BERLIN (dpa) — Die Bundes­re­gie­rung will sich bei der Pande­mie­be­kämp­fung stärker auf die Kranken­haus­auf­nah­men als Messgrö­ße konzen­trie­ren. Der Bundes­tag verlän­ger­te unter­des­sen die epide­mi­sche Lage.

Ärzte haben sich im Kampf gegen die Corona-Pande­mie gegen eine Fokus­sie­rung auf die Kranken­haus­be­le­gung ausgesprochen.

«Wir befin­den uns wieder im exponen­ti­el­len Wachs­tum der Infek­tio­nen und auch der schwe­ren Erkran­kun­gen. Immer mehr junge Menschen landen im Kranken­haus, weil sie sich nicht impfen lassen haben oder es bislang nicht ernst genug genom­men haben», sagte der Präsi­dent der Deutschen Gesell­schaft für Inter­nis­ti­sche Inten­siv­me­di­zin und Notfall­me­di­zin, Chris­ti­an Karagi­ann­idis, der «Rheini­schen Post». «Das Signal, das vom Strei­chen des Inzidenz­werts 50 ausgeht, ist kritisch. Natür­lich hat sich die Bedeu­tung verän­dert, wir sollten den Inzidenz­wert aber keines­falls aufge­ben. Ein Dreiklang aus Inziden­zen, Kranken­haus­fäl­len und Inten­siv­bet­ten­be­le­gung ist wichtig.»

Der bishe­ri­ge Wert von 50 bei der Sieben-Tage-Inzidenz, der noch im Infek­ti­ons­schutz­ge­setz als Schwel­le für schär­fe­re Maßnah­men genannt ist, soll nach Plänen der Bundes­re­gie­rung gestri­chen werden. Künftig soll die Zahl der Kranken­haus­auf­nah­men entschei­dend sein. Welche Schwel­len hierfür gelten sollen, ist aber noch offen.

«Gibt keine Glücksformel»

«So wie wir seit Wochen sagen, dass die Inzidenz nicht allei­ni­ger Indika­tor sein kann, so gilt das jetzt auch für die Hospi­ta­li­sie­rung», sagte der Chef der Deutschen Kranken­haus­ge­sell­schaft Gerald Gaß dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND). Notwen­dig sei, verschie­de­ne Indika­to­ren neben­ein­an­der quali­ta­tiv zu betrach­ten, um sich ein wirkli­ches Bild von der Infek­ti­ons- und Gefah­ren­la­ge im Gesund­heits­we­sen zu machen. So müssten neben der Inzidenz und der Hospi­ta­li­sie­rung zum Beispiel auch die Impfquo­te und die Dynamik der jewei­li­gen Parame­ter berück­sich­tigt werden. «Es gibt nicht die Glücks­for­mel, bei der die eine Zahl heraus­kommt, die die Pande­mie umfas­send erklärt.»

Der Bundes­tag hat unter­des­sen am Abend die «epide­mi­sche Lage von natio­na­ler Tragwei­te» vorerst für weite­re drei Monate verlän­gert. Für den von der Koali­ti­on einge­brach­ten Antrag zur Verlän­ge­rung votier­ten 325 Abgeord­ne­te. Dagegen stimm­ten 253 Parla­men­ta­ri­er, fünf enthiel­ten sich. Die Sonder­la­ge gilt damit vorerst bis Ende Novem­ber. Ohne erneu­te Bestä­ti­gung des Parla­ments läuft sie nach drei Monaten aus. Auf der festge­stell­ten Lage basie­ren unter anderem Länder-Verord­nun­gen zu Maßnah­men wie Masken­pflicht oder Kontakt­be­schrän­kun­gen. Der Bund kann zudem bestimm­te Verord­nun­gen wie zur Impfstoff­be­schaf­fung ohne Zustim­mung des Bundes­rats erlassen.

Spahn appel­liert an Ungeimpfte

Gesund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) sagte: «Die Pande­mie ist leider noch nicht vorbei.» Es gehe darum, dass die Länder und Behör­den vor Ort eine Rechts­grund­la­ge für Maßnah­men wie Masken­tra­gen in Bussen und Bahnen bräuch­ten, so lange es noch eine so hohe Zahl Ungeimpf­ter gebe. Ziel bleibe, eine Überlas­tung des Gesund­heits­we­sens weiter zu vermei­den. Um sicher durch die vierte Corona-Welle zu kommen, brauche es noch eine höhere Impfquo­te. Spahn rief bisher zögern­de Menschen erneut dazu auf, Impfan­ge­bo­te anzuneh­men. «Bitte machen Sie mit.»

Der Bundes­tag hatte die Sonder­la­ge erstmals im März 2020 festge­stellt und dies zuletzt am 11. Juni bestä­tigt. Aus der Opposi­ti­on kam teils schar­fe Kritik. FDP-Gesund­heits­exper­tin Chris­ti­ne Aschen­berg-Dugnus warnte vor einer «Fortfüh­rung der automa­ti­schen und undif­fe­ren­zier­ten Grund­rechts­ein­grif­fe». Von einer Überlas­tung des Gesund­heits­we­sens sei man dank des Impffort­schritts weit entfernt. AfD-Chef Tino Chrup­al­la sagte, unter den gegebe­nen Umstän­den bestehe keine Notwen­dig­keit, die Grund­rech­te weiter einzuschränken.