RAVENSBURG – Seit Mittwoch wird die Medizin der Oberschwa­ben­kli­nik von einem Roboter ergänzt, der in Wahrheit eine Art verlän­ger­te Hand des Chirur­gen ist — ein digita­ler High-Tech-Assis­tent, der alles sieht und überall hinkommt. Das Da Vinci XI-System wird den Opera­teu­ren in der Ravens­bur­ger Viszeral‑, Allge­mein- und Thora­x­chir­ur­gie, der Urolo­gie und Gynäko­lo­gie künftig dabei helfen, noch filigra­ner, präzi­ser und schonen­der zu operie­ren. Mehr als zwei Millio­nen Euro kostet der digita­le und mecha­ni­sche Helfer des in der OP-Roboter­tech­nik führen­den US-Herstel­lers Intui­ti­ve Surgi­cal, der weltweit mehr als 6000 davon im Einsatz hat. Nach einer inten­si­ven Simula­ti­ons- und Schulungs­pha­se der Chirur­gen und des OP-Perso­nals soll im Mai mit den da-Vinci-Opera­tio­nen am St. Elisa­be­then-Klini­kum begon­nen werden.

„Für die Oberschwa­ben­kli­nik ist die Anschaf­fung und Integra­ti­on der Roboter-Opera­ti­ons­tech­nik ein wichti­ger Schritt in die Zukunft. Der digita­le Fort-schritt und die zuneh­men­de Perfek­ti­on in der Medizin sind große Chancen für uns, nicht nur in der Diagnos­tik, auch durch noch präzi­se­re, nachhal­ti­ge, optimier­te Opera­tio­nen. Deshalb haben wir uns entschlos­sen, hier ein inter­dis­zi­pli­nä­res Kompe­tenz­zen­trum für Roboter­chir­ur­gie aufzu­bau­en, welches unsere Idee eines visze­ral-onkolo­gi­sches Zentrums perfekt ergänzt“, sagt OSK-Geschäfts­füh­rer Prof. Dr. Oliver Adolph.

Vor allem Visze­ral-Chefarzt Prof. Dr. Thilo Welsch, sein geschäfts­füh­ren­der Oberarzt PD Dr. Benja­min Müssle sowie Urolo­gie-Chefarzt Prof. Dr. Flori­an Jentzmik, die bereits jahre­lan­ge Erfah­rung mit der Technik an ihren frühe­ren Statio­nen, den Unikli­ni­ken in Dresden respek­ti­ve Ulm gesam­melt haben, werden zu Beginn operie­ren, zudem Dr. Marius Raiber, Oberarzt der Gynäkologie. 

Die Einar­bei­tung der Ärzte an der OP-Konso­le, die die vier feinglied­ri­gen Greif­ar­me des Roboters über dem OP-Tisch steuern, kann man sich vor-stellen wie die Ausbil­dung von Flugzeug­pi­lo­ten. Minuti­ös, akribisch, beina­he pedan­tisch misst eine Software des Herstel­lers, der das Einfüh­rungs­pro­jekt über Monate beglei­ten wird, im virtu­el­len OP-Training minima­le Abwei­chun­gen oder Ungenau­ig­kei­ten des Opera­teurs. Erst wenn der Chirurg mehrmals mit nahezu optima­ler Punkt­zahl die Simula­tor­übun­gen und ‑prüfun­gen abgeschlos­sen hat, erhält er die Freiga­be für Opera­tio­nen am Patien­ten. „Der Simula­tor erkennt kleins­te Ungenau­ig­kei­ten und Unschär­fen, es ist die perfek­te Vorbe­rei­tung für den Ernst­fall“, sagt Prof. Thilo Welsch, der schon mehr als 100 Roboter-Opera­tio­nen erfolg­reich absol­viert hat.

Der Chefarzt verweist darauf, dass die ursprüng­lich für das ameri­ka­ni­sche Militär entwi­ckel­te Technik – Ziel war es, dass Ärzte eines Tages verletz­te Solda­ten aus siche­rer Distanz per Fernsteue­rung operie­ren könnten – den Medizi­ner ledig­lich unter­stützt, nicht ersetzt. „Der Roboter macht keine eigen­stän­di­gen, selbst­ge­steu­er­ten Bewegun­gen oder Vorschlä­ge, er ist kein autono­mes System, er setzt ledig­lich unsere Aktio­nen und Bewegun­gen der Instru­men­ten­ar­me um. Es ist ein Assis­tenz-System, und wir Ärzte können dadurch intui­ti­ver, feinfüh­li­ger arbei­ten“, sagt Welsch. Prof. Jentzmik fügt an: „Aus unserer Erfah­rung freuen sich die Patien­ten über die neue Technik. Da gibt es wenig Berüh­rungs­ängs­te. Viele Menschen fragen sogar nach der neuen Metho­de, sie wissen um die Vorteile.“

