SCHWIELOWSEE (dpa) — Für den neuen Befehls­ha­ber des Einsatz­füh­rungs­kom­man­dos der Bundes­wehr ist «glaub­wür­di­ge Abschre­ckung» in der Eskala­ti­on mit Russland zentral. Er will Übungen im Bereich «inten­si­ver Kriegs­füh­rung» verstärken.

Der neue Befehls­ha­ber des Einsatz­füh­rungs­kom­man­dos der Bundes­wehr, Bernd Schütt, sieht die größte Gefahr für eine militä­ri­sche Eskala­ti­on mit Russland an der Nordost­flan­ke der Nato.

«Und deswe­gen ist der Punkt der glaub­wür­di­gen Abschre­ckung in dieser Region für mich ein ganz zentra­ler Punkt. Hier spielt die Präsenz von Landstreit­kräf­te eine zentra­le Rolle», sagte der General­leut­nant der Deutschen Presse-Agentur. Verstärk­te Übungen für die Landes- und Bündnis­ver­tei­di­gung werde es auch in seinem Komman­do geben.

Schütt: «Diese Art von inten­si­ver Kriegs­füh­rung haben wir hier so noch nicht trainiert. Da bedarf es einer Anpas­sung bestehen­der Struk­tu­ren und Verfahren.»

Geogra­fi­sche Schwach­stel­le: Suwalki-Lücke

Das Einsatz­füh­rungs­kom­man­do in Schwie­low­see bei Potsdam führt die Kontin­gen­te der Bundes­wehr im Auslands­ein­satz in natio­na­len Belan­gen — wie bei Materi­al, Perso­nal und im Diszi­pli­nar­we­sen — nicht aber opera­tiv. Bei Einsät­zen wie in Litau­en — wo die Bundes­wehr einen multi­na­tio­na­len Gefechts­ver­band der Nato (eFP) führt — sind die deutschen Solda­ten auch in die Vertei­di­gungs­pla­nun­gen des jewei­li­gen Landes eingebunden.

Nach konkre­ter gewor­de­nen russi­schen Drohge­bär­den im Streit um den Transit­ver­kehr in die russi­sche Ostsee-Exkla­ve Kalinin­grad sind Befürch­tun­gen im Balti­kum zuletzt gewachsen.

Als geogra­fi­scher Schwach­punkt gilt die sogenann­te Suwal­ki-Lücke, eine enge Landver­bin­dung der balti­schen Staaten zu den anderen Nato-Staaten. Sie trennt Kalinin­grad von Belarus.

«Im Bereich der Suwal­ki-Lücke ist es nur ein kurzer Sprung und dort ist die Gefahr einer Testung des Vertei­di­gungs­wil­lens und der ‑fähig­keit der Nato relativ groß. In diesem Raum kann man relativ schnell Truppen verle­gen und dann zum Beispiel unter Einsatz von Luftlan­de­trup­pen einen ersten Stoß durch­füh­ren», sagte Schütt. «In Putins Ratio­nal: Vielleicht denkt er, die Nato kommt nicht.»

Schütt: «Das ist mehr als ein Stolperdraht»

Deswe­gen sei es so wichtig, dass die Nato-Truppen im Balti­kum präsent sind und verstärkt würden. «Das ist mehr als ein Stolper­draht. Da wird sich Putin sehr gut überle­gen müssen, wie die Reakti­on ausfällt», sagte Schütt. Zentral sei die glaub­wür­di­ge Abschreckung.

«Die Glaub­wür­dig­keit machen aus meiner Sicht drei Dinge aus. Sie haben einen ausführ­ba­ren Plan, der mit dementspre­chen­den Kräften und Fähig­kei­ten hinter­legt ist. Und sie dekla­rie­ren, dass sie bereit sind, diese Kräfte einzu­set­zen. Und dabei nicht wackeln. Das zeigen sie und das demons­trie­ren sie.»

Dies habe dazu beigetra­gen, dass keine Angriffs­vor­be­rei­tung auf das Terri­to­ri­um der Nato zu erken­nen seien. «Eine Mähr hat sich endgül­tig erledigt: dass es ohne Vorbe­rei­tung geht. Ganz ohne Vorbe­rei­tung geht das auch bei den Russen nicht», sagte Schütt. Es gebe eine Vorwarn­zeit, aber nicht die Vorbe­rei­tungs­zeit, um dann Kräfte erst zu auszu­bil­den und zusammenzuführen.

Nach der russi­schen Annexi­on der Krim wurde umgesteuert

Die Bundes­wehr war nach dem Ende des Kalten Krieges darauf getrimmt worden, Fähig­kei­ten und Kontin­gen­te für die Auslands­ein­sät­ze bereit­zu­stel­len — mit spezi­el­len und auf die Aufga­be beschränk­ten Fähig­kei­ten. Nach der russi­schen Annexi­on der Krim im Jahr 2014 wurde umgesteu­ert und Bündnis­ver­tei­di­gung wieder in das Aufga­ben­port­fo­lio übernom­men. Im Jahr 2017 wurde der eFP-Gefechts­ver­band in Litau­en aufgebaut.

«Das, was auf uns zukom­men könnte, hat natür­lich noch eine ganz andere Dimen­si­on. Wir haben dann andere Räume, andere Abstim­mungs­er­for­der­nis­se und das müssen wir üben», sagte Schütt. «Das Einsatz­füh­rungs­kom­man­do ist in Einsatz­grup­pen unter­teilt, die unter anderem von Mali bis hin zu den mariti­men Einsät­ze struk­tu­riert wurden. Jetzt steht mit der Landes- und Bündnis­ver­tei­di­gung ein riesi­ger zusätz­li­cher Elefant im Raum, der Anpas­sun­gen erfor­der­lich macht, um Beides bewäl­ti­gen zu können.»

Von Carsten Hoffmann, dpa