SAN FRANCISCO (dpa) — Nach fast 50 Jahren drohte einem deutschen Lebens­mit­tel­la­den in San Francis­co das Aus. Die alte Besit­ze­rin hörte auf. Dann sprang eine jünge­re Kundin ein und setzte ihre «Schnaps­idee» um.

Für Hannah Seyfert aus Hanno­ver war es «eine volle Schnaps­idee» und auch ein bisschen Eigen­nutz: Sie hat einen alt einge­ses­se­nen deutschen Lebens­mit­tel­la­den in San Francis­co, der vor der Schlie­ßung stand, übernom­men. «Wo würde ich denn sonst meine Butter­kek­se, Früch­te­tee und Tempo-Taschen­tü­cher herbe­kom­men», erzählt die 37 Jahre alte neue Besit­ze­rin von«Lehr’s German Special­ties» mit einem Augenzwinkern.

Vor kurzem arbei­te­te Seyfert noch im Business Develo­p­ment, 2016 war sie ihrem deutschen Mann nach San Francis­co gefolgt. Jetzt räumt sie Regale ein, stapelt Stollen, Wurst und Schoko­la­de, steht an der Kasse und erfüllt Kunden­wün­sche — auf Englisch und Deutsch. «Do you have dumpling mix?», fragt eine Anrufe­rin. Na klar gibt es bei «Lehr’s» Knödel­mischun­gen jegli­cher Art.

Eine urig-deutsche Institution

Der Laden in San Francis­cos Stadt­teil Noe Valley ist seit den 1970er Jahren eine urig-deutsche Insti­tu­ti­on. Fast 50 Jahre lang stand Brigit­te Lehr aus Bad Kreuz­nach hinter der Laden­the­ke. Die alten Holzre­ga­le waren gefüllt mit allen erdenk­li­chen Impor­ten «Made in Germa­ny»: von Marzi­pan über Sauer­kraut bis Vanil­le­zu­cker, Bierkrü­ge und Dirndl. «Ich bin stein­alt», scherz­te die immer noch rüsti­ge Geschäfts­frau kürzlich beim Weihnachts­ein­kauf in ihrem frühe­ren Laden.

Wegen eines Augen­lei­dens hatte die 87-Jähri­ge im August die Schlie­ßung von «Lehr’s» verkün­det. Für die in der Nachbar­schaft leben­de Kundin Seyfert war das Geschäft da schon «ein bisschen Heimat so viele Meilen von Zuhau­se weg». «Ich dachte, es wäre wirklich schade, wenn der letzte deutsche Laden in San Francis­co weggeht.» Nach einem sponta­nen Anruf bei Brigit­te Lehr ging es Schlag auf Schlag. Ihr sei das Herz in die Hose gerutscht, als sie im Septem­ber den Mietver­trag unter­schrieb, räumt Seyfert ein.

«Heimat Since 1974»

Mit Unter­stüt­zung ihres Mannes, der in der Tech-Indus­trie arbei­tet, packte sie das Abenteu­er an — zunächst als Selfma­de-Handwer­ke­rin. Mit blaugrau­er Farbe, neuen Holzbö­den und moder­nen Regalen verpass­te sie dem Laden einen gänzlich neuen Anstrich, doch Seyfert hielt auch an alter Tradi­ti­on fest. Der Name blieb, verse­hen mit dem neuen Logo «Heimat Since 1974». Zwei verwit­ter­te Holzfi­gu­ren mit grüner Dirndl-Bemalung zieren weiter­hin die Geschäfts­fas­sa­de, drinnen erinnern gerahm­te Fotos an den alten Look von «Lehr’s».

«Was für ein Segen, dass Hannah übernom­men hat», freut sich Brigit­te Lehr. Und die Kunden stimmen ihr zu. «Es ist einfach fantas­tisch, dass der Laden wieder auf hat», sagt William Hall, seit den 1990er Jahren ist der Ameri­ka­ner hier Kunde. In seinem Einkaufs­korb: deutscher Kaffee, Kekse, Spätz­le, Weingum­mis und Rübenkraut.

Seyfert mischt das Sorti­ment von Import­wa­re aus Deutsch­land mit Produk­ten aus der Region auf. Jeden Freitag liefert eine Kondi­to­rei in San Francis­co Schwarz­wäl­der Kirsch­tor­te, Bienen­stich, Berli­ner und Franz­bröt­chen. Samstags gibt es Brezeln von «Squabisch», einer kleinen Bäcke­rei in Berke­ley, die auf schwä­bisch-kalifor­ni­sche Kost setzt. «Die Brezeln werden uns wirklich aus den Händen geris­sen», meint Seyfert. Und der deutsche Metzger «Wurst­meis­ter Benz», ein Famili­en­be­trieb in der zwei Autostun­den entfern­ten Sierra Nevada, liefert Leber­kä­se, Landjä­ger, Brat- und Blutwurst.

«Die Nachricht, auf die viele Kunden gewar­tet haben: Jetzt verkau­fen wir Quark», gab Seyfert Mitte Dezem­ber stolz auf der Insta­gram-Seite des Ladens bekannt. Quark ist in den USA kaum zu finden, doch auf einem Bauern­markt spürte die Jungun­ter­neh­me­rin einen Käseher­stel­ler auf.

Bis zu 20 verschie­de­ne Sorten Stollen

Auch handge­mach­te Schoko­la­de von einer Manufak­tur in Erfurt will Seyfert in ihr Sorti­ment aufneh­men — und damit dem Herstel­ler Goldhelm den Markt­ein­tritt in den USA verschaf­fen. Waren müssen die Aufla­gen der US-Lebens­mit­tel­be­hör­de FDA erfül­len, was Impor­te mitun­ter erschwert.

In wenigen Wochen, mitten in dem turbu­len­ten Weihnachts­ge­schäft, hat die Newco­me­rin schnell dazuge­lernt. Sie habe schon viele Sachen nachbe­stel­len müssen, um die Regale zu füllen. «Wir haben bis zu 20 verschie­de­ne Sorten Stollen, die Kunden sind da sehr spezi­ell», erzählt Seyfert.

Nur montags ist Ruhetag, an allen anderen Tagen ist die 37-Jähri­ge von morgens bis abends im Einsatz. Vor allem der Ansturm am Wochen­en­de sei «der absolu­te Wahnsinn». «Das fühlt sich aber nicht wie Arbeit an, das ist mein Baby», strahlt Seyfert. Sie hat schon weite­re Pläne. «Wir wollen das größer aufzie­hen» — mit mehr Läden an anderen Stand­or­ten und Online-Verkauf.

Seyfert schwört auf Quali­täts­wa­re «Made in Germa­ny». Viele Lebens­mit­tel enthiel­ten beispiels­wei­se weniger Zucker als vergleich­ba­re US-Produk­te. Zudem würde sie gerne «ein bisschen deutsche Kultur vermit­teln» — derzeit mit vielen Sorten Butter­kek­sen, Marzi­pan und Weihnachtsstollen.

Von Barba­ra Munker, dpa