BERLIN (dpa) — Eine Ohrfei­ge für die Politik: so wurde das Klima-Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts von vielen gewer­tet. Die Koali­ti­on will nun reagie­ren. Aber können sich CDU, CSU und SPD zur Wahl noch zusammenraufen?

Die Bundes­re­gie­rung will beim Klima­schutz nach dem wegwei­sen­den Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zügig nachlegen.

Sie strebt noch in dieser Legis­la­tur­pe­ri­ode eine Reform des Klima­schutz­ge­set­zes an. Dabei sollen über das Jahr 2030 hinaus verbind­li­che Mengen zum Ausstoß klima­schäd­li­cher Treib­haus­gas­emis­sio­nen für einzel­ne Berei­che wie die Indus­trie oder den Verkehr festge­legt werden, die dann Jahr für Jahr sinken — auf dem Weg zur Treib­haus­gas­neu­tra­li­tät bis 2050.

Regie­rungs­spre­cher Steffen Seibert sagte am Freitag in Berlin, die Bundes­re­gie­rung werde alles daran setzen, noch in dieser Legis­la­tur­pe­ri­ode einen Geset­zes­vor­schlag zu machen. Kernfor­de­run­gen des Gerichts sollten umgesetzt werden. Vizekanz­ler Olaf Scholz (SPD) hatte zuvor erklärt: «Ich habe mit der Bundes­kanz­le­rin verein­bart, dass das neue Klima­schutz­ge­setz in dieser Legis­la­tur­pe­ri­ode kommt.»

Viel Zeit für ein neues Klima­schutz­ge­setz bleibt aber nicht. Die letzte Sitzungs­wo­che des Bundes­tags vor der Wahl im Septem­ber ist Ende Juni.

Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt hatte den Gesetz­ge­ber in einem wegwei­sen­den Urteil dazu verpflich­tet, bis Ende kommen­den Jahres die Reduk­ti­ons­zie­le für Treib­haus­gas­emis­sio­nen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Verfas­sungs­be­schwer­den mehre­rer Klima­schüt­zer waren zum Teil erfolgreich.

Im Kern bedeu­tet das Urteil, dass auf dem Weg zum Ziel der Treib­haus­gas­neu­tra­li­tät bis 2050 einschnei­den­de Schrit­te zur Senkung von Emissio­nen nicht zu Lasten der jungen Genera­ti­on auf die lange Bank gescho­ben werden dürfen. Die Richter beton­ten auch das Pariser Klima­ab­kom­men. Die Staaten der Erde hatten sich Ende 2015 in Paris darauf geeinigt, die Erder­wär­mung im Vergleich zum vorin­dus­tri­el­len Zeital­ter auf deutlich unter zwei Grad zu begren­zen sowie alles daran zu setzen, den Tempe­ra­tur­an­stieg bereits bei 1,5 Grad zu stoppen.

Das deutsche Klima­schutz­ge­setz legt bisher für die Jahre bis 2030 für einzel­ne Berei­che wie Verkehr, Landwirt­schaft und Gebäu­de fest, wie viel Treib­haus­ga­se sie in welchem Jahr aussto­ßen dürfen. Die Mengen sinken von Jahr zu Jahr.

Der SPD-Kanzler­kan­di­dat Scholz erklär­te, er wolle zusam­men mit Umwelt­mi­nis­te­rin Svenja Schul­ze (SPD) zügig einen Vorschlag für mehr Klima­schutz vorle­gen. «Damit schüt­zen wir unsere Lebens­grund­la­gen und schaf­fen Planungs­si­cher­heit für die Unter­neh­men. Ich habe immer gesagt: Klima­schutz ist die wichtigs­te Aufga­be unserer Zeit. Bremser und Blockie­rer haben nichts mehr zu sagen, es geht jetzt ums Handeln.»

Der Vorwurf des Bremsers zielt auf die Union und Wirtschafts­mi­nis­ter Peter Altmai­er (CDU). Die SPD wirft Altmai­er vor, 2019 bei den Verhand­lun­gen zum Klima­schutz­ge­setz Jahres­e­mis­si­ons­men­gen auch nach 2030 verhin­dert zu haben.

Altmai­er wieder­um hatte auf einen Vorschlag vom vergan­ge­nen Septem­ber verwie­sen. Er hatte angeregt, eine Charta zu beschlie­ßen, die bis zur angestreb­ten Klima­neu­tra­li­tät 2050 jährli­che Treib­haus­gas-Minde­rungs­zie­le, also Budgets, festlegt.

Der Wirtschafts­mi­nis­ter wies auf das enge Zeitfens­ter für eine Anpas­sung des Klima­schutz­ge­set­zes hin. «Aber wenn es gelän­ge, in den nächs­ten zwei, maximal drei Wochen zu einer Einigung zu kommen, die im Parla­ment breit getra­gen wird, dann hielte ich ein solches Vorha­ben für aussichts­reich», sagte Altmai­er am Freitag im Deutsch­land­funk. «Ich sehe ein schma­les Fenster der Gelegen­heit, dass wir es schaf­fen können.»

Umwelt- sowie Wirtschafts­ver­bän­de forder­ten die Regie­rung zum Handeln auf. Die Haupt­ge­schäfts­füh­re­rin des Energie­ver­ban­des BDEW, Kerstin Andreae, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Die aktuel­le Bundes­re­gie­rung hat in Hinblick auf Energie- und Klima­po­li­tik noch eine Reihe von Vorha­ben vor sich, die keinen Aufschub dulden und noch vor der Bundes­tags­wahl angegan­gen werden müssen». Dazu gehöre zwingend ein verstärk­ter Ausbau der erneu­er­ba­ren Energien.

Der Bundes­ge­schäfts­füh­rer der Deutschen Umwelt­hil­fe, Jürgen Resch, sagte der dpa, die Politik könne sofort Maßnah­men ergrei­fen für mehr Klima­schutz. So könne ein generel­les Tempo­li­mit von 120 Stunden­ki­lo­me­tern auf Autobah­nen, Tempo 80 auf Landstra­ßen und Tempo 30 in der Stadt bis 2034 rund 100 Millio­nen Tonnen CO2 einspa­ren. Resch bekräf­tig­te zudem die Forde­rung nach einem Aus für Autos mit Verbren­nungs­mo­tor ab 2025. Die Umwelt­hil­fe sprach sich außer­dem dafür aus, den spätes­tens 2038 geplan­tem Kohle­aus­stieg auf 2030 vorzuziehen.

Die Umwelt­hil­fe hatte Klima­kla­gen vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt unter­stützt. Resch sagte, er sehe nun gute Chancen auf einen Erfolg weite­rer Klagen. Die Umwelt­hil­fe kündig­te außer­dem an, wenn die Regie­rung nicht sofort effek­ti­ve CO2-Einspar­maß­nah­men umset­ze, werde sie das vor Gericht erzwingen.

Grünen-Frakti­ons­vi­ze Oliver Krischer sagte der dpa, er erwar­te jetzt von der Regie­rung und insbe­son­de­re von Verkehrs­mi­nis­ter Andre­as Scheu­er (CSU), dass beim Klima­schutz bis zum Sommer nachge­legt werde — und zwar nicht nur für die Zeit ab 2030, sondern auch für die nächs­ten Jahre: «Wir brauchen endlich eine Kfz-Steuer­re­form, die dem Elektro­au­to zum Durch­bruch verhilft.» Auch die Verla­ge­rung des Güter­trans­por­tes auf die Schie­ne müsse endlich angepackt werden.