Thomas Müller bringt es auf den Punkt: «Daran möchte man sich nicht gewöh­nen.» Spiele ohne Zuschau­er, Still­stand. Keine Einnah­men. Der Sport in der Corona-Klaue. Was ein Spekta­kel-Jahr des Sports hätte werden können, wird zum Notpro­gramm mit Langzeitfolgen.

Es sollte das Jahr der bisher größten Fußball-EM mit zwölf Gastge­bern werden. Das Jahr eines Olympia-Fests der Rekor­de kurz danach in Tokio.

Sport­le­rin­nen und Sport­ler auf Titel- und Medail­len­jagd und Millio­nen Zuschau­er in den Stadi­en, an den Strecken, in den Hallen. Der Sport-Kalen­der 2020 versprach zu Beginn des Jahres Höhepunk­te fast ohne Atempau­se. Die Formel 1 wollte auf Rekord­kurs über 22 Statio­nen durch die Welt ziehen, die Eis- und Schnee­s­port­ler wollten Schwung holen für die Winter­spie­le 2022 in Peking.

Es kam anders, ganz anders. 2020 wurde auch für den Sport, in Deutsch­land und weltweit, in der Spitze und in der Breite zu einer Bewäh­rungs­pro­be von ungeahn­tem Ausmaß. Die Corona-Krise hat den Sport teils an seine Existenz­gren­zen geführt – Langzeit­schä­den ebenso wie bei den Infek­tio­nen mit dem Virus Sars-CoV‑2 nicht absehbar.

Die Klagen über die erwar­te­te Hitze bei den Spielen in Tokio wirken im Nachhin­ein fast lächer­lich. Diskus­sio­nen um den Spannungs­bo­gen in der Fußball-Bundes­li­ga, in der die Bayern nach der Amtsüber­nah­me von Hansi Flick am Ende doch wieder die Meister­scha­le in die Höhe recken durften, ebenfalls. Dass die Münch­ner nach einem wochen­lan­gen Lockdown vor leeren Rängen feiern mussten und die Saison erst Ende Juni zu Ende war, war auch Beleg für die Ausnah­me­la­ge 2020.

Nachdem sich das Infek­ti­ons­ge­sche­hen vom chine­si­schen Wuhan aus im Febru­ar weltweit beschleu­nigt hatte und zur Pande­mie gewor­den war, traf es nach und nach auch den Sport. Die Fußball-Bundes­li­ga musste ab Mitte März zwei Monate pausie­ren. Die Champi­ons und die Europa League wurden im August kurzer­hand in Final­tur­nie­ren zu Ende gespielt.

In der europäi­schen Meister­klas­se trium­phier­te der FC Bayern, nachdem er bereits die Liga und den DFB-Pokal gewon­nen hatte. Der ehema­li­ge Bundes­trai­ner-Assis­tent Flick hatte die Münch­ner nach seinem Aufstieg zum Chefcoach im Schnell­kurs wieder zum Erfolgs­team geformt, zu den Abräu­mern des Sommers. Auch den deutschen und den europäi­schen Super­cup sicher­ten sich die Bayern.

Sport­li­che Erfol­ge waren das eine, Hygie­ne- und Sicher­heits­kon­zep­te das andere. Die Bundes­li­ga machte es allen Top-Ligen vor, spiel­te ohne Zuschau­er. Auch die Formel 1 starte­te durch, ebenfalls vor Geister­ku­lis­sen und mit rund viermo­na­ti­ger Verspä­tung. Wichtigs­ter Treib­stoff hier wie dort war das Geld. Spiele fürs TV, Rennen fürs TV — Geld für die Darsteller.

Für andere lief es schlech­ter. Im deutschen Eisho­ckey herrsch­te eine etwas andere Eiszeit: Fast 300 Tage ging nichts in der DEL, nicht einmal ein Meister wurde im Frühjahr gekürt. Auch Handball und Basket­ball stell­ten fest, dass ihre enorm von Zuschau­er-Einnah­men abhän­gi­gen Geschäfts­mo­del­le nicht krisen­si­cher sind.

Im Fußball wurde prompt eine neue Demut ausge­ru­fen. «Wir werden ganz bestimmt aus dieser Situa­ti­on einiges mitneh­men und uns sehr wohl Gedan­ken machen, wie künftig das wirtschaft­li­che, vielleicht aber auch das Werte­fun­da­ment der Bundes­li­ga ausse­hen kann», sagte Liga-Geschäfts­füh­rer Chris­ti­an Seifert, der als Krisen­ma­na­ger an Statur gewann.

