BONN (dpa) — Das Handy macht die früher wichti­ge Telefon­zel­le überflüs­sig. Bald ist der öffent­li­che Münzfern­spre­cher endgül­tig Geschich­te in Deutsch­land. Zeit für Erinne­run­gen — und zum Abschiednehmen.

Für die Genera­ti­on Smart­phone ist es kaum vorstell­bar: Wer auf Reisen ist oder einfach nur in der Stadt oder auf dem Land unter­wegs, muss erstmal eine Telefon­zel­le suchen, um mit den Liebs­ten zu sprechen oder andere wichti­ge Dinge zu klären. Bald nun ist es in Deutsch­land völlig aus mit den Telefo­nen im öffent­li­chen Raum, die vom techni­schen Fortschritt vollends überholt worden sind.

Öffent­li­che Fernspre­cher, das waren enge Häuschen, in denen es unange­nehm roch, oft gerade­zu stank — nach modri­gem Telefon­buch­pa­pier, nach Schweiß, Zigaret­ten­qualm, gar Urin. Manch­mal fiel auch das Münzgeld durch den Apparat oder es neigte sich viel zu rasch dem Ende — und vor der Tür warte­ten ungedul­dig Mitbürger.

Erinne­run­gen aus einer längst vergan­ge­nen Zeit

Das alles sind Erinne­run­gen aus einer längst vergan­ge­nen Zeit. Den meisten Leuten unter 30 sind sie fremd.

Am Montag (21.11.) wird an den bundes­weit noch rund 12.000 verblie­be­nen Fernspre­chern die Münzzah­lung «deakti­viert», wie die Telekom in Bonn mitteilt. «Ab Ende Januar wird dann auch die Zahlungs­funk­ti­on mittels Telefon­kar­ten und somit der gesam­te Telekom­mu­ni­ka­ti­ons­dienst an den Telefon­säu­len bezie­hungs­wei­se ‑häuschen einge­stellt.» Es ist nach 142 Jahren das Ende einer Ära. Begon­nen hatte sie 1881 in Berlin mit dem ersten «Fernsprech­ki­osk».

Früher stachen Deutsch­lands gelbe Telefon­zel­len von der Bundes­post (die es von 1947 bis 1994 gab) aus dem Stadt- oder Landschafts­bild heraus. Der Höhepunkt ihrer Zahl war Mitte der 90er Jahre erreicht, als allein die Telekom (als Bundes­post­nach­fol­ge­rin) mehr als 160 000 Telefo­ne betrieb, die nicht nur in Einkaufs­stra­ßen oder an Bahnhö­fen standen, sondern auch in reinen Wohnge­bie­ten oder am Waldrand.

Hinweis­schild: «Nimm Rücksicht auf Wartende»

Jahrzehn­te­lang stand «Fasse dich kurz!» als Auffor­de­rung an den Häuschen — ergänzt oft durch den Hinweis «Nimm Rücksicht auf Warten­de». In der DDR war dies noch länger der Fall, weil dort das priva­te Festnetz­te­le­fon weniger schnell zum Massen­phä­no­men wurde.

So wie das Handy für viele die Fotoka­me­ra, den Wecker und einige andere Extra-Geräte überflüs­sig machte, so ließ das Mobil­te­le­fon auch das festin­stal­lier­te Telefon in der Öffent­lich­keit obsolet werden.

Bis die letzten Telefon-Stelen endgül­tig abgebaut sind, wird wohl das Jahr 2025 angebro­chen sein, wie es von der Telekom heißt. In Abspra­che mit den Gemein­den will das Unter­neh­men rund 3000 der letzten 12 000 Stand­or­te ohne Telefo­nie­funk­ti­on weiter nutzen. «Sie baut die Stand­or­te mit so genann­ten Small Cells um. Das sind kleine Anten­nen, die Mobil­funk­si­gna­le verstär­ken», wird angekündigt.

Schon lange nicht mehr rentabel

Zuletzt standen die sogenann­ten Basis­te­le­fo­ne und Stelen eigent­lich nur noch an beleb­ten Bahnhö­fen, Flughä­fen oder auf Messe­ge­län­den. Wirtschaft­lich renta­bel waren die Säulen längst nicht mehr.

Außer­dem sind sie laut Telekom Strom­fres­ser: «Im Schnitt sind es zwischen 500 und 1250 Kilowatt­stun­den im Jahr.» Seit der Änderung des Telekom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­set­zes Ende 2021 gebe es zudem keine «Verpflich­tung zum Betrieb öffent­li­cher Telefo­ne» mehr. Selbst für Notru­fe seien sie irrele­vant. Auch da habe der Mobil­funk übernommen.

In unzäh­li­gen Filmen und Fernseh­pro­duk­tio­nen spielt die Telefon­zel­le, manch­mal auch nur Telefon­säu­le, eine Rolle. Öfter vor kam sie zum Beispiel in der 70er-Jahre-Serie «Ein Herz und eine Seele» mit «Ekel Alfred» Tetzlaff. Auch 1998 in Tom Tykwers «Lola rennt» ist die Telefon­zel­le bedeu­tend. In dem Action­thril­ler ruft der krimi­nel­le Kurier Manni (Moritz Bleib­treu) sorgen­voll aus einer Berli­ner Telefon­zel­le seine Freun­din an, weil er 100 000 Mark verlo­ren hat. Er droht, in den folgen­den 20 Minuten einen Super­markt zu überfal­len und Lola (Franka Poten­te) rennt los, um das Problem anders zu lösen.

Telefon­zel­len als Drehort

Auch in Filmen aus anderen Ländern dienten Telefon­zel­len als Drehort, zum Beispiel in Kultstrei­fen wie «Fahrstuhl zum Schafott» (1958) mit Jeanne Moreau, «Dirty Harry» (1971) mit Clint Eastwood, «Matrix» (1999) mit Carrie-Anne Moss oder «Nicht aufle­gen» (2002) mit Colin Farrell. Und manch­mal waren sie sogar magisch, etwa in «Harry Potter und der Orden des Phönix» (2007), in dem ein typisches rotes Londo­ner Telefon­häus­chen als Eingang zum Zaube­rei­mi­nis­te­ri­um fungiert.

Beson­ders symbo­lisch setzte Altmeis­ter Alfred Hitch­cock die Telefon­zel­le ein. Im 60 Jahre alten Horror-Klassi­ker «Die Vögel» schaut Tippi Hedren als Melanie Daniels anfangs auf gefie­der­te Tierchen in einem Käfig. Später ist sie im Sturm mordlus­ti­ger Vögel in einer Telefon­zel­le gefan­gen — wie in einem Käfig. Nur knapp kann sich Hedrens Figur hinaus und in ein Haus retten, bevor die Schei­ben der Telefon­zel­le nach Sturz­flug­at­ta­cken der Vögel zu Bruch gehen.

Von Gregor Tholl, dpa