STUTTGART (dpa/lsw) — «Holprig», «schief­ge­lau­fen», «soll nicht mehr vorkom­men». Kretsch­mann nimmt das nervi­ge Hin und Her am Wochen­en­de in Sachen Testpflicht für Geimpf­te und Genese­ne recht klein­laut auf seine Kappe. Doch auch für den Koali­ti­ons­part­ner CDU hat das noch ein Nachspiel.

Nach dem Wirrwarr bei den neuen Corona-Regeln am Wochen­en­de hat sich Baden-Württem­bergs Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann bei den Menschen im Land entschul­digt. Die Regie­rung müsse unter hohem Zeitdruck Beschlüs­se in Verord­nun­gen umset­zen. «Das ist uns dieses Mal einfach verrutscht, das tut mir leid», sagte der Grüne am Diens­tag vor Journa­lis­ten in Stutt­gart. Er bedaue­re die Verun­si­che­rung, die wegen der ursprüng­lich geplan­ten Testpflicht auch für Geimpf­te und Genese­ne (2G plus) zum Beispiel in Restau­rants entstan­den sei. Im Landtag sagte Kretsch­mann später: «Das war nicht gut, das war nicht richtig, das soll auch nicht mehr vorkommen.»

«Chaos, Chaos, Chaos»: SPD und FDP attackie­ren Lucha

Die späte Locke­rung war auch auf Druck des Koali­ti­ons­part­ners CDU zustan­de gekom­men. Das Hin und Her hatte hefti­ge Kritik aus Opposi­ti­on, Kommu­nen, Gastro­no­mie und Handel hervor­ge­ru­fen. Auch Sozial­mi­nis­ter Manne Lucha (Grüne) sagte: «Mea Culpa.» SPD und FDP forder­ten Kretsch­mann im Landtag auf, Lucha die Zustän­dig­keit für das Krisen­ma­nage­ment zu entzie­hen. SPD-Frakti­ons­chef Andre­as Stoch sagte: «Wir brauchen in dieser Lage endlich ein Corona-Manage­ment, das liefert und nicht labert.» Es herrsche «Chaos, Chaos, Chaos». Der Regie­rungs­chef nahm Lucha in Schutz. Alle Gesund­heits­mi­nis­ter in Bund und Ländern stünden in der Kritik. «Ich würde schon bitten, dass man ein bisschen auf dem Teppich bleibt.»

Der Landtag mit der grün-schwar­zen Mehrheit lehnte den Antrag von SPD und FDP, Lucha das Krisen­ma­nage­ment zu entzie­hen, mit großer Mehrheit ab. 93 Abgeord­ne­te stimm­ten dagegen, 41 dafür.

Kretsch­mann recht­fer­tigt Tempo: Volle Fußball­sta­di­en verhindern

Kretsch­mann erklär­te, es sei vor allem darum gegan­gen, die erwar­te­ten Zuschau­er­mas­sen bei Großver­an­stal­tun­gen wie der Fußball-Bundes­li­ga zu verhin­dern. Ohne die schär­fe­ren Corona-Regeln, die erst am späten Freitag­abend veröf­fent­licht worden waren, habe man die vielen Fans in den Stadi­en nicht verbie­ten können. «Solche Bilder, wie wir sie gesehen haben, insbe­son­de­re in Köln, aber auch beim VfB, das war mir klar, das geht kein zweites Mal.» Nach der neuen Verord­nung gilt für sämtli­che Veran­stal­tun­gen wie Fußball­spie­le oder Kultur- und Freizeit­ver­an­stal­tun­gen eine «harte Obergren­ze» von 750 Personen.

Wirrwarr hat Nachspiel in grün-schwar­zer Koalition

Das Wirrwarr hat nach Kretsch­manns Worten auch kein gutes Licht auf die grün-schwar­ze Koali­ti­on gewor­fen. «Was da gesche­hen ist, ist nicht gut.» Aus den Reihen der Union hatte es auch über die sozia­len Medien erheb­li­chen Druck gegeben, die geplan­te Testpflicht für Geimpf­te und Genese­ne nochmal aufzu­wei­chen. Der Minis­ter­prä­si­dent sagte dazu: «Was nicht normal ist, dass rumge­pos­tet wird.» Das werde ein Nachspiel haben: «Das wird mit dem Koali­ti­ons­part­ner besprochen.»

