STUTTGART (dpa) — Erstmals seit vier Jahren findet wieder ein Katho­li­ken­tag in Präsenz statt — aller­dings deutlich kleiner als gewohnt. Das hat nach Exper­ten­mei­nung nicht nur mit Corona zu tun.

Der 102. Katho­li­ken­tag von Mittwoch bis Sonntag in Stutt­gart soll beson­ders politisch werden.

«Wir werden ein Zeichen setzen, dass die vermeint­li­che Macht des Stärke­ren nicht das letzte Wort hat», sagt Irme Stetter-Karp, die Präsi­den­tin des Zentral­ko­mi­tees der deutschen Katho­li­ken (ZdK), der Deutschen Presse-Agentur. «Dieses Zeichen gilt Wladi­mir Putin, es gilt den demokra­tie­feind­li­chen, rechts­na­tio­na­len Kräften in unserem eigenen Land, es gilt aber auch denen, die mit Drohun­gen und Spaltungs­vor­wür­fen in unserer Kirche Wege in die Zukunft verbar­ri­ka­die­ren wollen.»

Auch Aktivis­tin unter den Gästen

Das ZdK — das sich selbst als Vertre­tung der «katho­li­schen Zivil­ge­sell­schaft» versteht — ist Veran­stal­ter des Kirchen­fes­tes mit fast 1500 Veran­stal­tun­gen, darun­ter Gottes­diens­ten, Podien und Workshops. Gäste sind unter anderem Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er und Bundes­kanz­ler Olaf Scholz, aber auch Klima­ak­ti­vis­tin Luisa Neubau­er und Modera­tor Eckart von Hirschhausen.

Zwar findet der Katho­li­ken­tag komplett in Präsenz statt, doch werden viel weniger Teilneh­men­de erwar­tet als vor der Corona-Pande­mie. Während zur letzten Ausga­be in Münster vor vier Jahren fast 90.000 Gläubi­ge kamen, rechnen die Veran­stal­ter diesmal nur mit 20.000 bis 30.000. «Im Angesicht der sehr hohen Inzidenz-Werte der Corona-Pande­mie hatten wir lange die bange Frage, ob wir den Katho­li­ken­tag überhaupt in Präsenz würden durch­füh­ren können», so Stetter-Karp. «Am 24. Febru­ar kam dann der nächs­te Einschlag: Was ist die Folge des Krieges in der Ukrai­ne? Insofern: Wir haben mehre­re Ausnah­me­zu­stän­de. Und zu diesen gehört unzwei­fel­haft auch die Krise in unserer Kirche.»

Da seien 20.000 bis 30.000 Teilneh­men­de immer noch «ein Segen» und keines­wegs eine Enttäu­schung. «Wo sonst treffen sich jetzt so viele Menschen aus Politik, Wissen­schaft, Kirche und Welt, Menschen aus den Gemein­den, Gäste aus dem Ausland, Engagier­te aus allen Teilen Deutsch­lands, Angehö­ri­ge verschie­de­ner Religio­nen und disku­tie­ren über Gott und die Welt?»

«Öffent­lich­keit erzeu­gen und Begeg­nun­gen ermöglichen»

Die Kosten des Katho­li­ken­tags bleiben mit zehn Millio­nen Euro gleich hoch, die Stadt Stutt­gart, das Land Baden-Württem­berg und der Bund zahlen kräftig mit. «Wir haben es mit einer starken Kosten­stei­ge­rung zu tun, weil sich die Veran­stal­tungs­bran­che in Folge der Pande­mie sehr gewan­delt hat», sagt Stetter-Karp. «Gleich­zei­tig ist es uns wichtig, dass wir wieder Öffent­lich­keit erzeu­gen und Begeg­nun­gen ermög­li­chen. Das hat seinen Preis.»

Der Kirchen­ex­per­te und Buchau­tor Andre­as Püttmann («Wie katho­lisch ist Deutsch­land… und was hat es davon?») führt die niedri­gen Anmel­de­zah­len nicht nur auf die noch immer andau­ern­de Corona-Pande­mie zurück, sondern auch auf eine immer schwä­cher werden­de Kirchen­bin­dung. Nach einer Forsa-Umfra­ge hätten im Januar 2022 nur noch zwölf Prozent der Deutschen großes Vertrau­en zur katho­li­schen Kirche gehabt, zur evange­li­schen Kirche 33 Prozent, sagt Püttmann. Das seien je drei Prozent­punk­te weniger als 2021.

«Menschen­feind­lich wahrge­nom­me­ne Sexualmoral»

Die katho­li­sche Kirche sei nur noch wenig von den acht Prozent Vertrau­en in den Zentral­rat der Musli­me entfernt. Vor fünf Jahren habe ihr Wert noch mehr als doppelt so hoch gelegen, bei 28 Prozent. «Auch das Vertrau­en zum Papst ist regel­recht einge­bro­chen», so Püttmann.

Als Ursachen dafür sieht der Exper­te eine «jahre­lan­ge Skandal­be­richt­erstat­tung und eine als menschen­feind­lich wahrge­nom­me­ne Sexual­mo­ral». «Religiö­se Gleich­gül­tig­keit dominiert», folgert Püttmann.

Stetter-Karp räumt ein, die deutschen Katho­li­ken beweg­ten sich derzeit auf einem «schma­len Grat zwischen Abgrund und Aufbruch». Sie ist jedoch überzeugt: «Ohne den Mut, sich im öffent­li­chen Raum als Gemein­schaft von Glauben­den zu zeigen, werden wir bestimmt keine anste­cken­de Kraft entfalten.»