BERLIN (dpa) — Der Bund disku­tiert angesichts des auslau­fen­den 9‑Euro-Tickets über weite­re Entlas­tun­gen. Auch auf EU-Ebene sind Nothil­fen ein Thema.

Mitten im Ringen um zusätz­li­che Entlas­tun­gen für die Bürger prüft die Bundes­re­gie­rung jetzt auch eine Korrek­tur der staat­li­chen Gasum­la­ge. Es gehe darum, «Tritt­brett­fah­rern», also eigent­lich profi­ta­blen Gasim­por­teu­ren, den Zugang dazu zu erschwe­ren, sagte Wirtschafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) in Berlin.

Die Umlage wird von den Gasnut­zern gezahlt — je weniger Unter­neh­men sie bekom­men, desto weniger müssten die Bürger tragen. Zugleich arbei­tet die Ampel-Koali­ti­on mit Hochdruck an weite­ren Hilfen. Ein neues Paket werde «in wenigen Tagen» auf dem Tisch liegen, sagte SPD-General­se­kre­tär Kevin Kühnert.

Die Bundes­re­gie­rung hat bereits zwei Entlas­tungs­pa­ke­te geschnürt, Maßnah­men wie das 9‑Euro-Ticket für den Nahver­kehr und die Steuer­sen­kung auf Sprit laufen Ende des Monats aller­dings aus. «Deswe­gen ist es umso wichti­ger, dass das dritte Entlas­tungs­pa­ket idealer­wei­se sogar noch bekannt wird, bevor kommen­den Donners­tag der Hammer fällt», sagte Kühnert der «Neuen Osnabrü­cker Zeitung».

Berück­sich­ti­gung von Älteren bei neuen Entlastungen

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz hatte am Donners­tag ebenfalls angekün­digt, die Regie­rung werde rasch einen Vorschlag machen — und dieses Mal sollten auch Rentne­rin­nen und Rentner beson­ders von den Hilfen profi­tie­ren. «Das steht für mich jeden­falls fest», sagte der SPD-Politi­ker. Zuvor hatte es Kritik gegeben, dass Rentner bei der Energie­preis­pau­scha­le, die im Septem­ber an Beschäf­tig­te ausge­zahlt wird, außen vor bleiben. Auch Finanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner (FDP) versi­cher­te in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner»: «Wir werden noch vor Oktober Klarheit haben über das Entlas­tungs­pa­ket für den Winter.»

Lindner beton­te auch, die Regie­rung scheue sich nicht vor einer Korrek­tur bei der Gasum­la­ge. «Eine Maßnah­me der Solida­ri­tät kann nicht dazu dienen, dass einzel­ne Unter­neh­men ihre Rendi­te pflegen und Gewin­ne darauf machen», sagte er. Habeck erklär­te, er suche eine rechts­si­che­re Möglich­keit, «Tritt­brett­fah­rer» wieder auszusortieren.

Die Umlage soll die wegen knapper russi­scher Gaslie­fe­run­gen stark gestie­ge­nen Kosten von Großim­por­teu­ren wie Uniper ausge­glei­chen, um diese vor einer Pleite und das deutsche Energie­sys­tem vor dem Kollaps zu bewah­ren. Alle Gaskun­den sollen dafür ab Oktober zusätz­lich 2,4 Cent pro Kilowatt­stun­de bezah­len, Privat­haus­hal­te ebenso wie Firmen. Etwa die Hälfte aller Wohnun­gen in Deutsch­land wird mit Gas beheizt.

An der Umlage gibt es aber Kritik, weil auch Firmen profi­tie­ren könnten, denen es wirtschaft­lich gut geht. Das sei so nicht vorge­se­hen gewesen, sagte Habeck. «Wir wollten ja nicht Unter­neh­men, die gute Gewin­ne machen, weite­re Gewinn­chan­cen geben.» Das Umlage­sys­tem insge­samt stehe aber nicht zur Debatte.

Union und Linke wollen Umlage stoppen

Die Union dagegen fordert mit einem Antrag im Bundes­tag, die Umlage komplett wieder abzuschaf­fen. Das geht aus einem Antrag der CDU/C­SU-Frakti­on hervor, der der Deutschen Presse-Agentur vorlag. Zuerst hatte die «Bild»-Zeitung darüber berich­tet. Von Mitteln aus der Umlage würden auch Unter­neh­men profi­tie­ren, die gar keine Unter­stüt­zung bräuch­ten, da sie für das laufen­de Geschäfts­jahr Gewin­ne in Millio­nen- und Milli­ar­den­hö­he erwar­ten, heißt es in dem Antrag.

