«Der kleine Prinz» ist das bekann­tes­te und meist­ge­le­se­ne Buch aus Frank­reich. Dort ist die märchen­haf­te Geschich­te erstmals vor 75 Jahren erschie­nen. Noch heute gehört das Werk zu den Lieblings­bü­chern der Nation. Ein litera­ri­sches Phänomen.

PARIS (dpa) – «Bitte … zeich­ne mir ein Schaf!» Mit diesem Satz beginnt nicht nur die Freund­schaft zwischen einem notge­lan­de­ten Flieger und dem kleinen Prinzen.

Damit beginnt auch die märchen­haf­te Geschich­te des gleich­na­mi­gen Buches von Antoine de Saint-Exupé­ry, das zu einem Welterfolg gewor­den ist. Mit 200 Millio­nen verkauf­ten Exempla­ren ist es das bekann­tes­te, meist übersetz­te und meist gelese­ne Werk der franzö­si­schen Literatur. 

In Frank­reich werden jährlich 400 000 Exempla­re verkauft, ein Absatz­vo­lu­men, das der «Kleinen Prinzen» zu einem Dauer­best­sel­ler macht. Im Corona-Jahr 2020 gehör­te er laut einer Umfra­ge neben der «Pest» von Albert Camus zur bevor­zug­ten Lektü­re der Franzo­sen. Ein litera­ri­sches Phänomen.

Das Erfolgs­buch des Autors und Piloten Antoine de Saint-Exupé­ry ist in Frank­reich erstmals am 6. April 1946 erschie­nen. Die märchen­haf­te Geschich­te des blonden Winzlings war das letzte Werk von Saint-Exupé­ry. Knapp zwei Jahre vor dem Erschei­nen des Buches war er am 31. Juli 1944 im Alter von 44 Jahren bei einem Flugzeug­un­glück ums Leben gekom­men. Teile der Maschi­ne wurden erst viele Jahre später im Meer in der Nähe der Île de Riou südlich von Marseil­le entdeckt. 

Ein Phäno­men nennt der franzö­si­sche Verlag Galli­mard die Geschich­te des Buches. Bei Galli­mard war es Anfang April vor 75 Jahren erschie­nen. Wie das Tradi­ti­ons­haus auf seiner Homepage schreibt, waren schon kurze Zeit später, Ende Juni, die rund 10 000 Exempla­re der ersten Aufla­ge verkauft. Bis 1958 seien neunzehn Nachdru­cke der Taschen­buch­ver­si­on erschie­nen, heißt es weiter. Ab 1980 sei das Kultbuch für Kinder dann zum Lieblings­buch einer ganzen Nation gewor­den. Heute hat Galli­mard den Titel als Märchen für Erwach­se­ne, als Jugend­buch, in gebun­de­ner Form, als Taschen­buch oder als CD im Programm.

Für den Verle­ger Marc Wiltz war das Buch nie wirklich ein Kinder­mär­chen. «Saint-Exupé­ry hat vielmehr eine Geschich­te in Erinne­rung an die Kindheit geschrie­ben», sagte er in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Paris. Für den Autor ist der «Kleine Prinz» ein Gleich­nis, das vom mensch­li­chen Leben handelt. «Saint-Exupé­ry greift mit sehr einfa­chen Symbo­len Themen wie Liebe, Freund­schaft, Macht, Einsam­keit und Tod auf.» 

Das Buch sei mit seinen kindli­chen Zeich­nun­gen, die vom Autor selbst stammen, nur vorder­grün­dig für junge Leser. «Die Symbo­le kann man erst als Erwach­se­ner wirklich verste­hen», erklär­te Wiltz. In seinem Buch «Le Tour du Monde en 80 Livres» (dt. Mit 80 Büchern um die Welt) begrün­det er den phäno­me­na­len Sieges­zug des «Kleinen Prinzen». Alles in dem Buch sei real, fiktiv und symbo­lisch, wie ein Konden­sat des Lebens. Doch nennt der 59-Jähri­ge noch einen weite­ren Grund: Der kleine Prinz halte den Erwach­se­nen einen Spiegel vor. Die wesent­li­che Frage, die er den Lesern darin stellt, lautet für ihn: Was habt ihr aus euren Kindheits­träu­men gemacht? 

Saint-Exupé­ry hat diesen Gedan­ken mehr oder weniger expli­zit auch in seiner Geschich­te zum Ausdruck gebracht. «Die großen Leute waren einmal Kinder gewesen, aber nur wenige erinnern sich daran», schreibt er gleich zu Beginn. In der Widmung des Werkes macht er zudem deutlich, dass er das Buch seinem besten Freund zum Geschenk macht — einem Erwachsenen.

«Die Liebe ist vor allem ein Lauschen in der Stille», «Man sieht nur mit dem Herzen gut», «Das Wesent­li­che ist für die Augen unsicht­bar»: Der «Kleine Prinz» ist voller Aphoris­men und Lebens­weis­hei­ten. Die Antoine de Saint-Exupé­ry-Stiftung in Lyon hat deshalb im Jahr 2020 den 29. Juni, den Tag des Geburts­tags des Autors, zum Le Petit Prince Day erkoren.

Mit dem Tag will die Einrich­tung jährlich «die humanis­ti­schen Werte» des Buches feiern. Wie die 2008 gegrün­de­te Stiftung erklär­te, sei das Werk ein Plädoy­er für mehr Mensch­lich­keit und Sensibilität. 

Für Alban Cerisier vom Verlag Galli­mard ist «Der kleine Prinz» das litera­ri­sche Testa­ment von Saint-Exupé­ry. Das Buch sei gewis­ser­ma­ßen ein Selbst­por­trät, das die Stimmung und das Weltbild des Autors wider­spieg­le, sagte der Spezia­list. Und die waren zur Zeit des Entste­hens des Weltbest­sel­lers alles andere als gut. 

Als der in Lyon gebore­ne Autor und Pilot das Werk schrieb, befand er sich im Exil in New York, wo er unter der politi­schen Lage Europas litt. Denn dort herrsch­te Krieg, Frank­reich wurde 1942 von deutschen Truppen besetzt. Hinzu kamen gesund­heit­li­che Beschwer­den und ein Fremd­heits­ge­fühl, das ihn auch nach mehr als dreijäh­ri­gem Aufent­halt in New York noch verfolg­te, wo sein Buch bereits am 6. April 1943 erschie­nen war. 

Die Idee zu dem Bestsel­ler soll aus einer Nahtod-Erfah­rung heraus entstan­den sein. Saint-Exupé­ry musste 1935 in der Wüste Sahara notlan­den. Mehre­re Tage vergin­gen, bis ihn Bedui­nen rette­ten. Er fühlte sich «verlas­se­ner als ein Schiff­brü­chi­ger auf einem Floß mitten im Ozean», wie er in dem Erfolgs­buch schreibt, als er plötz­lich eine kleine Stimme hörte, die zu ihm sagte: «Bitte … zeich­ne mir ein Schaf!» 

Von Sabine Glaubitz, dpa