BERLIN (dpa) — Der Inlands­ge­heim­dienst hält Teile der Protest­be­we­gung gegen die Anti-Corona-Maßnah­men — vor allem «Querden­ker» — für proble­ma­tisch. Denn sie stell­ten die Legiti­mi­tät staat­li­cher Insti­tu­tio­nen infrage.

Das Bundes­amt für Verfas­sungs­schutz beobach­tet Perso­nen und Gruppen inner­halb der Querden­ker-Bewegung. Das teilte das Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­um am Mittwoch in Berlin mit.

Damit darf der Verfas­sungs­schutz nun beispiels­wei­se bundes­weit Daten zu bestimm­ten Perso­nen aus der Szene sammeln. Insge­samt befürch­tet die Behör­de, dass die im Zuge der Protes­te gegen die Corona-Maßnah­men verbrei­te­ten Verschwö­rungs­theo­rien auch nach dem Ende der Pande­mie nicht ganz verschwin­den werden.

Bundes­in­nen­mi­nis­ter Horst Seeho­fer (CSU) beton­te, es gehe nicht um die Unter­drü­ckung von Kritik. «Ich sag’ einmal vorweg, dass es völlig unbestrit­ten ist, dass Menschen für ihre Meinung auf die Straße gehen, sich artiku­lie­ren und auch, wenn es sein muss, energisch wider­spre­chen. Das soll in keiner Weise angetas­tet werden.» Bei den Demons­tra­tio­nen sei aller­dings teilwei­se eine wachsen­de Gewalt­be­reit­schaft zu beobach­ten. Zudem versuch­ten Rechts­extre­mis­ten, sich der Bewegung zu bemäch­ti­gen, was ihnen bisher aber «nicht in nennens­wer­tem Umfang» gelun­gen sei. Dann gelte der Grund­satz «Null Toleranz».

Der Verfas­sungs­schutz brüte­te mehre­re Monate über diese Entschei­dung, auch weil das Spektrum der Protes­tie­ren­den sehr hetero­gen ist. Dazu gehören etwa Esote­ri­ker, sogenann­te Reichs­bür­ger, Impfgeg­ner und Anhän­ger unter­schied­li­cher Weltanschauungen.

Da die Bewegung keinem der bisher bekann­ten Phäno­men­be­rei­che wie etwa Rechts­extre­mis­mus, Links­extre­mis­mus oder Islamis­mus zuzuord­nen sei, habe der Verfas­sungs­schutz eine neue Katego­rie geschaf­fen, teilte das Innen­mi­nis­te­ri­um mit. Sie nennt sich «Verfas­sungs­schutz­re­le­van­te Delegi­ti­mie­rung des Staates». Die neue Katego­ri­sie­rung ermög­li­che sowohl eine Bearbei­tung als Verdachts­fall als auch als erwie­sen extre­mis­ti­sche Bestre­bung. Wie viele Menschen in diese neue Katego­rie fallen, steht noch nicht fest. Seeho­fer sagte, er wolle sich nicht vorwer­fen lassen, das Problem nicht auf dem Schirm gehabt zu haben.

Bei einem Verdachts­fall sieht der Verfas­sungs­schutz gewich­ti­ge Anhalts­punk­te für verfas­sungs­feind­li­che Bestre­bun­gen. Damit kann das Bundes­amt Betrof­fe­ne unter stren­gen Voraus­set­zun­gen syste­ma­tisch beobach­ten und heimlich Infor­ma­tio­nen beschaf­fen, etwa durch Obser­va­ti­on oder die Anwer­bung von Infor­man­ten. Die Überwa­chung von Telefo­na­ten zum Beispiel muss aber geneh­migt werden. Wenn sich der Verdacht für den Verfas­sungs­schutz zur Gewiss­heit erhär­tet, folgt die Einstu­fung als erwie­sen extre­mis­ti­sche Bewegung.

Unter anderem Verglei­che der Bundes­re­pu­blik mit Dikta­tu­ren, etwa mit dem NS-Regime oder der Staats­füh­rung der DDR, haben die Verfas­sungs­schüt­zer zu dem Schritt bewogen. Zudem berufen sich einige Protago­nis­ten auf ein vermeint­li­ches Wider­stands­recht gegen den Staat. Die Anhän­ger der Bewegung eint aus Sicht der Behör­den ein ausge­präg­tes Freund-Feind-Denken, eine gemein­sa­me Ideolo­gie gebe es aber nicht, und auch eine Querfront, die bis in den Links­extre­mis­mus reicht, sehen die Sicher­heits­be­hör­den nicht.

