BERLIN (dpa) — Nach der Einigung von Ampel-Koali­ti­on und Union soll es schnell gehen: Die Bundes­wehr soll Ausrüs­tung für 100 Milli­ar­den Euro bekom­men. Einige müssen dafür schmerz­haf­te Kompro­mis­se machen.

Es geht um Flugzeu­ge, Panzer, Muniti­on: Die Bundes­wehr soll in den kommen­den Jahren mit 100 Milli­ar­den Euro massiv aufge­rüs­tet und neu ausge­rüs­tet werden.

Nachdem die Ampel-Koali­ti­on und die opposi­tio­nel­le Union den Weg dahin grund­sätz­lich frei gemacht haben, stehen Beschlüs­se in Bundes­tag und Bundes­rat noch aus. Schon in dieser Woche könnte aber festste­hen, wofür das Geld genau ausge­ge­ben wird.

Es ist die Antwort auf die erschüt­ter­te europäi­sche Friedens­ord­nung infol­ge des russi­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne: Die Bundes­re­gie­rung will eine vollstän­dig einsatz­fä­hi­ge Armee. «Die deutsche Bundes­wehr wird gestärkt werden. Sie wird in der Lage sein, ihren Vertei­di­gungs­auf­trag besser als jemals zu erfül­len, und sie wird ihren Beitrag in der Nato leisten können, damit wir uns gegen Angrif­fe von außen jeder­zeit zur Wehr setzen können», sagte Bundes­kanz­ler Olaf Scholz. «Es ist die richti­ge Antwort auf die Zeiten­wen­de, die mit dem Angriff Russlands auf die Ukrai­ne angefan­gen hat.»

Scholz hatte die Aufrüs­tung in einer Regie­rungs­er­klä­rung im Bundes­tag nur wenige Tage nach Russlands Einmarsch in die Ukrai­ne angekün­digt. Danach rangen SPD, Grüne, FDP und Union aber wochen­lang um die Details. Nun werde «eine lange Zeit der Vernach­läs­si­gung der Streit­kräf­te» beendet, sagte Finanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner.

Was gekauft werden soll

Zusam­men mit dem Gesetz, das die Finan­zie­rung der Aufrüs­tung regelt, soll rasch eine Beschaf­fungs­lis­te mit techni­schen Syste­men und Waffen beschlos­sen werden. Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Lambrecht sprach im ZDF von Nacht­sicht­ge­rä­ten, Funkge­rä­ten bis hin zu schwe­ren Trans­port­hub­schrau­bern. Unter anderem werde Muniti­on im Wert von 20 Milli­ar­den Euro gebraucht, wenn man Nato-Verpflich­tun­gen erfül­len wolle. Der Chef der CSU-Abgeord­ne­ten im Bundes­tag, Alexan­der Dobrindt, sagte bei n‑tv: «Es geht um Flugzeu­ge, es geht um Schif­fe, es geht auch um Panzer. Um Muniti­on geht es in beson­de­rem Maße sehr, sehr schnell.» Und es gehe um die atoma­re Teilha­be, also darum sicher­zu­stel­len, dass Deutsch­land mit moder­nen Flugzeu­gen Teil des atoma­ren Schutz­schirms sei.

Dafür steht etwa der Kauf von Nachfol­gern für die überal­ter­ten Torna­do-Kampf­flug­zeu­ge an. Mehre­re Milli­ar­den könnten Trans­port­hub­schrau­ber kosten, die für die schnel­le Verle­gung von Materi­al und Truppen wichtig sind. Angesichts russi­scher Drohun­gen wird zudem die Nachfol­ge für das Flugab­wehr­ra­ke­ten­sys­tem Patri­ot bedeut­sa­mer. Der Inspek­teur des Heeres nannte abhör­si­che­re Kommu­ni­ka­ti­on als dringen­de Aufga­be. Der Reser­vis­ten­ver­band forder­te in der «Rheini­schen Post» eine besse­re Ausstat­tung für die Solda­ten sowie Muniti­on, Kommu­ni­ka­ti­ons­mit­tel und Nachtsichtgeräte.

Wie das bezahlt werden soll

Für die Bundes­wehr-Milli­ar­den soll ein Sonder­topf geschaf­fen werden, der neben dem norma­len Bundes­haus­halt steht. So sind über mehre­re Jahre verteil­te Ausga­ben möglich. Der Bund soll 100 Milli­ar­den Euro Schul­den aufneh­men, für die dann einge­kauft wird, bis das Geld verbraucht ist. Es werde keine Steuer­erhö­hun­gen für das Programm geben, versprach Lindner. SPD-General­se­kre­tär Kevin Kühnert beton­te, es müssten auch keine Abstri­che bei sozia­len Projek­ten der Koali­ti­on gemacht werden.

Lindner bezeich­ne­te den Sonder­topf zudem als «einma­li­ge Ausnah­me» bezeich­net. Der FDP-Chef hob am Montag­abend im ZDF-«heute journal» hervor, dass mit der Einigung von Koali­ti­on und Union die Bundes­wehr gestärkt, die Schul­den­brem­se einge­hal­ten und Steuer­erhö­hun­gen vermie­den würden. Das schrei­be er sich auf die Fahne.