Eine Rücknah­me forder­ten auch AfD und Linke. Linken-Co-Frakti­ons­chef Dietmar Bartsch meinte: «Die Gasum­la­ge gehört nicht überar­bei­tet, sondern gestoppt.» Die AfD-Frakti­ons­vor­sit­zen­de Alice Weidel erklär­te: «Die Gasum­la­ge ist von Anfang an vermurkst und nicht zu retten.»

Habeck vertei­dig­te die Umlage: Das Umlage­sys­tem insge­samt stehe nicht zur Debat­te, beton­te er. Es müsse verhin­dert werden, dass die Gasver­sor­gung in Deutsch­land gefähr­det werde oder gar zusam­men­bre­che. Er verste­he jeden, der sich darüber ärgere, dass Firmen die Umlage in Anspruch nehmen wollen, die Gewin­ne machen. «Ich reihe mich ein in diese Reihe. Aber wir sind natür­lich auch daran gebun­den, rechts­si­che­re Formen zu finden.»

SPD-Chefin Saskia Esken plädier­te im ZDF-Morgen­ma­ga­zin dafür, die Auszah­lung an die Bedürf­tig­keit der Gasim­por­teu­re zu koppeln.

Antrags­be­rech­tigt für den Kosten­aus­gleich sind laut Wirtschafts­mi­nis­te­ri­um Impor­teu­re von russi­schem Erdgas nach Deutsch­land, die unmit­tel­bar vom Ausfall von Gasim­port­ver­trä­gen betrof­fen sind.

Appell an Energie­ver­sor­ger: Umlage nicht nutzen

Der Grünen-Politi­ker Anton Hofrei­ter räumte ein, bei der Entwick­lung der Umlage sei «eindeu­tig ein Fehler passiert». Es sei aber eine Stärke demokra­ti­scher Politik, Entschei­dun­gen korri­gie­ren zu können, sagte er in der RTL/ntv-Sendung «Frühstart». Regie­rungs­spre­cher Steffen Hebestreit sagte, sollte ein Ausschluss profi­ta­bler Unter­neh­men recht­lich nicht möglich sein, blieben immer noch Appel­le an die Firmen, die Umlage nicht wahrzu­neh­men. RWE und Shell haben bereits erklärt, Verlus­te selber tragen zu wollen.

Je weniger Firmen Geld aus der Gasum­la­ge verlan­gen, desto weniger müssen die Gasnut­zer zur Kasse gebeten werden. In vielen Haushal­ten sitzt das Geld derzeit ohnehin nicht locker. Einer Umfra­ge zufol­ge zwingt die hohe Infla­ti­on sieben von zehn Menschen in Deutsch­land zu Einspa­run­gen bei Urlaub, Freizeit oder Restau­rant­be­su­chen. Ein Fünftel (19 Prozent) gab bei der Befra­gung im Auftrag des Bundes­ver­ban­des deutscher Banken an, sich aufgrund der zuletzt stark gestie­ge­nen Preise bei sonsti­gen Ausga­ben «sehr einschrän­ken» zu müssen. Weite­re 53 Prozent antwor­te­ten, sie müssten sich «etwas einschrän­ken». Insge­samt ist die hohe Teuerung demnach die aktuell größte Sorge der Menschen in Deutschland.

Vorschlä­ge zur Entlas­tung gibt es viele, von einer Reform des Wohngelds über Einmal­zah­lun­gen für bestimm­te Gruppen bis hin zu einer großen Steuer­re­form. Die Energie­ge­werk­schaft IG BCE schlug ein steuer­frei­es Entlas­tungs­geld für die Beschäf­tig­ten vor, das von den Arbeit­ge­bern finan­ziert werden solle. Hofrei­ter plädier­te für ein weite­res Energie­geld, das mit einer Sonder­steu­er auf überho­he Unter­neh­mens­ge­win­ne finan­ziert werde.

