Die Lust auf Ausge­hen, Trinken und Feiern steigt beson­ders bei jungen Menschen — trotz Corona. In Parks läuft Techno, aus offenen Fenstern hört man nachts wieder Party­ge­räu­sche. Vor Kneipen herrscht Gedrän­ge. Regeln spielen keine Rolle. Ist vor allem der Alkohol schuld?

Corona-Abstän­de, Masken, Kontakt­lis­ten? Selten ist das die Priori­tät in den Party­kiezen im heißen August. Eher kommt dem Beobach­ter 2raumwohnung in den Sinn: «36 Grad, und es wird noch heißer — mach den Beat nie wieder leiser — (…) das Leben kommt mir gar nicht hart vor».

Nach der Debat­te um sorglo­se Partys in Parks brach­te die Berli­ner Gesund­heits­se­na­to­rin Dilek Kalay­ci (SPD) nun ein Alkohol­ver­bot für Kneipen und Bars ins Spiel — zumin­dest wenn die ständi­gen Verstö­ße gegen die Corona-Verord­nun­gen nicht enden. Unter­stüt­zung bekam sie vom Neuköll­ner Bezirks­bür­ger­meis­ter, der sich gut auskennt in seinem Kiez und über manche Entwick­lun­gen «entsetzt» ist. Aber eine selte­ne Koali­ti­on aus Linken, Grünen, FDP und Wirtschaft reagier­te empört.

Und am Diens­tag beton­te Kultur­se­na­tor Klaus Lederer (Linke) dann nach der Sitzung des Senats, über ein Alkohol­ver­bot denke der Senat «nicht wirklich» nach. Statt­des­sen müsse es Schwer­punkt­kon­trol­len und gegebe­nen­falls auch «drasti­sche Konse­quen­zen» geben. Zuvor hatte er seine Senats­kol­le­gin per Twitter angefah­ren: «Diese #Alkohol­ver­bot-Nummer ist eine Räuberpistole.»

Nun sprach Lederer von Bußgel­dern oder der Schlie­ßung von Einrich­tun­gen. Für die Ordnungs­äm­ter der 12 Berli­ner Bezir­ke sollen 240 Mitar­bei­ter zusätz­lich bereit­ge­stellt werden. Ob aus dem vorhan­de­nen Perso­nal oder durch neue Stellen, soll erst am Freitag erläu­tert werden.

Kalay­ci hatte am Montag gesagt, die nachläs­si­gen Kneipen würden ihr große Sorgen machen. Bußgel­der müssten «konse­quent» verhängt werden. Konkre­ter wurde sie dann am Diens­tag im RBB-Infora­dio. Beson­ders proble­ma­tisch seien bestimm­te Straßen, wo sich «enge Menschen­mas­sen» aufhiel­ten und beim Trinken «ein sehr naher Kontakt» und «Party­at­mo­sphä­re» entstün­de. «Das ist auf jeden Fall ein Infektionsrisiko.»

Andere Bundes­län­der setzten ähnli­che Strate­gien bereits um. So ist in Hamburg der Verkauf von Alkohol zum Mitneh­men in Szene­vier­teln am Wochen­en­de seit Juli verbo­ten, um die üblichen Massen-Partys auf der Straße zu verhin­dern. Im party­ver­wöhn­ten Berlin halten viele Einschrän­kun­gen beim Alkohol hinge­gen für undenkbar.

Der Hotel- und Gaststät­ten­ver­band Dehoga sprach am Montag von mündi­gen Bürgern, die selbst entschei­den könnten. Der Berli­ner FDP-Frakti­ons­vor­sit­zen­de Sebas­ti­an Czaja forder­te, Alkohol lieber öffent­lich zu trinken. Dort hätten Ordnungs­amt und Polizei wenigs­tens etwas Kontrol­le über das Gesche­hen. Und Wirtschafts­se­na­to­rin Ramona Pop (Grüne) monier­te, «Prohi­bi­ti­ons­dis­kus­sio­nen» würden nicht weiter­hel­fen. Zwar müsste sich auch die Gastro­no­mie an die Regeln halten. Durch­setz­ten müssten das aber Polizei und Ordnungsämter.

Am Durch­set­zen hapert es aber oft in Berlin. Kontrol­len fallen in der Metro­po­le ohne Sperr­stun­de, mit hunder­ten Spätis und Bars sowie jungen Touris­ten, die wegen billi­ger Kneipen, Clubs und Drogen anrei­sen, grund­sätz­lich schwer. Harte Sanktio­nen werden kaum verhängt.

Neuköllns Bezirks­bür­ger­meis­ter Martin Hikel (SPD) hatte am Wochen­en­de sein Ordnungs­amt zusam­men mit der Polizei losge­schickt. Samstag­nacht konnte man in der für ihre Kneipen­dich­te bekann­ten Weser­stra­ße beobach­ten, wie die Unifor­mier­ten von Bar zu Bar und Späti zu Späti zogen. Gäste mussten aufste­hen, Kellner die eng auf dem Bürger­steig stehen­den Tische wegräu­men. Geschlos­sen wurde keine Bar.

Letzt­lich wurden laut Hikel aber nur 13 Bars kontrol­liert. Sein Fazit am Diens­tag bei Facebook: Er sei «entsetzt», «genau in einer Bar gab es keiner­lei Beanstan­dung — in allen anderen hatten Ordnungs­amt und Polizei alle Hände voll zu tun». Es gab demnach 15 Verstö­ße, weil keine Kontakt­lis­ten geführt oder kein Mundschutz getra­gen wurde. Die meisten Kneipen hatten viel zu viele Tische oder Stühle auf dem Gehweg stehen. Statt auf Einsicht bei den trinken­den Menschen zu stoßen, hätten sich seine Leute «von vielen Gästen Vorträ­ge über Corona-Verschwö­rungs­theo­rien anhören» müssen.

Allein in Neukölln entstan­den in den vergan­ge­nen Monaten in drei Kneipen neue Infek­ti­ons­her­de. In einem Fall suchte das Gesund­heits­amt wegen unvoll­stän­di­ger Kontakt­lis­ten mit einem Aufruf nach den Gästen. Mindes­tens 22 Infek­tio­nen wurden so bekannt.

Auch in Berlin-Mitte kontrol­lier­te der Bezirk Ende Juli auf der Trink­mei­le rund um Rosen­tha­ler Platz und Torstra­ße. Das Ergeb­nis: 50 Anzei­gen wegen Verstö­ßen gegen die Hygie­ne­vor­schrif­ten. Zuvor waren mindes­tens zehn Gäste einer Bar unter dem Berli­ner Fernseh­turm positiv auf das Corona­vi­rus getes­tet worden.

Nun forder­te der Mitte-Bezirks­bür­ger­meis­ter Stephan von Dassel (Grüne) von anderen Städten zu lernen: «Ich finde nach den positi­ven Erfah­run­gen aus Hamburg könnte über eine Einschrän­kung des Außer­haus-Verkaufs von Alkohol nachge­dacht werden.» Kneipen seien leich­ter zu kontrol­lie­ren. «Auf der Straße ist das aber kaum möglich.» Bisher haben in der Haupt­stadt weder Kneipen noch feiern­de Menschen­grup­pen auf der Straße allzu viel zu befürchten.