsch­lands wohl umtrie­bigs­ter Oberbür­ger­meis­ter hat alles auf eine Karte gesetzt — und gewon­nen. Gegen den Wider­stand der eigenen Partei gewinnt Boris Palmer die OB-Wahl mit absolu­ter Mehrheit. Nun strotzt er vor Kraft — und hat nicht vor, seinen Stil zu ändern.

Boris Palmer ist als Oberbür­ger­meis­ter von Tübin­gen wieder­ge­wählt worden. Er setzte sich mit einer absolu­ten Mehrheit von 52,4 der Stimmen gegen seine Konkur­ren­ten durch, wie die Stadt am Sonntag­abend nach Auszäh­lung aller Wahllo­ka­le mitteil­te. Palmer war wegen Ärgers mit seiner Partei nicht für die Grünen, sondern als unabhän­gi­ger Kandi­dat angetre­ten. Er richte­te sich nach Bekannt­ga­be des Ergeb­nis­ses auf dem Tübin­ger Markt­platz zunächst an seine Gegner: Im Wahlkampf werde hart gerun­gen, nun sei wichtig, dass Streit nachein­an­der beigelegt werde.Seine Konkur­ren­tin Ulrike Baumgärt­ner (Grüne) kam auf 22 Prozent der Stimmen, Sofie Geisel (SPD, von der FDP unter­stützt) auf 21,4 Prozent der Stimmen. Alle anderen der insge­samt sechs Kandi­da­ten lagen unter drei Prozent der Stimmen. Rund 69.000 Tübin­ge­rin­nen und Tübin­ger waren wahlbe­rech­tigt. Die Wahlbe­tei­li­gung lag mit 62,6 Prozent ungewöhn­lich hoch. «Wir haben mögli­cher­wei­se einen Baden-Württem­berg-Rekord aufge­stellt», sagte Palmer dazu. Die Wahlbe­tei­li­gung nannte er sensationell.

Palmer ist bereits seit 16 Jahren Stadt­ober­haupt. Er hatte im Vorfeld erklärt, nicht mehr beim zweiten Wahlgang antre­ten zu wollen, sollte er in der ersten Runde nicht vorne liegen. Die Mitglied­schaft des 50-Jähri­gen bei den Grünen ruht bis Ende 2023 wegen Strei­te­rei­en um Tabubrü­che und Rassis­mus­vor­wür­fe. Er ging am Markt­platz auch auf sein Verhält­nis zu seiner Partei ein. Er habe am Wahltag Kontakt mit Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ter Robert Habeck und Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (beide Grüne) gehabt, sagte Palmer. Seine Absicht und sein Angebot sei es, für seine Partei mitzu­wer­ben, mitein­zu­tre­ten und die Werte, die ihm wichtig seien, hochzu­hal­ten. Ökolo­gie sei das einigen­de Band der Grünen, das werde er künftig stärker hervorheben.

Nach dem Wahlsieg machte er aber grund­sätz­lich deutlich, dass er nicht vorha­be, seinen Stil zu ändern. Es lohne sich zu strei­ten in einer Demokra­tie, sagte Palmer, man dürfe nicht mit asymme­tri­scher Demobi­li­sie­rung alle zum Einschla­fen bringen.

Tübin­gen sei sich einig, dass man bis 2030 klima­neu­tral werden wolle, mehr bezahl­ba­ren Wohnraum brauche und für alle Kinder wieder ein optima­les Betreu­ungs­an­ge­bot, sagte Palmer unter Applaus. Er wolle die ökolo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on voran­trei­ben. Palmer dankte auch seiner Familie, die mit ihm am Rathaus war. Seine Frau habe viel mitge­macht. «Wenn da in der Zeitung solche Dinge stehen, das ist nicht ganz leicht, das alles abtrop­fen zu lassen, wenn da Gehäs­sig­kei­ten und Morddro­hun­gen ausge­brei­tet werden.» Auch seine 81-jähri­ge Mutter war auf dem Marktplatz.

Am Ende ging er auf den Ukrai­ne-Krieg ein. Russland und die Ukrai­ne disku­tier­ten derzeit, wer wohl als nächs­tes die erste «schmut­zi­ge Atombom­be» werfe. «Mich macht das sehr betrof­fen», sagte Palmer. «Deshalb ist die Demokra­tie so kostbar. Lassen sie sie uns gegen alle Feinde der Demokra­tie vertei­di­gen, wo immer sie sich erheben.»

Der Wahlsie­ger lud anschlie­ßend zur «Happy Hour» in ein Tübin­ger Lokal am Rathaus. Eine Stunde lang seien die Geträn­ke für alle kostenfrei.