BERLIN (dpa) — Deutsch­land will ukrai­ni­schen Flücht­lin­ge helfen. So viel war schnell klar. Weniger klar und heftig umstrit­ten: Wer dabei was bezah­len soll. Jetzt gibt es eine Verstän­di­gung zwischen Bund und Ländern.

Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne sollen ab dem 1. Juni staat­li­che Grund­si­che­rung erhal­ten, also die gleichen Leistun­gen wie etwa Hartz-IV-Empfän­ger. Darauf haben sich Bund und Länder am späten Donners­tag­abend nach zähen Verhand­lungs­stun­den geeinigt. Sie werden damit anerkann­ten Flücht­lin­gen gleich­ge­stellt, ohne eine Asylver­fah­ren durch­lau­fen zu müssen. «Das ist auch folge­rich­tig», sagte Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD).

Für die Kriegs­flücht­lin­ge hat das Vortei­le: Sie erhal­ten höhere Leistun­gen und eine besse­re Gesund­heits­ver­sor­gung. Außer­dem bekom­men sie früher Unter­stüt­zung bei der Integra­ti­on in den Arbeits­markt und haben mit den Jobcen­tern eine zentra­le Anlauf­stel­le für ihre Belan­ge. Für diese Lösung hatten sich unter anderem die Kommu­nen auch stark gemacht, weil der Bund die Ausga­ben für die Grund­si­che­rung trägt. Der Bund wird sich auch maßgeb­lich an den Kosten für die Unter­kunft betei­li­gen. Bislang und bis Juni erhal­ten Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne, die sich an die Behör­den wenden, auch schon Unter­stüt­zung — nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Mit der Entschei­dung für die Grund­si­che­rung seien nicht alle finan­zi­el­len Belas­tun­gen für Länder und Kommu­nen abgegol­ten, sagte Scholz. «Deshalb werden wir den Ländern pauschal zwei Milli­ar­den Euro für dieses Jahr zur Verfü­gung stellen, wovon 500 Millio­nen gedacht sind für die Kommu­nen, um ihre zusätz­li­chen Kosten für die Unter­kunfts­fi­nan­zie­rung abzusi­chern, die nicht bereits abgedeckt sind durch die Grund­si­che­rung für Arbeitssuchende.»

500 Millio­nen Euro für bereits entstan­de­ne Ausga­ben der Länder

Der Bund fühle sich auch verant­wort­lich für bereits angefal­le­ne Kosten bei Ländern und Gemein­den, so Scholz. Mit 500 Millio­nen will der Bund sich an bereits entstan­de­nen Ausga­ben für die Lebens­hal­tung der Geflüch­te­ten betei­li­gen. Eine Milli­ar­de Euro des Bundes ist vorge­se­hen als Betei­li­gung an den übrigen Kosten der Länder, etwa für Kinder­be­treu­ung und Schule sowie Gesund­heits- und Pflegekosten.

Die Europäi­sche Union hat entschie­den, für die Aufnah­me der Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne erstmals die sogenann­te Massen­zu­strom-Richt­li­nie zu aktivie­ren. Diese sieht vor, dass die Schutz­su­chen­den keinen Asylan­trag stellen müssen, sondern erst einmal einen Aufent­halts­ti­tel für ein Jahr erhal­ten und arbei­ten dürfen. Eine Verlän­ge­rung auf bis zu drei Jahre ist möglich.

Bei regle­men­tier­ten Berufen, für deren Ausübung also eine bestimm­te in Deutsch­land anerkann­te Quali­fi­ka­ti­on nötig ist, wollen sich Bund und Länder für eine schnel­le und einheit­li­che Anerken­nung ukrai­ni­scher Abschlüs­se einset­zen. Bei anderen Tätig­kei­ten soll eine Selbst­ein­schät­zung der Geflüch­te­ten zu ihren Quali­fi­ka­tio­nen ausreichen.

Mehr als 300.000 Flücht­lin­ge in Deutschland

Die Zahl der Ukrai­ne-Flücht­lin­ge in Deutsch­land liegt deutlich über 300.000. Allein die Bundes­po­li­zei hat nach Angaben des Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­ums bisher 316.453 erfasst. Aller­dings können Ukrai­ner visums­frei einrei­sen, so dass die tatsäch­li­che Zahl der Schutz­su­chen­den höher liegen dürfte. Derzeit stellt die Bundes­po­li­zei täglich die Einrei­se von rund 3000 Menschen aus der Ukrai­ne fest. Im März hatte die Zahl der Neuan­kömm­lin­ge bei über 15.000 pro Tag gelegen.

Eine Progno­se, wie viele Flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne letzt­lich nach Deutsch­land kommen werden, sei nach wie vor schwie­rig, sagte der Kanzler. Es könne sein, dass der «heiße Krieg» nicht lange weiter­ge­he und viele Menschen zurück­kehr­ten. «Es kann aber auch ganz anders kommen. Und niemand von uns, überhaupt niemand, ist gegen­wär­tig in der Lage, darüber eine realis­ti­sche Vorher­sa­ge zu machen. Deshalb müssen wir uns für alle Fälle wappnen. Und das haben wir heute gemacht.»

Techni­sche Proble­me bei Regis­trie­rung beheben

In dem Beschluss hieß es, Bund und Länder wollten die Regis­trie­rung derje­ni­gen, die in Deutsch­land blieben, beschleu­ni­gen und «optimie­ren». Dazu gehöre auch, techni­sche Proble­me der IT schnellst­mög­lich zu beheben. Der Bund will die Länder bei der Regis­trie­rung mit Perso­nal und Ausstat­tung unter­stüt­zen. Bei der Erfas­sung gehe es neben Ukrai­nern auch um Angehö­ri­ge anderer Staaten, heißt es in dem Papier. «Eine Regis­trie­rung ist nicht zuletzt vor dem Hinter­grund der Gewähr­leis­tung natio­na­ler Sicher­heits­in­ter­es­sen geboten.»

Bund und Länder halten laut Beschluss eine zügige Vertei­lung der Geflüch­te­ten inner­halb Deutsch­lands für nötig. «Das gilt auch für die Vertei­lung von den Städten in ländli­che Regio­nen.» Der Bund soll die Vertei­lung koordi­nie­ren und die Ziellän­der informieren.

Auf die Frage, ob diese Versor­gung der Flücht­lin­ge eine Vertei­lung in Europa erschwe­ren werde, sagte der Kanzler: «Natür­lich bemühen wir uns um eine solida­ri­sche Vertei­lung der Flücht­lin­ge in Europa.» Er sehe auch Bereit­schaft der Staaten dazu.