Die liegen für die Chefärz­te auf der Hand. Gerade für die Allge­mein- und Visze­ral­chir­ur­gie und die Urolo­gie sei die Roboter­tech­nik ein großer Fort-schritt gegen­über der minimal-invasi­ven Metho­dik, sagen Welsch und Jentzmik. Schlüs­sel­loch­ope­ra­tio­nen, etwa im Darm‑, Rektum- oder Pankre­as­be­reich, in der Urolo­gie an der Prosta­ta oder den Nieren, könne man damit noch präzi­ser durch­füh­ren. „Die Instru­men­te am Roboter haben einen Durch­mes­ser von gerade mal acht Milli­me­tern, für den Patien­ten ist das ein großer Vorteil: Die Ein-schnit­te in den Körper werden damit kleiner, die Schmer­zen, der Blutver­lust und die Narben­bil­dung gerin­ger“, sagt Welsch. Auch die Liege­zei­ten und die Genesungs­dau­er werden verkürzt.

Möglich machen dies vor allem die beweg­li­chen Gelen­ke, an denen die Instru­men­te festge­macht sind. Sie sind das Beson­de­re am da-Vinci-System. Die Gelen­ke haben laut Herstel­ler sieben Freiheits­gra­de, also vonein­an­der unabhän­gi­ge Bewegungs­mög­lich­kei­ten im Raum. Ihre Bewegungs­viel­falt ist damit größer als die der mensch­li­chen Hand, die über fünf Freiheits­gra­de verfügt, und auf engstem Raum ist dies umso wertvol­ler. „Die extre­men Winkel machen es möglich, Stellen zu er-reichen, an die man mit den Händen nur schwer heran­ge­kom­men wäre“, sagt Welsch. „Das ermög­licht noch saube­re­res Arbei­ten. Und durch die Kamera gewinnt man zudem eine dreidi­men­sio­na­le Sicht auf den Körper.“ Auch für kompli­zier­te Speise­röh­ren­ope­ra­tio­nen durch Brust­bein und Thorax sei die Roboter­tech­nik bestens geeig­net, die Erfolgs­quo­te zudem höher.

Prof. Jentzmik hält die Roboter­tech­nik mittel­fris­tig sogar für alter­na­tiv­los, zumin­dest in seinem Be-reich, der Urolo­gie. „In drei Jahren wird der Groß-teil unserer Eingrif­fe ziemlich sicher mit Roboter statt­fin­den, und für junge Ärzte in der Ausbil­dung werden diese Kennt­nis­se essen­zi­ell“, prognos­ti­ziert der Chefarzt. Bei der radika­len Prosta­tek­to­mie, also der vollstän­di­gen Entfer­nung der Prosta­ta samt bösar­ti­ger Tumoren, ist die Roboter-Technik heute schon Standard. Insbe­son­de­re auch in der Nieren­chir­ur­gie gewin­nen Roboter­ope­ra­tio­nen immer mehr an Bedeu­tung. In der Urolo­gie kam der OP-Roboter übrigens vor 23 Jahren auch erstmals zum Einsatz.

Auch für Anne Scholz, OP-Koordi­na­to­rin am EK und da-Vinci-Beauf­trag­te, bei der die Drähte aller Klinik­be­rei­che zusam­men­lau­fen, bedeu­tet der Roboter eine Vielzahl an Verän­de­run­gen, zuvor­derst für den Dienst­plan. An der notwen­di­gen Perso­nen­an­zahl bei einer Opera­ti­on ändere sich zwar nichts, „wir benöti­gen wie bisher fünf Kräfte“, aber: „Wir brauchen fest zugeord­ne­tes Perso­nal und müssen darauf achten, dass stets mindes­tens drei Roboter-geschul­te Mitar­bei­ter in einer Schicht sind.“ Scholz hat den Opera­ti­ons­saal Nr. 10 eigens für die Roboter-OPs reser­viert. „Der da Vinci ist empfind­lich, er wurde fest instal­liert und hat seinen eigenen Strom­kreis, ständi­ge Bewegun­gen tun dem Gerät nicht gut“, begrün­det sie, eine feste Routi­ne ist für die standar­di­sier­ten OP-Abläu­fe ohnehin von Vorteil. Größte Änderung im Raum: Die OP-Konso­le mit dem steuern­den Chirur­gen befin­det sich künftig vorne rechts im Eck, zwei Meter vom Patien­ten entfernt. Zumin­dest für den Anfang ungewöhn­lich ist auch die gerin­ge Halbwerts­zeit der Roboter-Instru­men­te. Nach zehn bis achtzehn Einsät­zen respek­ti­ve Leben, wie man in der Fachspra­che sagt, sind sie bereit verschlis­sen und müssen ausge­tauscht werden. Dann leuch­tet automa­tisch ein LED-Lämpchen am Instru­ment auf.

Sollte der Roboter übrigens entge­gen aller Wahrschein­lich­kei­ten einmal ausfal­len, kann problem­los auf eine minimal-invasi­ve OP-Metho­de oder eine offene Opera­ti­on zurück­ge­grif­fen werden.