«Rückfall in Klein­staa­te­rei», «praktisch nicht umsetz­bar»: Bei der Auswei­sung von Corona-Risiko­ge­bie­ten gehen die Bundes­län­der ganz unter­schied­li­che Wege — und stoßen damit so manchen vor den Kopf.

«Reise­be­schrän­kun­gen im Inland sind das falsche Signal und nicht hilfreich», sagte Thürin­gens Minis­ter­prä­si­dent Bodo Ramelow (Linke) dem «Spiegel». Politi­ker von CDU und SPD monier­ten, das Neben­ein­an­der verschie­de­ner Vorschrif­ten schaf­fe einen verwir­ren­den Flickenteppich.

Die steigen­den Infek­ti­ons­zah­len in Deutsch­land berei­ten zum Start der Ferien­sai­son zuneh­mend Sorgen — vor allem die Situa­ti­on in Berlin wird von den Ländern unter­schied­lich bewer­tet. Aufgrund steigen­der Zahlen in mehre­ren Bezir­ken der Haupt­stadt werden diese zum Teil als Risiko­ge­biet einge­stuft. Schles­wig-Holstein und Rhein­land-Pfalz haben Einrei­se­be­schrän­kun­gen mit Quaran­tä­ne­re­geln und Pflicht­tests festge­legt. Andere Bundes­län­der folgen einer davon abwei­chen­den Syste­ma­tik. Berlin, Nieder­sach­sen und Bremen weisen aktuell gar keine inlän­di­schen Risiko­ge­bie­te aus.

Bundes­tags­vi­ze­prä­si­dent Thomas Opper­mann (SPD) forder­te mehr Klarheit und Trans­pa­renz. «Für Reisen inner­halb Deutsch­lands brauchen wir eine bundes­weit einheit­li­che Regelung, auf die sich alle Bundes­län­der einigen», sagte er dem «Spiegel». «Ein Rückfall in Klein­staa­te­rei sorgt nur für Verun­si­che­rung und gefähr­det die Akzep­tanz der Corona-Regeln.»

Thürin­gens Innen­mi­nis­ter Georg Maier sagte dem Nachrich­ten­ma­ga­zin: «Es ist mir schlei­er­haft, wie diese Regelung umgesetzt werden soll. Sollen wir jetzt stich­pro­ben­ar­tig zwischen den Bundes­län­dern kontrol­lie­ren?» Mit Blick auf das Vorpre­schen der Landes­re­gie­run­gen in Kiel und Mainz ergänz­te er. «Da ist man über das Ziel hinaus­ge­schos­sen, das wird nicht funktionieren.»

Das Robert Koch-Insti­tut (RKI) weist aktuell die Städte Hamm und Remscheid in Nordrhein-Westfa­len sowie den Landkreis Vechta in Nieder­sach­sen als deutsche Risiko­ge­bie­te aus. Zudem gelten auch die Berli­ner Bezir­ke Fried­richs­hain-Kreuz­berg, Mitte, Neukölln und Tempel­hof-Schöne­berg auf der Liste des RKI als Risikogebiete.

In Schles­wig-Holstein gelten derzeit die Städte Hamm und Remscheid sowie die vier Berli­ner Bezir­ke als Risiko­ge­biet, nicht aber der Landkreis Vechta. Für Urlau­ber aus diesen Gebie­ten hat das zur Folge, dass sie sich in Schles­wig-Holstein sofort 14 Tage in Quaran­tä­ne begeben oder zwei negati­ve Corona-Tests vorwei­sen müssen. Einer der beiden Tests darf frühes­tens fünf Tage nach der Einrei­se gemacht werden. Rhein­land-Pfalz hat eine ähnli­che Regelung am Montag verab­schie­det und folgt bei der Einstu­fung der Risiko­ge­bie­te vollstän­dig der RKI-Bewertung.

Mecklen­burg-Vorpom­mern hinge­gen weist zwar Hamm, Remscheid und Vechta, nicht aber die vier Haupt­stadt­be­zir­ke als Risiko­ge­biet aus, weil Berlin — wie auch von Branden­burg — bei der Risiko­be­wer­tung als Ganzes betrach­tet wird. Hessen, Hamburg, Baden-Württem­berg, Bayern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und das Saarland richten sich bei der Auswei­sung von inlän­di­schen Risiko­ge­bie­ten nach dem RKI. In diesen Bundes­län­dern wird jedoch derzeit keine Quaran­tä­ne für Reisen­de aus inlän­di­schen Risiko­ge­bie­ten angeord­net. Es gelten aber Übernach­tungs­ver­bo­te für Hotel- und Pensionsgäste.

«Ein Flicken­tep­pich in Deutsch­land trägt nur zur Verwir­rung bei und wird auch das Infek­ti­ons­ge­sche­hen kaum eindäm­men», sagte der Hambur­ger CDU-Landes­vor­sit­zen­de Chris­toph Ploß dem «Spiegel». «Wer soll das Ganze denn wirksam kontrol­lie­ren, wenn beispiels­wei­se ein Stadt­teil in einer deutschen Großstadt Risiko­ge­biet ist, der Nachbar­stadt­teil aber nicht? Ich halte daher von dieser Regelung nichts.» Auch der Chef der opposi­tio­nel­len SPD-Frakti­on im Kieler Landtag, Ralf Stegner, wandte sich gegen «Allein­gän­gen einzel­ner Länder».

Nieder­sach­sens Gesund­heits­mi­nis­te­rin Carola Reimann versi­cher­te, dass in ihrem Land derzeit nicht an ein Übernach­tungs­ver­bot für Menschen aus inner­deut­schen Risiko­ge­bie­ten gedacht werde. Solche Regelun­gen seien auch «praktisch nicht umsetz- oder gar kontrol­lier­bar», sagte die SPD-Politi­ke­rin der «Neuen Osnabrü­cker Zeitung». Reimann riet dazu, in den Herbst­fe­ri­en lieber nicht zu verrei­sen und die freie Zeit möglichst zu Hause zu verbringen.

In Berlin begin­nen am kommen­den Wochen­en­de die zweiwö­chi­gen Herbst­fe­ri­en. In Bundes­län­dern wie Bremen und Hessen sind bereits seit Montag Ferien. Neben Berlin steuert vor allem Frank­furt bei der Zahl der Corona-Infek­tio­nen auf die nächs­te Warnstu­fe zu.

Als Grund­la­ge für die Einstu­fung als Risiko­ge­biet dient die Inzidenz, also die Zahl der Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner in den vergan­ge­nen sieben Tagen. Dieser Wert darf nicht höher als 50 sein.

Seit Beginn der Corona-Krise haben sich nach RKI-Angaben mehr als 303.000 Menschen in Deutsch­land nachweis­lich mit dem Virus Sars-CoV‑2 infiziert (Daten­stand 6.10., 0.00 Uhr). Die Zahl der Todes­fäl­le im Zusam­men­hang mit einer Corona-Infek­ti­on liegt demnach bei 9546.