Ob der Ruf auch nach einer morali­schen Neuord­nung nachhal­tig ist oder bei der Hatz durch die überfüll­ten Termin­ka­len­der bald verges­sen — es wird sich zeigen. Als die DFL-Spitze Anfang Dezem­ber den neuen Schlüs­sel zur Vertei­lung der TV-Milli­ar­den vorstell­te, zeigten sich viele Fans über einen fehlen­den Willen zur Radikal­kur enttäuscht.

In der Motor­sport-Königs­klas­se feier­te im Notjahr sogar der Nürburg­ring ein Comeback, ansons­ten blieb alles beim Alten: Merce­des und Super­star Lewis Hamil­ton räumten ab. Mit dem siebten Fahrer­ti­tel zog der 35 Jahre alte Brite mit Rekord­welt­meis­ter Micha­el Schuma­cher gleich, mehr Pole Positi­ons und mehr Siege hat er längst.

Für andere ging es nur ums Durch­hal­ten. Olympia in Tokio – verscho­ben um ein Jahr. Das IOC mit dem deutschen Präsi­den­ten Thomas Bach und die japani­schen Organi­sa­to­ren sahen sich nach langem Zögern zum Handeln gezwun­gen. Sport­ar­ten, die oft nur alle vier Jahre erhöh­te Aufmerk­sam­keit bekom­men, standen nahezu still. Motiva­ti­ons­pro­ble­me, aber auch Sorgen um die Existenz, statt Glanz und Gloria. Jahre­lan­ge Vorbe­rei­tung von Sport­le­rin­nen und Sport­lern — für nichts. Auch sonst fand ja kaum etwas statt.

Der Amateur- und Breiten­sport ächzte unter Lockdown und Teil-Lockdown. Geschlos­se­ne Hallen, sinken­de Mitglie­der­zah­len, ermüde­tes Ehren­amt. «Es besteht die reale Gefahr, dass wir Sport­deutsch­land in seiner Struk­tur deutlich geschwächt vorfin­den werden», berich­te­te der Präsi­dent des Deutschen Olympi­schen Sport­bun­des, Alfons Hörmann. Der 60-Jähri­ge beton­te: «Wir sind Bestand­teil der Lösung und nicht des Problems.» Corona hat die Sport­welt vom kleinen Verein bis zum großen Unter­neh­men im Jahr 2020 schwer getrof­fen und mitun­ter paralysiert.

Mit einem Schock hatte das Sport­jahr schon angefan­gen. Im Januar riss ein Hubschrau­ber­ab­sturz die ameri­ka­ni­sche Basket­ball-Ikone Kobe Bryant aus dem Leben, mit 41 Jahren. Mit ihm starb auch seine 13 Jahre alte Tochter. Im Novem­ber trauer­te dann die Fußball-Welt mit Argen­ti­ni­en, als die Legen­de Diego Arman­do Maradona mit nur 60 Jahren einem Herzstill­stand erlag. «Gott ist tot», titel­te die franzö­si­sche Zeitschrift «L’Equi­pe».

In einem Jahr der Tristesse konnte auch die deutsche Natio­nal­mann­schaft nicht für so etwas wie kollek­ti­ves Glücks­ge­fühl sorgen. Ganz im Gegen­teil. «Dunkle Wolken» machte Direk­tor Oliver Bierhoff aus. Das Inter­es­se an der DFB-Auswahl hat nachge­las­sen, die Kritik ist inten­si­ver gewor­den, im Zentrum steht Bundes­trai­ner Joachim Löw. Die Schlecht­wet­ter­front wurde nach dem histo­ri­schen 0:6 in der Nations League im Novem­ber in Spani­en noch hefti­ger. Löw aber bekam trotz schwe­rer Verwer­fun­gen mit dem bislang glück­lo­sen DFB-Cef Fritz Keller noch einmal das Vertrau­en vom Verband für die EM, die nun im kommen­den Sommer statt­fin­den soll.

2020 – ein Jahr für viele zum Verges­sen. Doch die Nachwir­kun­gen werden noch anhal­ten. Jubeln­de Zuschau­er in vollen Arenen, angst­freie Emotio­nen ohne Maske und Corona-Dauer­tests – die Rückkehr zu einer Sport-Norma­li­tät ist offen. Auch das nächs­te Sport­jahr dürfte noch tief geprägt sein von den Folgen der Pande­mie, auch wenn die Ligen und Verbän­de vieles nachho­len wollen, was in diesem Jahr ausfiel. Dabei dürften sich alle auf das einigen können, was Bayerns Thomas Müller nach dem Bundes­li­ga-Finale zu den Geister­ku­lis­sen sagte: «Daran möchte man sich nicht gewöhnen.»