LISSABON (dpa) — Für kaum ein anderes Land bedeu­tet die Pande­mie eine solche Achter­bahn­fahrt wie für Portu­gal. Wähnte man sich dem Schlimms­ten vor kurzem noch entgan­gen, spitzt sich die Lage derzeit wieder drastisch zu.

Als die deutschen Urlau­ber in Portu­gal zu Hunder­ten vorzei­tig die Koffer packen, setzt an der Algar­ve trotz Tempe­ra­tu­ren von knapp 30 Grad das große Zittern ein. Joao Fernan­des, Chef der regio­na­len Touris­mus­be­hör­de, spricht von einem «schwe­ren Schlag», einer «kalten Dusche».

Grund seiner Sorge: Das Robert Koch-Insti­tut hat das Land als Virus­va­ri­an­ten­ge­biet einge­stuft — und so treten etliche deutsche Touris­ten eilig die Rückrei­se an, um noch vor Diens­tag wieder zu Hause zu sein und so eine Quaran­tä­ne zu umgehen. Vor einigen Wochen hatte bereits Großbri­tan­ni­en das südli­che EU-Land auf die Schwar­ze Liste gesetzt und damit für Bestür­zung gesorgt — denn von nirgend­wo kommen mehr Urlau­ber nach Portu­gal. Nun fürch­tet Fernan­des, dass die Schweiz, Öster­reich und viele andere dem deutschen Beispiel folgen werden, wie er dem Radio­sen­der TSF sagt.

Zahl der Patien­ten steigt

Aber nicht nur das Gastge­wer­be macht sich Sorgen. Während sich die Hotels leeren, werden die Kranken­häu­ser immer voller. Die Zahl der Patien­ten mit Covid-19 stieg am Sonntag abermals um 30 auf 477. Davon lagen 116 auf der Inten­siv­sta­ti­on. So hoch waren diese Werte zuletzt Mitte April gewesen. Nach Angaben der EU-Gesund­heits­be­hör­de ECDC hat Portu­gal inzwi­schen mit einer 14-Tage-Inzidenz von gut 124 Infek­tio­nen pro 100 000 Einwoh­ner den höchs­ten Wert aller 30 erfass­ten Länder. Zum Vergleich: Deutsch­land liegt bei 25.

Besorg­nis­er­re­gend ist vor allem die Lage im Großraum Lissa­bon, wo seit Wochen rund zwei Drittel aller landes­wei­ten Anste­ckun­gen verzeich­net werden — obwohl nur etwa 27 Prozent der 10,3 Millio­nen Bürger Portu­gals dort leben. Die beson­ders anste­cken­de Delta-Varian­te macht in Lissa­bon bereits mehr als 70 Prozent aller neuen Fälle aus, Tendenz stark steigend.

Ein Wechsel­bad der Gefühle

Während die Dynamik bei den Fallzah­len hoch ist, bleibt eines wie gehabt: Für kaum ein anderes Land bedeu­tet die Pande­mie eine solche Achter­bahn­fahrt wie für Portu­gal. «Ein Wechsel­bad der Gefüh­le. Wir sind mal die Besten, mal die ganz Bösen», sagt Café-Betrei­ber Nuno in Lissa­bon. «Vielleicht werden wir bei guten Nachrich­ten zu nachläs­sig — und bei schlech­ten sehr diszipliniert.»

Tatsäch­lich wurde Portu­gal anfangs als «Muster­schü­ler» in den Himmel gelobt, während etwa der Nachbar Spani­en zu Beginn der Pande­mie rasch im Corona-Strudel versank. Doch das Blatt wende­te sich: Im Winter wies Portu­gal plötz­lich im Verhält­nis zur Bevöl­ke­rungs­zahl mehr Neuin­fek­tio­nen und Todes­fäl­le auf als jedes andere Land der Erde. Die Bundes­wehr schick­te Ärzte und Sanitä­ter ins Land. Im Mai hatte man dann erneut mit die niedrigs­ten Infek­ti­ons­wer­te Europas — und nun geht es wieder bergauf mit den Zahlen und bergab mit der Stimmung.

16 500 briti­sche Fußball­fans im Mai

Wer hat Schuld? Für die Opposi­ti­on und viele Medien ist das keine Frage: die linke Regie­rung. Ihren Zorn zog sich Minis­ter­prä­si­dent António Costa vor allem mit der Entschei­dung zu, das Champi­ons-League-Finale zwischen Manches­ter City und dem FC Chelsea Ende Mai von London nach Porto zu verle­gen — und rund 16 500 briti­sche Fußball­fans ins Land zu lassen, die auf den Straßen der Portwein-Metro­po­le nicht nur die Masken­dis­zi­plin schlei­fen ließen, sondern sich teils hemmungs­los betran­ken und auch prügel­ten, während die Portu­gie­sen noch sehr viele Restrik­tio­nen beach­ten mussten.

«Eine Schan­de!», schimpf­te Opposi­ti­ons­füh­rer Rui Rio über das Treiben in Porto. Auch im Ausland wurden kriti­sche Stimmen laut, die einen Zusam­men­hang mit den explo­die­ren­den Fallzah­len in Lissa­bon sehen. Der Sozia­list Costa räumte zwar ein: «Nicht alles lief gut ab.» Fehler aber will er nicht gemacht haben. Am Rande des EU-Gipfels warnte er vorige Woche vielmehr die europäi­schen Nachbarn vor der grassie­ren­den Delta-Mutan­te: «Ich fürch­te, Portu­gal ist nicht die letzte Grenze, die diese Varian­te überquert.» Im August werde sie 90 Prozent aller Neuin­fek­tio­nen in der EU ausmachen.

Joao Fernan­des von der Touris­mus­be­hör­de richtet seinen Blick in die Zukunft — und setzt seine Hoffnun­gen auf den Herbst und die Deutschen: «Sie kommen vor allem im Septem­ber und Oktober an die Algar­ve. Bis dahin kann sich vieles ändern.»

Von Emilio Rappold, dpa