NEU-DELHI (dpa) — Seit knapp einer Woche verzeich­net Indien täglich mehr als 300.000 neue Corona-Fälle — so viel wie kein anderes Land. Der drama­ti­sche Anstieg an Covid-Patien­ten hat fatale Folgen.

In Indien bleibt die Corona-Lage nach erneut mehr als 300.000 Neuin­fek­tio­nen binnen 24 Stunden angespannt. Nach Angaben des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums wurden 323.144 neue Fälle und 2771 Tote mit einer bestä­tig­ten Infek­ti­on gemeldet.

Der rapide Anstieg an Patien­ten sorgte für Überlas­tun­gen im Gesund­heits­sys­tem des Schwel­len­lands. Berich­ten zufol­ge führte der Mangel an medizi­ni­schem Sauer­stoff und Kranken­haus­bet­ten zu Todes­fäl­len. Mehre­re EU-Länder schick­ten gemein­sam eine Schiffs­la­dung mit Hilfs­gü­tern an das stark von der Corona-Pande­mie getrof­fe­ne Land.

Bei der bislang schlimms­ten Corona-Welle in dem südasia­ti­schen Land wurden seit Donners­tag täglich mehr als 300.000 neue Fälle regis­triert. Damit wurde der bishe­ri­ge, Anfang Januar verzeich­ne­te Tages­re­kord von 300.310 Fällen in den USA übertrof­fen. Indien melde­te in der vergan­ge­nen Woche auch die höchs­te tägli­che Zahl an Todes­fäl­len. In dem zweit­be­völ­ke­rungs­reichs­ten Land der Welt mit rund 1,3 Milli­ar­den Einwoh­nern stieg die Gesamt­zahl der Infek­tio­nen auf rund 17,6 Millio­nen, knapp 198.000 Menschen starben bislang. Die Dunkel­zif­fern dürften deutlich höher liegen.

Ärzte in der am schlimms­ten betrof­fe­nen Stadt Neu-Delhi beschrie­ben, wie Patien­ten in kriti­schem Zustand auf der Straße starben, weil es an Kranken­haus­bet­ten oder medizi­ni­schem Sauer­stoff fehlte. Der Mangel an Sauer­stoff wurde Medien­be­rich­ten zufol­ge für 14 weite­re Todes­fäl­le in vier Bundes­staa­ten verant­wort­lich gemacht. Der drama­ti­sche Anstieg bei den Todes­fäl­len führte in Neu-Delhi bereits zu einer Überlas­tung der Krema­to­ri­en. Etliche Bestat­tungs­häu­ser berich­te­ten, dass sie mehr Platt­for­men errich­ten mussten, um darauf Schei­ter­hau­fen zu platzieren.

Als Grund für den drama­ti­schen Anstieg bei den Neuin­fek­tio­nen sehen Exper­ten unter anderem die Verbrei­tung anste­cken­de­rer Virus­va­ri­an­ten. Zudem hielten sich viele Menschen nicht an die Corona-Maßnah­men — etwa bei Massen­ver­an­stal­tun­gen zu Regio­nal­wah­len und religiö­sen Festen.

Mehre­re Länder, darun­ter die USA und Deutsch­land, haben Indien ihre Unter­stüt­zung zugesi­chert. Am Morgen traf eine Liefe­rung medizi­ni­scher Hilfs­gü­ter aus Großbri­tan­ni­en ein, wie das indische Außen­mi­nis­te­ri­um mitteil­te. Darun­ter befan­den sich demnach 100 Beatmungs­ge­rä­te und 95 Sauer­stoff­kon­zen­tra­to­ren. Diese sind weit verbrei­tet einge­setz­te Geräte, in denen der Sauer­stoff aus der Umgebungs­luft angerei­chert wird.

Ein Sprecher des Auswär­ti­gen Amtes in Berlin teilte mit, dass seit Ende vergan­ge­ner Woche «mit Hochdruck» an einer Unter­stüt­zungs­mis­si­on gearbei­tet werde. «Es geht insbe­son­de­re um Beatmungs­ge­rä­te, eine mobile Sauer­stoff­er­zeu­gungs­an­la­ge und Medika­men­te», sagte er. Den Trans­port überneh­me die Bundes­wehr. Eine Liefe­rung von Impfstoff sei nicht geplant.

Die EU-Kommis­si­on kündig­te weite­re Hilfen an. Konkret gehe es unter anderem um 700 Sauer­stoff­kon­zen­tra­to­ren aus Irland, 9000 Dosen des Viren-Hemmers Remde­si­vir aus Belgi­en sowie Sauer­stoff und Beatmungs­ge­rä­te aus Rumäni­en, Portu­gal, Luxem­burg und Schweden.

Austra­li­en und Belgi­en unter­sag­ten Einrei­sen aus Indien wegen der dorti­gen Corona-Rekord­zah­len und folgte damit dem Beispiel anderer Länder wie den Nieder­lan­den. Die Flugver­bin­dun­gen würden ab sofort und bis mindes­tens 15. Mai ausge­setzt, sagte Austra­li­ens Premier­mi­nis­ter Scott Morri­son. Danach werde die Lage neu bewer­tet. Gleich­zei­tig kündig­te Morri­son an, Austra­li­en werde Indien Hilfen schicken, darun­ter 500 Beatmungs­ge­rä­te und eine Milli­on OP-Masken.

Deutsch­land und weite­re Länder hatten zuvor bereits die Einrei­se aus Indien wegen der zunächst dort entdeck­ten Virus­va­ri­an­te B.1.617 stark einge­schränkt. Die Lufthan­sa will ihre Flugver­bin­dun­gen nach Indien jedoch vorerst weiter aufrecht­hal­ten. Die Airline fliegt nach eigenen Angaben derzeit zehn Verbin­dun­gen pro Woche zwischen Frank­furt und Indien. Zudem würden die Fracht­ka­pa­zi­tä­ten für notwen­di­ge Trans­por­te genutzt. In der Bundes­re­gie­rung gibt es nach dpa-Infor­ma­tio­nen Überle­gun­gen, den Flugver­kehr mit dem Land vorüber­ge­hend ganz zu stoppen.

Die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO beobach­tet die Virus­va­ri­an­te B.1.617 derzeit, hat sie aber noch nicht als besorg­nis­er­re­gend einge­stuft. Bislang sei nicht klar, in welchem Ausmaß die Varian­te für den rapiden Anstieg der Fälle in Indien mitver­ant­wort­lich ist. Es gebe viele Fakto­ren, die dazu beigetra­gen haben könnten. Ob die Virus­va­ri­an­te mehr schwe­re Krank­heits­ver­läu­fe auslö­se und damit zu höheren Todes­zah­len beitra­ge, sei bislang ebenfalls nicht klar.