Damit die Infek­ti­ons­zah­len sinken, gelten stren­ge Aufla­gen. Die meisten Kultur­ein­rich­tun­gen bleiben geschlos­sen. Biblio­the­ken dürfen dagegen öffnen und finden so zu einer neuen Norma­li­tät — mit Desin­fek­ti­on, Ruhe oder Überraschungspaketen.

Eine solch verän­der­te Nachfra­ge verzeich­nen viele Häuser. So ist bei der Stadt­bi­blio­thek Stutt­gart die Online-Nachfra­ge nach inter­na­tio­na­ler Presse wie etwa der New York Times und anderen Tages­zei­tun­gen um 500 Prozent gestie­gen, wie Spreche­rin Meike Jung sagt. Das Angebot an digita­len Medien generell habe das Haus deshalb seit dem Frühjahr ausgebaut.

Der Freihand­be­stand ist derzeit komplett geschlos­sen. Bücher liegen jedoch zum Abholen bereit, zudem gibt es einen Liefer­dienst in Pflege­hei­me, für Menschen in Quaran­tä­ne oder mit einge­schränk­ter Mobili­tät. Der Austausch mit den Lesern falle dabei leider weg. «Wir sind zurzeit eine Geister­bi­blio­thek», sagt Jung.

Von vielen Leser komme die Rückmel­dung, dass ihnen die sponta­ne Suche nach Büchern am Regal fehle. Die Biblio­the­ka­re stellen deshalb auf Wunsch auch Überra­schungs­pa­ke­te zusam­men. Bevor die Bücher das Haus verlas­sen, müssen sie an der Stadt­bi­blio­thek Stutt­gart für 72 Stunden in Quaran­tä­ne. Das gelte für alle Medien, sagt Jung, und sei eine Vorsichtsmaßnahme.

Bei der Stadt­bi­blio­thek in Ulm sieht man dafür keinen Anlass. Auch desin­fi­ziert werden Bücher hier nicht. Das Haus orien­tiert sich an den Einschät­zun­gen des Bundes­in­sti­tuts für Risiko­be­wer­tung, wonach keine Corona-Infek­tio­nen durch den Kontakt mit trocke­nen Oberflä­chen bekannt sind. Auch hier hat die Online-Auslei­he überpro­por­tio­nal zugenom­men. «In den ersten drei Quarta­len war die Nachfra­ge bereits so groß wie im ganzen Jahr 2019», sagt Direk­tor Martin Szlatki.

Er sei froh, dass sein Haus trotz des Teil-Lockdowns und der damit verbun­de­nen Schlie­ßung etwa aller Restau­rants im Land weiter offen bleiben darf. «Wir sind auch als Bildungs­ein­rich­tung wichtig», sagt Szlat­ki. Für viele sei die Biblio­thek eine Art Wohnzim­mer und Treff­punkt. Das falle jetzt weg. Damit dennoch keiner auf Bücher verzich­ten muss, werden inner­halb des Stadt­ge­biets Medien kosten­los gelie­fert. Das Angebot richtet sich vor allem an Risikogruppen.

Bei der Württem­ber­gi­schen Landes­bi­blio­thek in Stutt­gart diente die Corona-Pande­mie trotz aller Einschrän­kun­gen auch als Beschleu­ni­ger. So wurde das für 2021 geplan­te Reser­vie­rungs­sys­tem vorzei­tig in Betrieb genom­men, wie Direk­tor Rupert Schaab sagt. Dies sei wichtig, um zu dokumen­tie­ren, wer auf welchem Arbeits­platz sitze — mit Blick auf eine mögli­che Kontakt­nach­ver­fol­gung. Die Zahl der Nutzer der Landes­bi­blio­thek ist dabei mit rund 550 Nutzern pro Tag deutlich gerin­ger als in norma­len Zeiten — dann sind es bis zu 2000. Auch hier hat der Versand von Medien zugenom­men. Im Frühjahr habe es gar Bestel­lun­gen aus dem ganzen Bundes­ge­biet gegeben.

Neben den Stadt­bi­blio­the­ken ist auch die Nachfra­ge an den Unibi­blio­the­ken im Südwes­ten groß, trotz des haupt­säch­lich digita­len Semes­ters. Gefragt sind vor allem elektro­ni­sche Medien, hier sei ein neues Maximum an Auslei­hen erreicht worden, sagt Oliver Kohl-Frey, Direk­tor der Univer­si­täts­bi­blio­thek in Konstanz. Die Nachfra­ge bei den gedruck­ten Medien sei dagegen um mehr als die Hälfte gesun­ken im Vergleich zum Vorjahr.

Die größte Änderung ist für den Biblio­theks­di­rek­tor aber die einge­schränk­te Verfüg­bar­keit von Arbeits­plät­zen. Sei die Biblio­thek sonst wie ein «Bienen­stock» mit bis zu 1700 Plätzen, seien derzeit maximal 500 erlaubt. Bücher werden auch hier nicht desin­fi­ziert. Die Notwen­dig­keit habe man disku­tiert, sagt Kohl-Frey. Doch letzt­lich lägen Bücher mehre­re Stunden bis zu einen Tag lang, bevor sie wieder ausge­ge­ben würden. Das reiche aus Sicht der Biblio­thek aus.

Die meisten Biblio­the­ken sind froh, trotz all der Einschrän­kun­gen offen bleiben zu dürfen. In Villin­gen-Schwen­nin­gen bleibt die Stadt­bi­blio­thek dagegen trotz der Erlaub­nis der Landes­re­gie­rung geschlos­sen. Aufgrund des ausge­ge­be­nen Ziels, Kontak­te so gut es geht zu vermei­den, habe die Stadt beschlos­sen, die Biblio­thek im Novem­ber zu schlie­ßen, sagt eine Spreche­rin der Stadt. Nur so gebe es eine geringst­mög­li­che Gefähr­dung für die Bürger. Damit dennoch niemand ganz auf Bücher verzich­ten muss, gibt es auch hier die Möglich­keit, Medien außen an den beiden Biblio­theks­ge­bäu­den abzuho­len oder sie sich liefern zu lassen.

Auch wenn es den meisten Biblio­the­ken derzeit finan­zi­ell noch gut gehe, blicke sie mit Sorge ins kommen­de Jahr, sagt Andrea Krieg, Geschäfts­füh­re­rin des Landes­ver­bands des Deutschen Biblio­theks­ver­bands. Da die Haushal­te der Kommu­nen durch die Corona-Krise unter Druck stünden, rechne sie 2021 mit Einschnit­ten. Biblio­the­ken seien für die Städte freiwil­li­ge Leistun­gen, hier werde deshalb eher gespart. Sollte das passie­ren, sieht Krieg im Zweifel auch das Land am Zug, den Biblio­the­ken unter die Arme zu greifen. Neben den laut Statis­ti­schem Landes­amt 785 öffent­li­chen Biblio­the­ken in kommu­na­ler Träger­schaft gibt es in Baden-Württem­berg neun Unibi­blio­the­ken und zwei Landesbibliotheken.