BERLIN (dpa) — Sie fehlte in kaum einer Wahlkampf­re­de von Olaf Scholz — nun brach­te das Kabinett die Mindest­lohn­stei­ge­rung auf den Weg. Millio­nen Menschen sollen laut Regie­rung profi­tie­ren. Die Arbeit­ge­ber schäumen.

Für Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer in Deutsch­land soll ab 1. Oktober ein Mindest­lohn von 12 Euro gelten. Das Bundes­ka­bi­nett beschloss den Gesetz­ent­wurf von Arbeits­mi­nis­ter Huber­tus Heil (SPD) für die Erhöhung der Lohnuntergrenze.

Damit gab die Minis­ter­run­de grünes Licht für die Umset­zung eines zentra­len Verspre­chens von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Wahlkampf.

Für den Minis­ter ist das ein wichti­ger Schritt hin zu mehr Armuts­fes­tig­keit. «Es geht natür­lich darum, dass Menschen mehr Geld im Porte­mon­naie haben, um besser über die Runden zu kommen», sagte Heil bei einem Besuch einer Bäcke­rei in Wolmir­stedt bei Magde­burg. Aber es gehe um mehr — um Leistungs­ge­rech­tig­keit und Respekt vor «Arbei­ten, die unser Land am Laufen halten». Die Menschen, die in den betrof­fe­nen Bereich arbei­te­ten, die auch in der Corona-Pande­mie «abgefei­ert» wurden, hätten mehr verdient als warme Worte.

Auch volks­wirt­schaft­lich werde die Erhöhung nicht schaden, so Heil. «Es wird die Kaufkraft in Deutsch­land stärken.» Derzeit beträgt der Mindest­lohn 9,82 Euro. Er gilt für nahezu alle Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer. Bis zu 6,2 Millio­nen Beschäf­tig­te sollen von der Erhöhung profitieren.

Im Sommer erst mal 63 Cent mehr

Zum 1. Juli 2022 ist bereits eine Anpas­sung auf 10,45 Euro geplant. Drei Monate später dann soll das Niveau der Lohnun­ter­gren­ze einma­lig außer­halb der üblichen Erhöhungs­schrit­te angeho­ben werden. Norma­ler­wei­se wird der Mindest­lohn im Wesent­li­chen an die vorige Steige­rung der Tarif­löh­ne in Deutsch­land angepasst.

Der Gesetz­ent­wurf begrün­det die Erhöhung auch mit steigen­den Lebens­hal­tungs- und Wohnkos­ten. Diese stell­ten in Frage, ob eine Vollzeit­be­schäf­ti­gung mit gelten­dem Mindest­lohn zur «Siche­rung einer angemes­se­nen Lebens­grund­la­ge» reiche.

Auch die Grenze für Minijobs wird von 450 auf 520 Euro erhöht — vom 1. Oktober an bleiben Monats­ver­diens­te bis zu der Grenze für Beschäf­tig­te steuer- und sozialabgabenfrei.

Kritik von Arbeitgebern

Arbeit­ge­ber­prä­si­dent Rainer Dulger kriti­sier­te, die Politik breche die Zusage, dass die Mindest­lohn­kom­mis­si­on die Lohngren­ze festle­ge. In diesem Gremi­um bestim­men Arbeit­ge­ber und Gewerk­schaf­ten norma­ler­wei­se die Erhöhungs­schrit­te. Die vertrau­ens­vol­le Zusam­men­ar­beit dort werde schwer gestört. Dulger sprach von einem «System­wech­sel von einer tarif­po­li­tisch gepräg­ten Mindest­lohn­ent­wick­lung hin zu einer Staats­lohn­ent­wick­lung». Die Politik solle mit den Arbeit­ge­ber­ver­bän­den zurück an den Tisch kommen, «um eine fatale Fehlent­wick­lung im sozia­len Gefüge der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land zu vermeiden».

Der Deutsche Gewerk­schafts­bund wies die BDA-Kritik als reali­täts­fern zurück. «Der einzi­ge Staats­lohn ist der Dumping­lohn, der nur mit staat­li­chen Zuschüs­sen zum Existie­ren reicht», sagte DGB-Vorstands­mit­glied Stefan Körzell. Die Erhöhung sei eine Frage der Wertschät­zung der Arbeit. Körzell forder­te einen zügigen Bundes­tags­be­schluss. Zu rechnen sei mit einem Kaufkraft­ge­winn von rund 4,8 Milli­ar­den Euro.

Warnung vor höheren Preisen

Als Fehler kriti­sier­te der DGB die geplan­te Auswei­tung der Minijob­gren­ze, die künftig an die Höhe des Mindest­lohns gekop­pelt werden soll. Die Chance auf eine Reform werde vertan, Millio­nen Beschäf­tig­te seien weiter nicht sozial­ver­si­chert. Der Präsi­dent des Deutschen Bauern­ver­ban­des, Joachim Rukwied, warnte vor höheren Preisen etwa bei Obst und Gemüse.

Die Linke-Vorsit­zen­de Susan­ne Hennig-Wellsow sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Die Bundes­re­gie­rung täte gut daran, sich von der Kritik der Arbeit­ge­ber nicht beein­dru­cken zu lassen. Schon bei der Einfüh­rung des Mindest­lohns 2015 wurde der Unter­gang des Wirtschafts­stand­orts Deutsch­land prophe­zeit, das Gegen­teil war der Fall.» Ausnah­men oder großzü­gi­ge Übergangs­re­geln dürfe es nicht geben. Damit reagier­te sie auf Forde­run­gen der BDA.

Mindest­lohn­kom­mis­si­on in Zukunft wieder zuständig

Laut dem Gesetz­ent­wurf soll über künfti­ge Anpas­sun­gen wieder die Mindest­lohn­kom­mis­si­on entschei­den. Ihre nächs­te Entschei­dung soll es zum 30. Juni 2023 geben — für die Erhöhungs­stu­fe 1. Januar 2024.

Heil vertei­dig­te die Pläne. Sie seien kein Angriff auf die Tarif­au­to­no­mie. «Im Gegen­teil. Ich will, dass wir mehr Tarif­bin­dung in Deutsch­land haben.» Die Kommis­si­on werde für weite­re Erhöhungs­schrit­te in den kommen­den Jahren zustän­dig sein.

Deutsch­land zählt in der EU zu den Ländern mit vergleichs­wei­se hohem Mindest­lohn. Die seit Jahres­an­fang gelten­den 9,82 Euro pro Stunde entspre­chen bei einer Vollzeit­stel­le rechne­risch 1621 Euro brutto im Monat, wie das Statis­ti­sche Bundes­amt mitteil­te. Höhere Mindest­löh­ne werden demnach in Luxem­burg (2257 Euro), Irland (1775 Euro), den Nieder­lan­den (1725 Euro) und Belgi­en (1658 Euro) gezahlt. Frank­reich liegt mit 1603 Euro darunter.