Was das mit dem Grund­ge­setz zu tun hat

Eigent­lich darf der Bund überhaupt keine Schul­den in diesem Umfang machen. Die Schul­den­brem­se im Grund­ge­setz schreibt eine stren­ge Kredit­ober­gren­ze vor, die nur in Notla­gen ausge­setzt werden darf. Deshalb soll im Grund­ge­setz veran­kert werden, dass die Schul­den­brem­se für das Bundes­wehr-Sonder­ver­mö­gen nicht gilt. Da die Ampel-Koali­ti­on allei­ne nicht die für eine Grund­ge­setz­än­de­rung nötige Zwei-Drittel-Mehrheit hat, musste sie die Union ins Boot holen.

Die Schmer­zen in Teilen der Koalition

CDU und CSU stell­ten für ihre Zustim­mung unter anderem die Bedin­gung, dass ganz klar werden müsse, wofür die 100 Milli­ar­den ausge­ge­ben werden — nämlich nur für die Bundes­wehr. Die Grünen und Teile der SPD dagegen wollten mit dem Geld auch Maßnah­men zur Cyber­si­cher­heit, für den Zivil­schutz sowie zur Stabi­li­sie­rung von Partner­län­dern finan­zie­ren. Hier setzte sich die Union durch. Ins Grund­ge­setz soll nun aufge­nom­men werden, dass es sich um «ein Sonder­ver­mö­gen für die Bundes­wehr» handelt. Die Anlie­gen der Grünen sollen aus dem regulä­ren Haushalt finan­ziert werden. Die Grünen sprechen von einem zweistel­li­gen Milli­ar­den­be­trag dafür. Lindner dagegen beton­te, der Bedarf sei nicht bezif­fert worden.

Frakti­ons­chefin Katha­ri­na Dröge vertei­dig­te die Einigung trotz­dem. «Angesichts der schwie­ri­gen sicher­heits­po­li­ti­schen Situa­ti­on, in der wir uns gerade in Europa befin­den, wäre ein Schei­tern keine Option gewesen», sagte sie. Die Union sei nicht bereit gewesen, das Sonder­ver­mö­gen für andere Ausga­ben zu öffnen. «Sie hätte hieran eine Einigung schei­tern lassen.» Das hätten die Grünen verhin­dern wollen.

Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato

Die Union hatte auch darauf gepocht, das sogenann­te Zwei-Prozent-Ziel der Nato deutli­cher festzu­schrei­ben. Dieses besagt, dass jedes Jahr zwei Prozent der Wirtschafts­leis­tung für die Vertei­di­gung ausge­ge­ben werden sollen. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat Deutsch­land das nicht mehr erreicht, lag zuletzt bei rund 1,5 Prozent.

Hier gab es einen Kompro­miss: Das Nato-Ziel soll mit dem Geld aus dem Sonder­ver­mö­gen «im mehrjäh­ri­gen Durch­schnitt» von fünf Jahren erreicht werden — es muss also nicht jedes Jahr exakt einge­hal­ten werden. Das sei sinnvoll, weil Anschaf­fun­gen aus einem Jahr teils erst in den Folge­jah­ren zu Buche schla­gen, hieß es. Auch für die Zukunft legten sich die Verhand­ler fest: Nach dem Sonder­ver­mö­gen sollten die dann gülti­gen Nato-Ziele erfüllt werden. Im Jahr 2024 will die Nato neu definie­ren, welche Fähig­kei­ten ein Mitglieds­land bei der Vertei­di­gung haben muss. In der Union rechnet man damit, dass dann auch mehr als zwei Prozent der Wirtschafts­leis­tung fällig sein könnten. Lindner dagegen beton­te, das sei offen.

Die Abstim­mung im Bundestag

Damit die Bundes­wehr bestel­len kann, müssen Bundes­tag und Bundes­rat der Grund­ge­setz­än­de­rung und dem Sonder­ver­mö­gen zustim­men. Unions­frak­ti­ons­chef Fried­rich Merz hatte in der Vergan­gen­heit gedroht, nur die nötigen Stimmen für eine Zwei-Drittel-Mehrheit beizu­steu­ern, aber ableh­nen­de Stimmen aus den Reihen der Koali­ti­on nicht auszu­glei­chen. Lindner mahnte am Montag, er erwar­te nun auch eine geschlos­se­ne Zustim­mung der Union. Dies ließ Merz jedoch betont offen: «Ich gehe davon aus, dass die Fraktio­nen SPD, Grüne und FDP geschlos­sen diesem Votum ihrer Partei­füh­run­gen und auch der Bundes­re­gie­rung folgen. Und dann werden sich alle weite­ren Fragen nicht stellen», sagte er lediglich.

SPD-Frakti­ons­chef Rolf Mützenich sagte, die Koali­ti­on werde bei der Abstim­mung gemein­sam auftre­ten. Er hoffe, die SPD werde weitge­hend zustim­men, er werde aber keinem Abgeord­ne­ten vorge­ben, wie er oder sie abzustim­men habe. Er rechnet noch in dieser Woche mit einem Beschluss im Bundestag.

Von There­sa Münch, dpa