Bund und Länder haben gerade erst einen schär­fe­ren Kurs zur Bewäl­ti­gung der Pande­mie beschlos­sen. Da kommt aus Bayern bereits die Forde­rung nach strik­te­ren bundes­wei­ten Maßnah­men. Immer deutli­cher wird: Der Bundes­tag will ein Wort mitreden.

CSU-Chef Markus Söder forder­te eine bundes­weit einheit­li­che Masken­pflicht für Regio­nen mit vielen Corona-Fällen — in Schulen, auf öffent­li­chen Plätzen und auch am Arbeits­platz. «Wir brauchen eine allge­mei­ne Masken­pflicht natio­nal», sagte er. Der bayeri­sche Minis­ter­prä­si­dent sprach sich im Grund­satz auch für mehr Rechte des Bundes beim Infek­ti­ons­schutz aus.

Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel (CDU) wies auf die «wichti­gen Schrit­te» des vergan­ge­nen Mittwochs hin. «Mehr ist noch zu tun, das ist klar.» Die Kanzle­rin machte deutlich, dass sie nicht an der Aufga­ben­ver­tei­lung zwischen Bund und Ländern rütteln will. Sie glaube, dass sich der Födera­lis­mus in der Pande­mie bewährt habe, weil sehr viel spezi­fi­scher vor Ort reagiert werden könne.

Immer mehr Politi­ker fordern, dass die Parla­men­te — Bundes­tag und Landta­ge — stärker in die Entschei­dun­gen einge­bun­den werden müssen. «Eine epide­mio­lo­gi­sche Not darf nicht zu einem Notstand der Demokra­tie werden», sagte die Linken-Vorsit­zen­de Katja Kipping nach Beratun­gen der Parteispitze.

Bundes­tags­prä­si­dent Wolfgang Schäub­le legte den Fraktio­nen Vorschlä­ge für eine stärke­re Betei­li­gung des Parla­ments vor. Die öffent­li­che Debat­te zeige, «dass der Bundes­tag seine Rolle als Gesetz­ge­ber und öffent­li­ches Forum deutlich machen muss, um den Eindruck zu vermei­den, Pande­mie­be­kämp­fung sei ausschließ­lich Sache von Exeku­ti­ve und Judika­ti­ve», heißt es in einem Schrei­ben an die Frakti­ons­chefs, das der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt.

Schäub­le ließ den Wissen­schaft­li­chen Dienst dazu eine Stellung­nah­me erarbei­ten. Dieser schlägt vor, «konkre­te Ermäch­ti­gungs­grund­la­gen für beson­ders eingriffs­in­ten­si­ve und streu­wei­te Maßnah­men» zu schaf­fen. So würde eine echte Beschrän­kung der Eingriffs­be­fug­nis­se erfol­gen. Maßnah­men gegen die Pande­mie sollten befris­tet und Rechts­ver­ord­nun­gen der Regie­rung unter einen Zustim­mungs­vor­be­halt des Bundes­ta­ges gestellt werden. Alter­na­tiv sollte dieser die Möglich­keit bekom­men, Rechts­ver­ord­nun­gen aufzu­he­ben. Auch eine Pflicht zur Unter­rich­tung durch die Bundes­re­gie­rung wird verlangt.

Grünen-Chef Robert Habeck forder­te, den Kampf gegen die Pande­mie verstärkt auf Bundes­ebe­ne im Bundes­tag und Bundes­rat zu verhan­deln. Kommu­ni­ka­ti­on solle «nicht mehr im Hinter­zim­mer, nicht mehr in Video­an­spra­chen» erfol­gen, «sondern an den Orten, die in einer Demokra­tie dafür vorge­se­hen sind».

Hinter­grund der Debat­te über eine weite­re Verschär­fung der Maßnah­men ist die Sorge, dass das Infek­ti­ons­ge­sche­hen außer Kontrol­le geraten könnte. Nach Angaben des Robert Koch-Insti­tuts vom Montag­mor­gen melde­ten die Gesund­heits­äm­ter in Deutsch­land zuletzt 4325 neue Corona-Infek­tio­nen binnen 24 Stunden. Der Wert ist vergleichs­wei­se niedrig, auch weil am Wochen­en­de nicht alle Gesund­heits­äm­ter Daten übermit­teln. Gemes­sen an den 2467 gemel­de­ten Infek­tio­nen vom Montag vergan­ge­ner Woche ist der aktuel­le Wert aber deutlich erhöht. Die Zahl der Neuin­fek­tio­nen hatte am Samstag mit 7830 zum dritten Mal in Folge einen Höchst­wert erreicht.

Betrof­fen sind inzwi­schen nicht nur Großstäd­te oder Ballungs­räu­me. So wurden der bundes­wei­te höchs­te Wert von Neuin­fek­tio­nen je 100.000 Einwoh­ner inner­halb der letzten sieben Tag mit 252 im bayeri­schen Landkreis Berch­tes­ga­den regis­triert. Dahin­ter lag die rund 82.000 Einwoh­ner zählen­de Stadt Delmen­horst in Nieder­sach­sen mit 223,1.

