BERLIN (dpa) — Lange wurde über eine neue Formel gestrit­ten, wie die Pande­mie-Lage genau­er zu bewer­ten ist. Jetzt ist eine besie­gelt worden. Auch für Beschäf­tig­te in manchen sensi­blen Berei­chen sollen Änderun­gen kommen.

Für den Kampf gegen die Pande­mie im Herbst und Winter soll die Zahl der Corona-Patien­ten in den Klini­ken die wichtigs­te Messlat­te sein. Das sieht eine Änderung des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes vor, die der Bundes­tag am Diens­tag beschlos­sen hat.

Die Länder sollen damit — sowie anhand weite­rer Indika­to­ren — bewer­ten und festle­gen können, ab wann stren­ge­re Corona-Aufla­gen erfor­der­lich sind. Dies soll die bishe­ri­ge Orien­tie­rung an den Infek­ti­ons­zah­len ablösen, die wegen vieler Geimpf­ter als nicht mehr so aussa­ge­kräf­tig gilt. Zudem sollen Beschäf­tig­te in Kitas, Schulen und Pflege­hei­men für die Zeit der Krise vom Arbeit­ge­ber gefragt werden können, ob sie geimpft sind.

Redner der Opposi­ti­on kriti­sier­ten die Neure­ge­lun­gen noch in der wohl letzten Plenar­sit­zung vor der Bundes­tags­wahl. Die schwarz-rote Koali­ti­on hatte sie an das laufen­de Geset­zes­ver­fah­ren angehängt, mit dem ein milli­ar­den­schwe­rer Hilfs­fonds für den Wieder­auf­bau nach der Hochwas­ser­ka­ta­stro­phe im Westen Deutsch­lands einge­rich­tet wird. Der Bundes­rat soll den Änderun­gen in einer Sonder­sit­zung am Freitag noch zustim­men. Damit soll auch Klarheit für die nächs­te Zeit bestehen, in der über die Bildung der neuen Regie­rung verhan­delt werden dürfte.

SPD-Gesund­heits­exper­tin Sabine Dittmar vertei­dig­te die Regelun­gen. Auskünf­te über den Impfsta­tus, die für Beschäf­tig­te in Klini­ken seit langem selbst­ver­ständ­lich seien, würden aus gutem Grund auf weite­re Einrich­tun­gen ausge­wei­tet, in denen sich Schutz­be­dürf­ti­ge nahe kämen. Unions-Frakti­ons­vi­ze Stephan Stracke (CSU) sagte, die Neure­ge­lun­gen zur Corona-Lagebe­ur­tei­lung sorgten für passge­naue Lösun­gen vor Ort. Die Inzidenz werde als einer der Maßstä­be weiter­hin mitbetrachtet.

Kritik von Linke und FDP

Linke-Frakti­ons­vi­ze Gesine Lötzsch kriti­sier­te, mit Blick auf die Impfsta­tus-Auskünf­te, die Regie­rung wolle völlig überstürzt die Verhält­nis­se zwischen Arbeit­ge­bern und Arbeit­neh­mern über den Haufen werfen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki kriti­sier­te den generel­len Kurs mit weite­ren Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen. «Von Nicht-Geimpf­ten geht keine Gefahr aus, die Gefahr geht ausschließ­lich von Infizier­ten aus.»

DIE NEUEN CORONA-INDIKATOREN: Die Länder sollen künftig weitge­hend vor Ort festle­gen können, ab wann stren­ge­re Alltags­be­schrän­kun­gen nötig werden. «Wesent­li­cher Maßstab» für zu ergrei­fen­de Maßnah­men soll insbe­son­de­re die Zahl aufge­nom­me­ner Corona-Patien­ten in den Klini­ken je 100.000 Einwoh­ner in sieben Tagen sein. Berück­sich­tigt werden sollen aber auch «weite­re Indika­to­ren». Genannt werden die Zahl der Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner in sieben Tagen, verfüg­ba­re Inten­siv­ka­pa­zi­tä­ten und die Zahl der Geimpf­ten. Die Länder sollen dann festle­gen können, wo kriti­sche Schwel­len­wer­te liegen.

Hinter­grund ist, dass die bisher als zentra­ler Indika­tor genutz­te Zahl der Neuin­fek­tio­nen (Inzidenz) angesichts von Millio­nen Geimpf­ten nicht mehr so stark und direkt auf die Klinik­be­las­tung durch­schlägt. Bisher sind im Infek­ti­ons­schutz­ge­setz feste, einheit­li­che Werte genannt, ab welcher Sieben-Tage-Inzidenz die Länder oder Behör­den vor Ort einschrei­ten sollen: ab 50 Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner in sieben Tagen zum Beispiel mit «umfas­sen­den Schutzmaßnahmen».

DIE NEUE IMPFAUSKUNFT: Arbeit­ge­ber sollen von Beschäf­tig­ten in Kitas, Schulen und Pflege­hei­men künftig Auskunft über eine Corona-Impfung oder eine überstan­de­ne Covid-Erkran­kung verlan­gen können. Denn dort würden beson­ders verletz­li­che Perso­nen­grup­pen betreut, zudem wären wegen der räumli­chen Nähe zahlrei­che Menschen einem Infek­ti­ons­ri­si­ko ausge­setzt. Daher könne es aus Infek­ti­ons­schutz­grün­den nötig sein, Beschäf­tig­te je nach ihrem Impf- und Antikör­per­sta­tus «unter­schied­lich einzu­set­zen oder von einer Beschäf­ti­gung ungeimpf­ter Perso­nen (in bestimm­ten Berei­chen) abzusehen».

Die erwei­ter­te Impfsta­tus-Abfra­ge soll nur während der festge­stell­ten «epide­mi­schen Lage von natio­na­ler Tragwei­te» gelten, die der Bundes­tag vergan­ge­ne Woche vorerst für weite­re drei Monate verlän­gert hatte. Die Daten sollen direkt beim Beschäf­tig­ten zu erheben sein. «Die Freiwil­lig­keit der Entschei­dung über die Inanspruch­nah­me von Impfschutz bleibt unberührt», heißt es zur Erläu­te­rung im Entwurf.

ZUSÄTZLICHE BASIS FÜR 3G-REGEL: Die von Bund und Ländern schon beschlos­se­ne und vieler­orts umgesetz­te 3G-Regel wird nun ebenfalls ausdrück­lich im Infek­ti­ons­schutz­ge­setz veran­kert — also Zutritt zu bestimm­ten Innen­räu­men nur für Geimpf­te, Genese­ne und Getes­te­te. Zum präven­ti­ven Infek­ti­ons­schutz können demnach auch Verpflich­tun­gen zur Vorla­ge entspre­chen­der Nachwei­se vorge­se­hen werden — wie zum Beispiel auch schon Abstands­ge­bo­te oder Pflich­ten zum Maske-Tragen.