STUTTGART/BERLIN (dpa/lsw) — Prosti­tu­ier­te waren mit am längs­ten von der coronabe­ding­ten Schlie­ßung der Bordel­le betrof­fen. Die Zeit hätte man nützen können, um ihnen beim Ausstieg zu helfen, meinen Kriti­ke­rin­nen des Sex-Kaufs. Doch dafür fehlt es an Programmen.

Die Ausbeu­tung von Prosti­tu­ier­ten kann nach Ansicht der Stutt­gar­ter SPD-Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­ten Leni Breymai­er nur einge­dämmt werden, wenn schär­fer gegen deren Freier vorge­gan­gen wird. «Wir müssen an der Nachfra­ge­sei­te anset­zen», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. SPD und CDU im Bundes­tag wollten das Straf­ge­setz­buch bei einer Abstim­mung an diesem Freitag dahin­ge­hend verschär­fen, dass ein Freier, der Sex bei Zwangs­pro­sti­tu­ier­ten kauft, bestraft werden kann.

«Wenn er leicht­fer­tig die Zwangs­la­ge der Frau verkennt, droht ihm eine Haftstra­fe von drei Jahren», erläu­ter­te Breymai­er. Damit werde den Freiern erschwert, sich heraus­zu­re­den, auch wenn die Zeichen von Gewalt, Einschüch­te­rung und Ausbeu­tung der Frauen deutlich sicht­bar seien. Während der Corona-Krise hätten vor allem Frauen Bußgel­der zahlen müssen, die trotz der virus­be­ding­ten Schlie­ßung der Bordel­le Freier empfin­gen. Letzte­re seien hinge­gen verschont worden.

Seit Montag dürfen nach einem Beschluss des Verwal­tungs­ge­richts­ho­fes (VGH) Bordel­le im Südwes­ten nach mehr als einem Jahr Zwangs­pau­se wieder öffnen.

Breymai­er ist Mitgrün­de­rin des Stutt­gar­ter Vereins «Sisters» für den Ausstieg aus der Prosti­tu­ti­on. Aber Ausstiegs­pro­gram­me allei­ne, von denen es ohnehin nicht genug gebe, genüg­ten nicht, um der Prosti­tu­ti­on einen Riegel vorzu­schie­ben. Sie setzt sich für das in Schwe­den prakti­zier­te «Nordi­sche Modell» ein, zu dem ein Sex-Kauf-Verbot, Sexual­auf­klä­rung für Jugend­li­che, Entkri­mi­na­li­sie­rung der Prosti­tu­ier­ten und Ausstiegs­pro­gram­me gehören. Zwar hätten während der Pande­mie etliche Dutzend Frauen mit Hilfe von «Sisters» den Ausstieg geschafft. «Aber für jede Frau, die wir rausho­len, kommen fünf nach.»

Breymai­er gehört zu einer Gruppe von Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­ten von Union und SPD, die während der Schlie­ßung von Prosti­tu­ti­ons­stät­ten ein Sexkauf­ver­bot und Ausstiegs­pro­gram­me gefor­dert hatten. Ein entspre­chen­der Brief an die Regie­rungs­chefs der Länder von Mai 2020 hat laut Breymai­er aber keiner­lei Reakti­on ausgelöst.

Aus Sicht der Mannhei­mer Prosti­tu­ier­ten-Berate­rin Julia Wege haben der Bund und das Land Baden-Württem­berg die Chance vertan, während der Corona-Krise Frauen zum Ausstieg zu bewegen. «Ich finde diese Untätig­keit enttäu­schend — zumal belegt ist, dass viele Frauen von der Gewalt und Ausbeu­tung im Milieu trauma­ti­siert sind», sagte die Leite­rin der von der Stadt Mannheim und dem Sozial­mi­nis­te­ri­um geför­der­ten diako­ni­schen Anlauf­stel­le Amalie.

Zu Wochen­an­fang empfin­gen in den Laufhäu­sern und Bordel­len Mannheims mehr als ein Viertel der dort arbei­ten­den 200 Frauen wieder Freier. Es gibt in Deutsch­land 33 000 behörd­lich regis­trier­te Prosti­tu­ier­te und nach Zahlen der Abgeord­ne­ten bis zu 400 000 insgesamt.

Während der Schlie­ßung habe sich das Gewer­be auf den Straßen­strich, Ferien­woh­nun­gen, Airbnb und Hotels verla­gert, berich­te­te Wege. Einige Frauen haben sich nach ihren Worten in Bordel­len zu horren­den Preisen einquar­tiert und bei ihren Arbeit­ge­bern hoch verschul­det. «Die Hälfte der Frauen sind in ihre Herkunfts­län­der — meist Rumäni­en und Bulga­ri­en — zurück­ge­kehrt.» Bei 117 Beratun­gen im vergan­ge­nen Jahr habe in neun Fällen der Ausstieg im Fokus gestanden.