Regie­rungs­spre­cher Steffen Seibert vertei­dig­te, dass die Kanzle­rin am Samstag ihren wöchent­li­chen Podcast angesichts der sich zuspit­zen­den Infek­ti­ons­la­ge für einen eindring­li­chen Appell an die Bürger genutzt hat. Es sei für sie eine zusätz­li­che Möglich­keit gewesen, ihre Gedan­ken zu dem, was in dieser konkre­ten Phase der Pande­mie notwen­dig sei, darzu­le­gen, sagte er.

Merkel hatte die Menschen in Deutsch­land gebeten: «Verzich­ten Sie auf jede Reise, die nicht wirklich zwingend notwen­dig ist, auf jede Feier, die nicht wirklich zwingend notwen­dig ist. Bitte bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort.»

Der Präsi­dent der Bundes­ärz­te­kam­mer, Klaus Reinhardt, warnte jedoch davor, die Bevöl­ke­rung zu verun­si­chern. Er wolle keine Entwar­nung oder übertrie­be­ne Gelas­sen­heit verbrei­ten, sagte er am Montag im Deutsch­land­funk. «Aber ich finde, man kann den Menschen nicht in einer Tour Angst machen.» So könne eine Art von Abstump­fung entste­hen. Teile der Bevöl­ke­rung könnten anfan­gen, die Warnun­gen nicht mehr ernst zu nehmen.

Söder verlang­te vor einer Schalt­kon­fe­renz des CSU-Vorstands, dass bei mehr als 35 Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner binnen sieben Tagen eine Masken­pflicht auf stark frequen­tier­ten öffent­li­chen Plätzen und in Schulen gelten solle, in Grund­schu­len und Horten ab der Marke 50. Bei einem Wert von 35 solle es auch eine bundes­wei­te Masken­pflicht am Arbeits­platz geben, wenn Mindest­ab­stän­de nicht einge­hal­ten werden können. Zudem sollten alle Länder nach bayeri­schem Muster ab einem Wert von 50 die Sperr­stun­de für Lokale schon um 22.00 Uhr verhängen.

Die Minis­ter­prä­si­den­ten der Länder hatten sich mit der Kanzle­rin am Mittwoch bereits auf eine schritt­wei­se Auswei­tung der Masken­pflicht in Corona-Hotspots verstän­digt — dies blieb aber wesent­lich unprä­zi­ser als jetzt von Söder verlangt. Mit Blick auf die starke Zustän­dig­keit der Länder bei Maßnah­men gegen die Pande­mie-Bekämp­fung sagte dieser: «Ich bin ein überzeug­ter Födera­list, aber ich glaube, dass der Födera­lis­mus zuneh­mend an seine Grenze stößt.»

Die Kritik am gerin­gen Einfluss der Parla­men­te auf die Entschei­dun­gen über Corona-Maßnah­men entzün­det sich unter anderem daran, dass sich Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn Sonder­rech­te verlän­gern lassen möchte, die ihm der Bundes­tag im März einge­räumt hatte. Sie sind bislang bis März 2021 begrenzt. Im Gesetz­ent­wurf heißt es nun, die bishe­ri­gen Regelun­gen sollten — «unter der Voraus­set­zung, dass dies zum Schutz der Bevöl­ke­rung vor einer Gefähr­dung durch schwer­wie­gen­de übertrag­ba­re Krank­hei­ten erfor­der­lich ist» — «verste­tigt» werden. Zur Frage, was das konkret heißt, wollte sich eine Minis­te­ri­ums­spre­che­rin am Montag in der Bundes­pres­se­kon­fe­renz nicht äußern.

Aller­dings hat der Bundes­tag durch­aus Mitwir­kungs­rech­te. So wurde die «epide­mi­sche Notla­ge von natio­na­ler Tragwei­te» — die Grund­la­ge für die Sonder­rech­te der Regie­rung — im März vom Bundes­tag beschlos­sen. Der Bundes­tag kann sie auch wieder aufhe­ben. Und auch im neuen Gesetz­ent­wurf steht, dem Bundes­tag werde «das Recht einge­räumt, entspre­chen­de Verord­nun­gen abzuän­dern oder aufzuheben».

Trotz­dem kriti­sier­te der Geschäfts­füh­rer des Deutschen Richter­bun­des, Sven Rebehn im «Handels­blatt»: «In der ersten Phase der Corona-Pande­mie ist es vertret­bar gewesen, Freiheits­rech­te durch Verord­nun­gen der Exeku­ti­ve einzu­schrän­ken, um möglichst rasch auf akute Gefah­ren reagie­ren zu können. Das darf aber nicht zum Dauer­zu­stand werden.»

Die Grünen-Frakti­ons­vor­sit­zen­de Katrin Göring-Eckardt sagte der «Augsbur­ger Allge­mei­nen» (Diens­tag), es werde schon zu lange hinter verschlos­se­nen Türen verhan­delt. «Beratung, Abwägung, Entschei­dung und Kontrol­le gehören gerade in Krisen­zei­ten ins Parla­ment.» Unmut gibt es aber nicht nur bei der Opposi­ti­on, sondern auch in den Koali­ti­ons­frak­tio­nen. «Das Parla­ment muss der Ort sein, an dem die zentra­len Entschei­dun­gen getrof­fen werden», sagte beispiels­wei­se Unions­frak­ti­ons­vi­ze Thors­ten Frei (CDU) der «Stutt­gar­ter Zeitung» und den «Stutt­gar­ter Nachrich­ten» (Diens­tag).