TALLINN (dpa) — Bundes­wehr-Novum in Estland: Erstmals üben Einhei­ten von Marine und Luftwaf­fe zusam­men. Gemein­sam sind sie bei einem Manöver zum Schutz der Nato-Ostflan­ke im Einsatz. Im Fokus: kriti­sche Infrastruktur.

Angesichts des russi­schen Angriffs­kriegs in der Ukrai­ne üben spezia­li­sier­te Bundes­wehr­ein­hei­ten noch bis Ende Oktober in Estland den Schutz von kriti­scher Infra­struk­tur an der Nato-Ostflan­ke. Rund 170 Solda­ten von Luftwaf­fe und Marine trainie­ren in dem an Russland grenzen­den balti­schen Land dazu überhaupt erstmals zusam­men, wie Oberst­leut­nant André Knappe vom Objekt­schutz­re­gi­ment der Luftwaf­fe in Schor­tens der Deutschen Presse-Agentur bei einem Besuch der Übung in Tallinn sagte. Mit dabei sind bei der Übung auch rund 80 Solda­ten von estni­schen Verbänden.

Das knapp einmo­na­ti­ge Manöver «Baltic Tiger 2022», bei der unter anderem der Schutz für Häfen und Flughä­fen geübt wird, wurde vor dem Hinter­grund der verän­der­ten sicher­heits­po­li­ti­schen Lage in Europa angesetzt. Nach dem russi­schen Angriff auf die Ukrai­ne will die Nato einen verstärk­ten Schutz der Bündnis­part­ner an der Ostflan­ke sicher­stel­len. «Wir zeigen damit, dass wir gewillt und bereit sind zur Bündnis­ver­tei­di­gung, wenn es nötig ist», beton­te Knappe.

Zusam­men­wir­ken verschie­de­ner Militäreinheiten

«Sinn und Zweck dieser Übung ist es, unter Realbe­din­gun­gen gemein­sam Maßnah­men und Handlungs­ab­läu­fe zu üben, die zum Schutz und zur Siche­rung von Infra­struk­tur nötig sind», sagte Knappe. «Wir wollen dabei vonein­an­der, mitein­an­der und unter­ein­an­der lernen.» Trainiert werde auch das Zusam­men­wir­ken der verschie­de­nen Militär­ein­hei­ten. Geübt wird in Hafen­an­la­gen der estni­schen Marine in der Haupt­stadt Tallinn, am Militär­flug­ha­fen Ämari und Truppen­übungs­plät­zen des balti­schen EU- und Nato-Landes im Nordos­ten Europas.

Für die Übung wurden Aufklä­rungs­trupps, Scharf­schüt­zen und Solda­ten zur Feuer­un­ter­stüt­zung nach Estland verlegt. Das Seeba­tail­lon der Deutschen Marine schick­te Minen­tau­cher und Marine­infan­te­ris­ten. Dazu kommen noch Spezia­lis­ten für atoma­re, biolo­gi­sche und chemi­sche Kampf­stof­fe (ABC-Abwehr) sowie Sanitätskräfte.

Gemein­sam ist den Einhei­ten, dass es sich um sogenann­te «Kräfte der ersten Stunde» handelt, die auf Schutz und Siche­rung spezia­li­siert sind. Sie treffen zumeist noch vor den Haupt­kräf­ten ein, um mögli­che Gefähr­dun­gen festzu­stel­len und zu besei­ti­gen. Zu ihrem Übungs­pro­gramm in Estland, in das auch Kräfte des Nato-Partners einge­glie­dert werden, zählen Anlan­de­ope­ra­tio­nen, Tauch­ein­sät­ze, Aufklä­rungs­übun­gen oder auch die Absiche­rung von Verbin­dungs­we­gen und von Truppen­ver­le­gun­gen. Die ABC-Abwehr­kräf­te wieder­um richte­ten Dekon­ta­mi­na­ti­ons­plät­ze in Hafen­an­la­gen und auf Übungs­ge­län­den ein.

Aktuel­ler Anlass in Deutschland

Der verstärk­te Schutz kriti­scher Infra­struk­tur war zuletzt auch durch die folgen­schwe­re Bahn-Sabota­ge in Deutsch­land und den Vorfäl­len an den Nord-Stream-Gaslei­tun­gen ins öffent­li­che Inter­es­se gerückt. «Aus militä­ri­scher Sicht ist diese Bedro­hung nicht neu. Bei ziviler Infra­struk­tur hat sie aber eine andere Dimen­si­on und erfährt eine größe­re Wahrneh­mung», meinte Knappe. Aus seiner Sicht verdeut­lich­ten die Anschlä­ge, «wie wichtig es ist, das Luftwaf­fe und Marine auf Schutz spezia­li­sier­te Kräfte für den Ernst­fall vorhalten».

Die Luftwaf­fe betei­ligt sich bereits seit Jahren und auch aktuell an der Nato-Luftraum­si­che­rung über dem Balti­kum, die Deutsche Marine an der Räumung von verblie­be­nen Weltkriegs­see­mi­nen vor der balti­schen Ostsee­küs­te. «Wir erfah­ren in Estland eine tolle Gastfreund­schaft sowohl von militä­ri­scher Seite als auch außer­halb der Kaser­ne von der Bevöl­ke­rung», schil­der­te Knappe seine Erfah­run­gen in dem kleinen Land mit 1,2 Millio­nen Einwoh­nern im Nordos­ten Europas.