BERLIN (dpa) — Das Lieblings­ca­fé dicht wegen fehlen­dem Perso­nal, keine Aushilfs-Bademeis­ter fürs Freibad — zwei von vielen Corona-Effek­ten im deutschen Alltag 2022. Und das Freizeit­ver­hal­ten wandelt sich. Vielleicht ändert die Pande­mie aber nicht so viel wie oft gedacht?

Was hat die Pande­mie mit unserem Leben in Deutsch­land gemacht? Oft wurde die Zeit nach den großen Lockdowns als Epoche ohne Hände­schüt­teln und Umarmun­gen beschrieben.

Als Ära von Stadt­flucht und Online-Shopping, Restau­rant- und Kino-Sterben. Andere Exper­ten sagten dagegen enorme Nachhol­ef­fek­te und neue Golde­ne Zwanzi­ger voraus, mit Sozial­le­ben aus dem Vollen und exzes­si­vem Ausge­hen. Was lässt sich jetzt schon — im Sommer 2022 — zu den Umbrü­chen im Land sagen? Wie wird unsere Zeit nach der Pande­mie ausse­hen, unsere Post-Corona-Ära?

Viele Restau­rants reduzie­ren ihre Öffnungszeiten

Beispiel Essen­ge­hen: «Perso­nal­man­gel führt dazu, dass es zum Beispiel in Berlin schwie­ri­ger gewor­den ist, mittags auf sehr hohem Niveau zu speisen», berich­te­te schon im vergan­ge­nen Herbst ein Vertre­ter vom Hotel- und Gaststät­ten­ver­band (Dehoga). Manche Lokale haben den Mittags­tisch gestri­chen, auch weil Perso­nal fehle. Reduzier­te Öffnungs­zei­ten erlebt man auch woanders. Viele Gaststät­ten — von der Apfel­wein­wirt­schaft in Frank­furt am Main über die Strand­bar an der See bis zum zünfti­gen Wirts­haus in Oberbay­ern — machen nur noch abends auf oder an weniger Tagen, bleiben etwa montags bis mittwochs zu.

Gastro­no­men erleben ihre Gäste als weniger berechenbar

«Man weiß in unserer Branche auch nicht mehr, wann es voll wird. Früher war klar, wann mit einem Ansturm zu rechnen ist, diese Zeiten sind irgend­wie vorbei», sagt ein Kellner in Orani­en­burg bei Berlin.

Von einem «Stotter­start» der Branche nach mehr als zwei Jahren Pande­mie sprach die Gewerk­schaft Nahrung-Genuss-Gaststät­ten (NGG) kürzlich. «Etliche Betrie­be haben schon Zwangs­ru­he­ta­ge einge­legt, weil ihnen Perso­nal fehlt», berich­te­te der NGG-Vorsit­zen­de Guido Zeitler.

Dass der Perso­nal­man­gel kein Dauer­zu­stand wird, erwar­tet Enzo Weber, Profes­sor am Nürnber­ger Insti­tut für Arbeits­markt- und Berufs­for­schung (IAB) der Bundes­agen­tur für Arbeit. Arbeits­kräf­te der Gastro­no­mie stünden nur nicht bei der Öffnung direkt vor der Tür, weil sie in der Zwischen­zeit andere Jobs gesucht hätten — in Testzen­tren, in der Logis­tik oder bei Liefer­diens­ten zum Beispiel.

Bleibt der große Stadt­flucht-Trend Theorie?

Beim Wandel der Gastro-Szene, dem angeb­li­chen Landle­ben-Trend, dem Kinoster­ben und dem Online-Handel ist für Sebas­ti­an Henn von der Schil­ler-Univer­si­tät Jena noch nicht das letzte Wort gespro­chen. An einen allge­mei­nen Trend zur Verspeck­gür­telung der Städte glaubt der Profes­sor für Wirtschafts­geo­gra­phie nämlich nicht. «Ich bin skeptisch, ob die Pande­mie tatsäch­lich zu einem Bedeu­tungs­ge­winn des Umlan­des führt — übrigens auch, weil wir größe­re Ausbrü­che von Covid-19 gerade nicht in den verdich­te­ten urbanen Vierteln, sondern vielfach in ländli­chen Gegen­den oder Klein­städ­ten zu verzeich­nen hatten und Metro­po­len nicht wirklich als Treiber der Pande­mie anzuse­hen gewesen sind.»

Shopping und Essens­be­stel­lung im Inter­net boomen

In der Freizeit verhal­ten sich dennoch Millio­nen anders als noch vor drei Jahren. So genie­ßen es manche Leute häufi­ger als früher, sich nach dem Arbeits­tag vom Online-Shop oder Restau­rant belie­fern zu lassen. Im Corona-Herbst 2021 bestell­ten laut einer Umfra­ge im Auftrag des Digital­ver­ban­des Bitkom 26 Prozent der Menschen in Deutsch­land zumin­dest hin und wieder Lebens­mit­tel im Inter­net — vor Beginn der Pande­mie waren es erst 16 Prozent. Wer weniger einkau­fen geht, hat vermut­lich mehr Zeit daheim — zum Beispiel für Serien auf Streamingdiensten.

Neue Lust auf Ausge­hen als Abwechslung

Und die Citys? Nach den Corona-Jahren schmä­lern Leerstän­de die Attrak­ti­vi­tät vieler Einkaufs­stra­ßen, vor allem Modehänd­ler mussten schlie­ßen. Und dennoch: Was Innen­städ­te angeht, so werde der City-Ausflug heute zu einem bewuss­te­ren Erleb­nis stili­siert, erklärt Henn. «Das Bedürf­nis nach Abwechs­lung von einem zuneh­mend digita­li­sier­ten Alltag wächst.» Es gehe dann zum Beispiel darum, beim Bummeln ein Eis zu essen — statt alles über Online-Platt­for­men abzuwickeln.

Ebenso werde der Kinobe­such nicht an Reiz verlie­ren. «Ein Kinobe­such besteht in der Regel ja nicht im reinen Konsum des Films — dies ließe sich in der Tat oft besser vom heimi­schen Sofa aus tun. Hier aber geht es doch darum, dies gerade nicht zu Hause zu tun.» Im besten Fall lasse man als Paar oder mit Freun­den den Abend im Lokal oder Club ausklin­gen. «Mit anderen Worten: Es geht um das «Drumher­um».»

Fazit: Weniger zufäl­li­ge Begegnungen

Alles in allem aber, warnt Wirtschafts­geo­graph Henn, berge die Post-Corona-Ära das Risiko, dass zwischen­mensch­li­che Inter­ak­tio­nen abnäh­men. Dass viele Leute im eigenen Milieu verharr­ten: «Der Austausch zwischen unter­schied­li­chen sozia­len Gruppen verliert an Bedeutung.»

Von Gregor Tholl, dpa