Die «Wirtschafts­wei­se» Veroni­ka Grimm brach­te einen staat­lich subven­tio­nier­ten Grund­ver­brauch für Gas ins Spiel. Haushal­te bis zu einem bestimm­ten Einkom­men könnten eine bestimm­te Menge — zum Beispiel 75 Prozent des Durch­schnitts­ver­brauchs — zu günsti­gen Kondi­tio­nen bekom­men. Der Mehrver­brauch müsste dann zum Markt­preis gezahlt werden.

Arbeits­agen­tur bietet Hilfe bei Heizkostenrechnungen

Die neue Vorstands­che­fin der Bundes­agen­tur für Arbeit, Andrea Nahles, hat auf Hilfs­mög­lich­kei­ten bei der Beglei­chung etwa von Heizkos­ten­rech­nun­gen hinge­wie­sen. «Wer als Arbeit­neh­mer mit seinem Einkom­men unter das Existenz­mi­ni­mum fällt, hat Anspruch auf Hilfe — und falls nicht andere Sozial­leis­tun­gen in ausrei­chen­der Höhe zur Verfü­gung stehen, dann hilft die Grund­si­che­rung», sagte Nahles der «Frank­fur­ter Allge­mei­nen Zeitung» (Samstag).

Die Jobcen­ter würden dann prüfen, wie hoch das Einkom­men des Haushalts im Vergleich zum sogenann­ten Regel­be­darf ist und ob es vielleicht Anspruch auf andere Leistun­gen als die Grund­si­che­rung gibt. «Aber die Kernaus­sa­ge ist klar: Wer in so einer Lage nicht weiter weiß, kann sich auch an das Jobcen­ter wenden», sagte Nahles der Zeitung.

Verlän­ge­rung des Hilfs­pro­gramms für Industriefirmen

Ein milli­ar­den­schwe­res Hilfs­pro­gramm des Bundes für energie­in­ten­si­ve Indus­trie­fir­men soll verlän­gert werden. Zunächst wurde die bisher bis Ende August laufen­de Antrags­frist nach Angaben des Wirtschafts­mi­nis­te­ri­ums um einen Monat bis Ende Septem­ber verlän­gert. In einem zweiten Schritt solle der Programm­zeit­raum verlän­gert werden, dazu liefen Gesprä­che mit der EU-Kommission.

Antrags­be­rech­tig­te energie- und handels­in­ten­si­ve Unter­neh­men können einen Zuschuss zu ihren gestie­ge­nen Erdgas- und Strom­kos­ten von bis zu 50 Millio­nen Euro erhal­ten. Das Hilfs­pro­gramm hat laut Minis­te­ri­um ein Volumen von bis zu 5 Milli­ar­den Euro.

Seit dem Start des Programms Mitte Juli seien mehr als 1000 Anträ­ge von 211 Unter­neh­men einge­gan­gen, bei täglich steigen­den Zahlen. Anfang August sei der erste Bescheid erteilt und die erste Förder­tran­che ausge­zahlt worden.

EU beruft Sonder­tref­fen zu Energie­prei­sen ein

Nicht nur in Deutsch­land wird über weite­re Entlas­tun­gen disku­tiert, auch auf EU-Ebene soll über Nothil­fen debat­tiert werden. Die EU wird ein Sonder­tref­fen zu den drastisch gestie­ge­nen Energie­prei­sen einbe­ru­fen. Thema der Beratun­gen auf Minis­ter­ebe­ne sollen mögli­che Nothil­fen sein, wie die derzei­ti­ge tsche­chi­sche EU-Ratsprä­si­dent­schaft ankündigte.

Wann genau das Treffen der für Energie zustän­di­gen Minis­ter organi­siert wird, ist den Angaben zufol­ge noch nicht abschlie­ßend entschie­den. Der Termin werde zu einem späte­ren Zeitpunkt mitge­teilt, sagte ein Sprecher der Ratsprä­si­dent­schaft. Auch genaue Angaben zur Art mögli­cher Nothil­fe­maß­nah­men gab es zunächst nicht.

Der tsche­chi­sche Indus­trie- und Handels­mi­nis­ter Jozef Sikela hatte kürzlich eine gesamt­eu­ro­päi­sche Preis­de­cke­lung als «eine reale Möglich­keit» bezeich­net. «Für meinen Teil kann ich sagen, dass Tsche­chi­en eines der Länder wäre, die diesen Schritt unter­stüt­zen würden», sagte er.