CDU wollte «Lockdown durch Hinter­tür» für Gastro verhindern

CDU-Frakti­ons­chef Manuel Hagel erklär­te im Landtag mit Blick auf Gastro­no­mie und Handel: «2G plus wäre ein fakti­scher Lockdown durch die Hinter­tür gewesen.» Noch dazu hätte es keine Hilfen für die betrof­fe­nen Branchen gegeben. Man sei sich zwischen Grünen und CDU deshalb «schnell einig» gewesen, dass man das ändern müsse. Er räumte aber ein: «Da wird manches mit heißer Nadel gestrickt, das ist so.» Er ergänz­te: «Die Kommu­ni­ka­ti­on hätte besser laufen können.»

Kretsch­mann hält neue Regeln für «infek­tio­lo­gisch vertretbar»

Ursprüng­lich wollte die Regie­rung eine harte 2G-plus-Regel einfüh­ren, wonach nur noch Geimpf­te und Genese­ne mit einem Test etwa in Restau­rants dürfen — nur Menschen mit einer Auffri­schungs­imp­fung sollten ausge­nom­men werden. Doch dann machte das Land am Sonntag einen Rückzie­her und nahm auch kürzlich Geimpf­te und Genese­ne von der Testpflicht aus. Aller­dings müssen Genese­ne nachwei­sen, dass die Infek­ti­on maximal sechs Monate zurück­liegt. Und für Geimpf­te gilt: Die zweite Impfung sollte weniger als ein halbes Jahr her sein. Kretsch­mann kann mit den nachträg­li­chen Änderun­gen leben: «Die Erleich­te­run­gen waren infek­tio­lo­gisch vertretbar.»

Regie­rungs­chef schließt noch härte­re Einschnit­te nicht aus

Kretsch­mann beton­te erneut, dass man die Krise noch nicht im Griff habe. «Wir haben jetzt nicht mehr diese explo­si­ve Dynamik.» Der Anstieg sei nur gedämpft. Er könne deshalb härte­re Maßnah­men nicht ausschlie­ßen. Mit Blick auf das Bund-Länder-Treffen am Donners­tag bekräf­tig­te er: «Wir brauchen den vollen Regelungs­kas­ten.» Kretsch­mann dringt auf eine Länder­öff­nungs­klau­sel im Infek­ti­ons­schutz­ge­setz, um bei einer weite­ren Zuspit­zung der Krise handlungs­fä­hig zu sein. «Wir können im Moment gar keine Gaststät­ten schlie­ßen.» Auch Ausgangs­be­schrän­kun­gen seien nicht mehr möglich. Der Grüne bekräf­tig­te, dass bei einem Lockdown Schulen zuletzt geschlos­sen würden.

Ausge­rech­net: Grün-schwar­zer Zoff am Ampel-Tag in Berlin

Ausge­rech­net am Tag der Unter­zeich­nung des Koali­ti­ons­ver­trags von SPD, Grünen und FDP in Berlin traten die Reibe­rei­en zwischen Grünen und CDU im Land deutlich zutage. Kretsch­mann sagte dennoch: «Ich nehme nicht an, dass das die Koali­ti­on belas­ten wird.» Es müsse aber möglichst ausge­schlos­sen werden, dass sich solche Dinge in der Zukunft wieder­hol­ten. Zu den CDU-Posts sagte er: «Das waren nur wenige, die das gemacht haben.» Es waren aber relativ viele CDU-Politi­ker dabei, auch Wohnungs­bau­mi­nis­te­rin Nicole Razavi und ihre Justiz­kol­le­gin Marion Gentges gehör­ten dazu.

Von Martin Oversohl und Henning Otte, dpa