BERLIN (dpa) — Der dritte Winter mit Sars-CoV‑2 steht bevor. Die Ausgangs­la­ge scheint besser zu sein als in der Vergan­gen­heit. Aber sollte man sich schon auf Weihnach­ten im Famili­en­kreis und große Silves­ter­fei­ern wie früher freuen?

Bloß nicht zu viele Kontak­te, Silves­ter ohne Party, Corona-Tristesse im Winter: Eine Wieder­ho­lung der Vorjah­re stellt sich für die nächs­ten Monate in Deutsch­land sicher kaum jemand gerne vor. Und tatsäch­lich ist das Aufkom­men einer neuen, gefähr­li­che­ren Corona-Varian­te für Forscher momen­tan ein Fall, auf den man zwar vorbe­rei­tet sein will, der aber nicht als beson­ders wahrschein­lich gilt. Ein Ausblick auf die Winter­mo­na­te in Stichpunkten:

Immuni­tät

Die Ausgangs­la­ge scheint weitaus besser als noch vor ein oder zwei Jahren. Fachleu­te erwar­ten in der Bevöl­ke­rung in Deutsch­land nun einen hohen Schutz vor schwe­ren Verläu­fen. Der Großteil weist laut Unter­su­chun­gen Antikör­per auf, die auf eine durch­ge­mach­te Corona-Infek­ti­on und/oder Impfung hindeu­ten. Das heißt aber nicht, dass sich keiner mehr ansteckt. Der mit der Zeit wieder nachlas­sen­de Schutz vor Infek­ti­on ist für den Model­lie­rer Kai Nagel (TU Berlin) ein wichti­ge­rer Faktor für neue Wellen als die Saison.

Wellen

Das Robert Koch-Insti­tut (RKI) teilt den Pande­mie­ver­lauf rückwir­kend in Wellen ein. Die sechs­te begann laut einem RKI-Papier im Juni, Ende bisher offen. «Ich gehe nicht davon aus, dass die jetzi­ge — anschei­nend leicht abflau­en­de Welle — schon die letzte in diesem Herbst/Winter ist», sagt der Bremer Epide­mio­lo­ge Hajo Zeeb.

Varian­ten

Welche Erreger in nächs­ter Zeit dominie­rend werden, scheint seit kurzem etwas klarer: Die europäi­sche Seuchen­schutz­be­hör­de ECDC rechnet mit Fallzah­len­an­stie­gen durch den Omikron-Abkömm­ling BQ.1 und dessen Subli­nie BQ.1.1. Daneben beobach­tet die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on weite­re Omikron-Sublinien.

Szena­ri­en

In Winter-Szena­ri­en, die mehre­re Model­lie­rer­grup­pen kürzlich gemein­sam veröf­fent­lich­ten, bleibt eine weite­re Welle auch dann nicht aus, wenn sich keine neue Varian­te durch­setzt. Deutli­cher fällt sie demnach aus, wenn eine neue, besser übertrag­ba­re Varian­te auftritt. Nicht ausge­schlos­sen wird zudem ein pessi­mis­ti­sches Szena­rio, in dem eine neue Varian­te den bishe­ri­gen Immun­schutz umgeht und wieder schwe­re­re Verläu­fe hervor­ruft. Dann könnten die bisher erreich­ten Spitzen­wer­te der Kranken­haus­be­las­tung deutlich überschrit­ten werden, hieß es. Für eine höhere Krank­heits­schwe­re gibt es laut ECDC bei BQ.1 und BQ.1.1 aber bisher keine Hinweise.

Verhal­ten

Es müsse jetzt einen geord­ne­ten Übergang in so etwas wie eine «aufmerk­sa­me Routi­ne» geben, meint Epide­mio­lo­ge Zeeb: Bürge­rin­nen und Bürger sollten alles tun, was sinnvoll und machbar ist, um Corona möglichst unter Kontrol­le zu halten. Das heißt auch: Ältere und Risiko­pa­ti­en­ten sollten sich die empfoh­le­nen Auffrisch­imp­fun­gen geben lassen. «Hier spielt sich der beson­ders gefähr­li­che Teil der Pande­mie weiter­hin ab, und steigen­de Sterbe­zah­len sollten wir wirklich in der Lage sein zu verhin­dern.» Für Kai Nagel sind Pläne für Weihnach­ten und Silves­ter eine Frage der persön­li­chen Risiko­ab­wä­gung: «Man muss sich entschei­den, ob man die Gefahr einer Anste­ckung, etwa bei einer größe­ren Famili­en­fei­er, einge­hen will.»

Gefähr­de­te

Noch immer sehen Patien­ten­schüt­zer eklatan­te Mängel beim Schutz wirklich gefähr­de­ter Gruppen. «Die Situa­ti­on für Menschen, die sich in der statio­nä­ren und ambulan­ten Alten­pfle­ge nicht selbst schüt­zen können, ist nach wie vor verhee­rend», sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patien­ten­schutz. Bund und Länder unter­näh­men bei dem Thema präven­tiv nicht genug. Brysch hält in der Alten­pfle­ge ein bundes­wei­tes Testre­gime für angebracht, um Virus-Einschlep­pun­gen durch Perso­nal und Besucher zu vermei­den. Bei Ausbrü­chen in Heimen brauche es exter­ne Pflege-Teams zur Unter­stüt­zung und Ausweich­quar­tie­re für Nicht-Infizier­te. «Wir müssen bei der Pande­mie­be­kämp­fung nicht alles tun, sondern das Richtige.»

Maßnah­men

Momen­tan wird vor allem über Masken­pflicht in Innen­räu­men disku­tiert. Sollte aber das oben genann­te pessi­mis­ti­sche Szena­rio oder eine Varia­ti­on davon eintre­ten, wäre laut einer Simula­ti­on des Teams von Kai Nagel «eine starke Verhal­tens­än­de­rung der Bevöl­ke­rung bzw. ein erneu­tes Einfüh­ren von stren­ge­ren Maßnah­men notwen­dig», um den Zusam­men­bruch des Gesund­heits­sys­tems zu verhin­dern. Um die Klinik­be­las­tung zu begren­zen, wird in dem Fall Folgen­des als erfolg­ver­spre­chend genannt: Homeof­fice-Quote von 50 Prozent, FFP2-Masken­pflicht für Arbeit in Innen­räu­men sowie um die Hälfte reduzier­te Freizeit­ak­ti­vi­tä­ten im öffent­li­chen und priva­ten Raum, also etwa von Restau­rant­be­su­chen und priva­ten Treffen. Davon profi­tiert im Modell der Schul- und Uni-Betrieb, der nicht einge­schränkt werden müsste.

Kranken­häu­ser

Schon nach dem bishe­ri­gen Fallzah­len­an­stieg sprach sich etwa die Univer­si­täts­kli­nik Chari­té in Berlin für stärke­ren Infek­ti­ons­schutz mit der Masken­pflicht in Innen­räu­men aus. Hajo Zeeb rechnet für den Winter damit, «dass unsere Versor­gungs­ein­rich­tun­gen unter mehr oder weniger perma­nen­tem Druck stehen werden, auch mit eigenem erkrank­ten Perso­nal». Medizi­ner äußer­ten Schät­zun­gen, wonach sich in ihren Häusern ein Viertel bis ein Drittel des Perso­nals im Lauf von Herbst und Winter mit Corona anste­cken dürfte.

Von Gisela Gross, dpa