Legiti­me Protes­te und Demons­tra­tio­nen gegen die Corona-Politik würden dabei immer wieder, in jünge­rer Zeit zuneh­mend, instru­men­ta­li­siert, und es würden Eskala­tio­nen provo­ziert, begrün­de­te das Minis­te­ri­um die Entschei­dung. Anmel­der und Organi­sa­to­ren von Demons­tra­tio­nen — vor allem Protago­nis­ten der Querden­ken-Bewegung — «zeigen zum Teil deutlich, dass ihre Agenda über die reine Mobili­sie­rung zu Protes­ten gegen die staat­li­chen Corona-Schutz­maß­nah­men hinausgeht».

Verbin­dun­gen zu «Reichs­bür­gern» und «Selbst­ver­wal­tern» sowie Rechts­extre­mis­ten seien «in Kauf genom­men oder gesucht, das Ignorie­ren behörd­li­cher Anord­nun­gen propa­giert und letzt­lich das staat­li­che Gewalt­mo­no­pol negiert» worden. Dies sei insge­samt geeig­net, das Vertrau­en in die staat­li­chen Insti­tu­tio­nen und seine Reprä­sen­tan­ten nachhal­tig zu erschüttern.

«Reichs­bür­ger und Selbst­ver­wal­ter» zweifeln die Legiti­mi­tät der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land an. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Die Sicher­heits­be­hör­den rechne­ten der Szene zuletzt rund
19.000 Menschen zu, darun­ter etwa 950 Rechtsextremisten.

Zuerst hatte das Landes­amt für Verfas­sungs­schutz in Baden-Württem­berg, wo die Querden­ker-Bewegung ihren Ursprung hat, das Bündnis im vergan­ge­nen Dezem­ber unter Beobach­tung gestellt.

Die Akteu­re der Bewegung fallen am meisten auf mit den von ihnen organi­sier­ten Demons­tra­tio­nen. Doch viel Austausch findet auch online statt, wo Verschwö­rungs­theo­rien und Fake News geteilt werden.

Teilneh­mer bei Querden­ker-Protes­ten gehen zum Teil mit Symbo­len populä­rer Verschwö­rungs­er­zäh­lun­gen auf die Straße. Eine davon ist der «QAnon»-Mythos. Dessen Anhän­ger wittern hinter allem, was auf der Welt passiert, eine Clique, die die Fäden in der Hand hält — der «Tiefe Staat» («Deep State»). Dieser wolle eine «Neue Weltord­nung» («New World Order») durch­set­zen, eine Art globa­le Regie­rung zur Unter­jo­chung der Menschheit.

Einzel­ne Teilneh­mer von Demons­tra­tio­nen gegen die Corona-Maßnah­men gingen auch mit «Juden­ster­nen» auf die Straße, etwa mit der Aufschrift «ungeimpft». Die Behör­den zwangen jüdische Bürger in der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus, sicht­bar ein solches Symbol zu tragen. Manche Anhän­ger der Querden­ker-Bewegung verbrei­ten auch die Behaup­tung, Kinder seien durch das Tragen von Masken gestor­ben oder dass Micro­soft-Gründer Bill Gates, der sich mit seiner Stiftung unter anderem für die Entwick­lung von Impfstof­fen einsetzt, die Entwick­lung des Corona­vi­rus betrie­ben habe.

Der Präsi­dent des Zentral­rats der Juden, Josef Schus­ter, nannte den Schritt des Verfas­sungs­schut­zes dringend notwen­dig. «Rechts­extre­mis­ten nutzen die Protes­te gegen die Corona-Aufla­gen strate­gisch, um Anhän­ger zu gewin­nen. Sie verbrei­ten darüber ihr Gedan­ken­gut bis tief in die Mitte der Gesell­schaft.» Diese Entwick­lung müsse gestoppt werden. «Und es muss verhin­dert werden, dass sich Netzwer­ke bilden, die langfris­tig das Funda­ment unserer Demokra­tie untergraben.»

Mit seiner Entschei­dung reagiert der Verfas­sungs­schutz auch auf Kriti­ker, die ihm etwa im Umgang mit Islamis­ten und Rechts­extre­mis­ten vorge­wor­fen hatten, gefähr­li­che Entwick­lun­gen jenseits der üblichen Organi­sa­ti­ons­for­men überse­hen zu haben — also etwa gewalt­be­rei­te Rechts­extre­mis­ten, die sich im Inter­net radika­li­sie­ren, aber keiner Neona­zi-Gruppe angehören.

Von Marti­na Herzog und Anne-Béatri­ce Clasmann, dpa